32 Forscherinnen und Forscher untersuchten die Chancen und Risiken der Tiefengeothermie – eine breit angelegte und interdisziplinäre TA-SWISS-Studie namens «Energy from the earth: Deep geothermal as a resource for the future?»

V.l.n.r.: Gunter Siddiqi, Bundesamt für Energie, Stefan Hirschberg, Paul Scherrer Institut, Stefan Wiemer, Schweizerischer Erdbebendienst, ETH Zürich, Sergio Bellucci, TA-SWISS ©Foto: T. Rütti

TA-SWISS-Geothermiestudie: Grosses Potenzial, grosse Herausforderungen

(©TR) Das grosse Potenzial, die geringe CO2-Belastung sowie eine zuverlässige Verfügbarkeit rund um die Uhr mache Tiefengeothermie «attraktiv», sie könne einen substanziellen Beitrag zur Energiestrategie 2050 leisten. Ohne Risiken sei sie jedoch nicht zu haben. Das zeigt die TA-SWISS-Studie «Energy from the earth: Deep geothermal as a resource for the future?», die am 20. November präsentiert wurden.


In der Tiefe schlummere eine nahezu unerschöpfliche Energiereserve. Zwischen 4000 bis 5000 m unter der Erdoberfläche herrsche eine Temperatur von rund 150°C: Wärmeenergie, die sowohl für die Strom- als auch die Wärmeproduktion genutzt werden könne. Die Tiefengeothermie stelle eine erneuerbare und einheimische Energiequelle in Aussicht, die CO2-frei Bandenergie – so genannte Grundlast – liefern könne, und zwar unabhängig von Tages- und Jahreszeit oder Wetter- und Windverhältnissen. Das mache Tiefengeothermie für die Energiezukunft der Schweiz zur Hoffnungsträgerin. Nicht verschwiegen wurde, dass auch gewisse Gefahren lauern. Zu erfahren war dies am 20. November in Bern an einer Medienkonferenz von TA-SWISS, dem Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung. Was hier auch noch thematisiert werden müsste: Wie viel Bandlast ist im Netz überhaupt sinnvoll? Es gibt auch Stimmen aus der Forschung, die warnen: Eine zu hohe Bandlast sei nicht mit einem hohen Anteil von erneuerbaren Energien vereinbar.

Beurteilung der neuartigen Energieproduktion
32 Forscherinnen und Forscher aus dem Paul Scherrer Institut (PSI), der ETH Zürich, der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) und dem Institut Dialogik in Stuttgart untersuchten die Chancen und Risiken der Tiefengeothermie – eine breit angelegte und interdisziplinäre TA-SWISS-Studie namens «Energy from the earth: Deep geothermal as a resource for the future?». Wie Projektleiter Dr. Stefan Hirschberg (PSI) betonte, «gehen die Analysen nicht nur auf die geologischen Rahmenbedingungen und die technischen, ökonomischen und ökologischen Aspekte der Geothermie ein, sondern befassen sich auch mit dem rechtlichen Rahmen und der gesellschaftlichen Beurteilung der neuartigen Energieproduktion». Abgedeckt werden von der Studie Disziplinen wie Geologie, Technologie, Ökonomie, Umwelt, Risiken und soziale Aspekte.

Sind die Ressource tatsächlich nutzbar?
In welchem Ausmass ist Geothermie in der Schweiz als Ressource tatsächlich nutzbar und welche wirtschaftlichen Kosten fallen dabei an? Welche ökologischen und risikobezogenen Begleiterscheinungen sind zu erwarten? Wie fällt die Gesamtleistung der Geothermie im Vergleich zu konkurrierenden Energiequellen aus? Erlauben es der Regulierungsrahmen und die Akzeptanz in der Öffentlichkeit überhaupt, einen wesentlichen Teil des Energiebedarfs durch Energie aus dem Untergrund zu decken? Eher ernüchternd klingt Hirschbergs an der Medienkonferenz geäusserte Einschätzung, wonach «die Wahrscheinlichkeit, dass hydrothermale Systeme einen substantiellen Beitrag zur Stromversorgung in der Schweiz leisten, eher gering ist».

Schwierige Abschätzung der potenziellen Ressourcen

Die Tiefenenergie steht vor vielen Herausforderungen. Tiefbohrungen im harten Gestein sind aufwendig, teuer und technologisch anspruchsvoll. Das fehlende Wissen über den Schweizer Untergrund macht es schwierig, die potenziellen Ressourcen verlässlich abzuschätzen – damit sind Tiefengeothermie-Projekte mit beträchtlichen finanziellen Risiken behaftet. Und, nicht zu vernachlässigen, das Risiko von Erdbeben: Diese erschütterten Basel und St. Gallen mit einer Magnitude oder Stärke von 3.4 und 3.5. «Jedes künftige Geothermie-Projekt braucht eine umfassende Risikoabschätzung, ein Überwachungs- und Interventionskonzept, aber auch ein Versicherungskonzept. Pilot- und Demonstrationsprojekte kombiniert mit einer zielgerichteten Forschungskomponente können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das seismische Risiko in der Zukunft besser zu verstehen und einzugrenzen», sagte Prof. Dr. Stefan Wiemer vom Schweizerischen Erdbebendienst ETH Zürich.

Die wichtigsten Empfehlungen der TA-SWISS-Studie

  • Bedeutung Die Geothermie stellt eine der wenigen «neuen» erneuerbaren Optionen dar, die am Strommarkt für die Grundlastversorgung in Frage kommen und damit wesentlich zur Versorgungssicherheit beitragen könnten. Die künftige potenzielle Rolle der Geothermie in der Schweiz muss daher im Kontext des gesamten Energieversorgungssystems gesehen werden.
  • Forschung In Anbetracht der erheblichen Unsicherheit über die potenziellen Geothermie-Reserven der Schweiz ist eine umfangreiche nutzungsgetriebene Forschungsinitiative in Verbindung mit einem Programm aus Pilot- und Demonstrationsprojekten erforderlich: Die Erforschung des tiefen Untergrunds ist voranzutreiben und anhand von Pilotprojekten sollten weitere Erfahrungen für den Bau und den Betrieb geothermischer Anlagen gesammelt werden. Zu erwägen wäre auch, Konzessionen zur Exploration und Nutzung von Geothermie an die Bedingung zu knüpfen, die von den Konzessionären erhobenen geologischen Daten öffentlich zugänglich zu machen.
  • Förderung Strom aus Tiefengeothermie-Anlagen weist unter normalen Betriebsbedingungen eine günstige Umweltbilanz auf. Aus ökologischer Sicht und besonders mit Blick auf den Klimaschutz könnte die Geothermie deshalb einen attraktiven Beitrag zum künftigen Energiemix der Schweiz leisten. Eine weitere Förderung der Geothermieproduktion ist jedoch notwendig, um den Markt zu verbreitern und Unternehmen zu motivieren, ihre Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen zu verstärken.
  • Regulierungsrahmen Die Nutzung des Untergrunds wird in der Schweiz von den Kantonen reguliert. Es sind Modelle zu entwickeln, um den Parcours durch die kantonal unterschiedlichen Bewilligungsverfahren zu vereinfachen, zu koordinieren und zu beschleunigen. Denkbar sind z. B. ein Konzentrationsmodell, bei dem eine Behörde oder ein Kompetenzzentrum des Bundes den Inhalt der verschiedenen Bewilligungen koordiniert und diese gebündelt erteilt.
  • Erdbebenrisiko Erdbebenrisiken können bewertet und kontrolliert, nicht aber ausgeschlossen werden. Die Erfolgsquote und die wirtschaftliche Machbarkeit der Tiefengeothermie hängt wesentlich davon ab, welches seismische Risiko die verschiedenen Interessensgruppen zu tragen bereit sind.
  • Gesellschaftliche Debatte Ein möglicher Verkauf der Abwärme würde die Durchschnittskosten der Geothermie nachweislich deutlich reduzieren. Der klare betriebswirtschaftliche Nutzen des Abwärme-verkaufs steht allerdings in einem Spannungsfeld zwischen der benötigten räumlichen Nähe zu den Wärmeabnehmern und der gewollten Distanz zu Anwohnern, die sensibel auf induzierte Seismizität, Lärm und Eingriffe in das Landschaftsbild reagieren könnten. Welche Risiken und Einschränkungen für die Schweizer Bevölkerung akzeptabel sind, muss letztlich gesellschaftlich diskutiert und festgelegt werden.
  • Dialog und Transparenz Der gesamte Prozess der Planung, Standortwahl und Umsetzung von Geothermieprojekten muss eng begleitet, d.h. sorgfältig geplant, fortlaufend überwacht und genau evaluiert werden. Dabei sind alle Interessensgruppen und die Öffentlichkeit einzubinden und bei der Charakterisierung von künftigen Standorten für (Pilot-)Projekte sollten neben technischen auch gesellschaftliche Kriterien einbezogen werden. Tiefengeothermie-Projekte sollten frühzeitig den Aspekt der Kommunikation und der öffentlichen Partizipation berücksichtigen sowie Chancen und Herausforderungen, inklusive Risiken und Strategien zu deren Verringerung, klar und offen ansprechen.

Geothermie im Gesamtsystem: eine wichtige Ergänzung
Für den WWF Schweiz sind gemäss schriftlicher Stellungnahme folgende Resultate der TA-SWISS-Studie von Relevanz: «Bei geothermischen Anlagen ist mit stark standortabhängigen Stromgestehungskosten von durchschnittlich 35 Rp/KWh zu rechnen. Kann zusätzlich zum Strom auch die nicht zur Elektrizitätsproduktion benötige Restwärme verkauft werden, sinken die Kosten im Basisreferenzfall auf 14 Rp./KWH. Die derzeit noch hohen Explorations- und Innovationskosten sollten zudem durch die Weiterentwicklung der Technologie und den Bau grösserer Anlagen deutlich sinken.» Doch schon heute könne der Strom aus dem Untergrund gegenüber anderem Strom aus Neuanlagen auf Basis anderer Technologien durchaus wettbewerbsfähig mithalten. Für fossile Kraftwerde gelte dies insbesondere unter Berücksichtigung von heute nicht eingepreisten externen Kosten der Stromerzeugung. Der WWF Schweiz schreibt: «Unabhängig von den heute und in Zukunft tatsächlich realisierbaren Gestehungskosen stellt die tiefe Geothermie im Gesamtsystem eine wichtige und attraktive Ergänzung zur fluktuierenden Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenenergie dar.»

Ehrgeizige Ziele für die Energiezukunft

Bekanntlich haben Bundesrat und Parlament den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen, wobei gleichzeitig der Anteil fossiler Brennstoffe an der Energieversorgung deutlich verringert werden soll. Wie aber kann künftig der Energiebedarf gedeckt werden, ohne die Klimaschutzziele zu gefährden? Neben einer Verbesserung der Energieeffizienz ruhen Hoffnungen auf dem Ausbau von «neuen» erneuerbaren Energiequellen wie Sonne und Wind. Die Stromproduktion aus diesen Ressourcen unterliegt jedoch wetter- und tageszeitbedingten Schwankungen. Gleichmässig anfallende Bandenergie (sogenannte Grundlast) könnte zwar aus Biomasse gewonnen werden, doch dies ist mit der Emission von Feinstaub und Treibhausgasen verbunden. Vor genau diesem Hintergrund bietet sich eine Alternative an, die Tiefengeometrie. Das Bundesamt für Energie (BFE) geht von einem allein in der Schweiz anfallenden Potenzial von jährlich 4 bis 5 Milliarden kWh bis 2050 aus, wie Dr. Gunter Siddiqi vom BFE erklärte. Bedingung sei allerdings die Entwicklung entsprechender Technologien sowie die Absenkung der Risiken, namentlich der Erdbebengefahr, «auf ein akzeptables Niveau…». Das Potenzial der Tiefengeometrie bestehe aus nachgewiesenen Ressourcen. Solche Energierohstoffe seien allerdings momentan technisch und/oder wirtschaftlich nur erschwert gewinnbar.

Vorausschauend beraten

Technologiefolgen-Abschätzung (TA) ist eine im Bundesgesetz über die Förderung der Forschung und der Innovation (Forschungsgesetz FIFG) verankerte Aufgabe. Seit 2007 obliegt dieser Auftrag den Akademien der Wissenschaften Schweiz. 2008 wurde das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung TA-SWISS zum eigentlichen Kompetenzzentrum gemacht. Technologiefolgen-Abschätzung wird von TA-SWISS allerdings schon seit 1992 betrieben. Zweck ist, die Konsequenzen neuer Technologien möglichst frühzeitig zu erkennen, um nötigenfalls Gegensteuer geben zu können. Die aus den TA-Projekten resultierenden Empfehlungen dienen Parlament und Bundesrat als Hilfsmittel bei Entscheidungen – besonders auch bei kontrovers diskutierten Technologiethemen. Darüber hinaus werden die Projektresultate Politikern, Fachleuten aus Wissenschaft und Verwaltung sowie den Medien und Bürgerinnen und Bürgern kommuniziert.

©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch

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