Eric Nussbaumer, Präsident von AEE SUISSE, appellierte an alle Parlamentarier, in der Wintersession Klartext zu reden, Nägel mit Köpfen zu machen. ©Foto: T. Rütti

Hanspeter Eicher, eicher+pauli, prognostizierte, dass der Heizenergiebedarf bis ins Jahr 2065 dank technologischen Optimierungen bei gleichzeitiger Reduzierung der Energieverluste um 70 % abnehmen wird. ©Foto: T. Rütti

Finn Bertelsen (Danish Energy Agency) erinnerte daran, dass bereits heute und morgen die verschiedensten Möglichkeiten existieren, um Energie gänzlich ohne fossile Quellen zu erzeugen. ©Foto: T. Rütti

Rund 250 Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft diskutierten in Luzern anlässlich des 3. Jahreskongresses der erneuerbaren Energien und Energieeffizienz den Stand der Umsetzung einer neuen Energiepolitik in der Schweiz. ©Bild: Toni Rütti

V.l.n.r.: NR Jacques Bourgeois, FDP, NR Roland Fischer, GLP, Kurt Frei, Vizepräsident AEE SUISSE, Moderator Reto Lipp, Rolf Wüstenhagen, Prof. Uni St. Gallen, Frank Krysiak, Prof. Uni Basel. ©Foto: T. Rütti

Christian Ineichen und Jean-Yves Pidoux; der eine vertrat die Energie-Region UNESCO Biosphäre Entlebuch, der andere die Stadt Lausanne.

SP-Nationalrat Roger Nordmann ist zuversichtlich, was den Ausgang der parlamentarischen Debatte anbelangt. Nicht aus Blauäugigkeit, sondern weil das Geschäft mit Akribie vorbereitet worden sei. ©Foto: T. Rütti

AEE Suisse Kongress: Fortschrittliche Energiewirtschaft trifft sich in Luzern

(©TR/AN) Zum bereits dritten Mal lud die AEE Suisse zum Nationalen Kongress der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz ein. Besonderes Interesse weckte unter anderem der Vortrag von Hanspeter Eicher, Eicher + Pauli AG: „Auf lange Sicht ist auch die Wärmewende machbar“, erklärte er, „doch wir müssen schon heute damit beginnen.“


Rund 250 Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft diskutierten in Luzern anlässlich des 3. Jahreskongresses der erneuerbaren Energien und Energieeffizienz den Stand der Umsetzung einer neuen Energiepolitik in der Schweiz. Bereits in der Wintersession wird der Nationalrat nächste wichtige Entscheide treffen. Die Chancen stehen gut, dass sich die fortschrittlichen Kräfte durchsetzen werden.

Nägel mit Köpfen

Alle müssen mehr tun. Dieses geflügelte Wort, das einmal von Bundesrätin Doris Leuthard geprägt worden war, zog sich durch den ganzen AEE-Kongress 2014. 2035 oder gar 2050 – das sind doch Jahre, die noch in weiter Ferne liegen, glaubt manch einer bei falscher Einschätzung. Eric Nussbaumers Begrüssungsvotum hatte indessen genügend Kraft, einem jede Form von Wachträumerei zu nehmen. Der Präsident von AEE Suisse appellierte an alle Parlamentarier, in der Wintersession Klartext zu reden, Nägel mit Köpfen zu machen. Worum es bei der Vorlage der Kommission für Umwelt, Energie und Raumplanung des Nationalrates ging, die nun auch am nationalen Kongress der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz im Zentrum des Interesses stand, wurde bereits unter ee-news.ch >> vom 29. Oktober erörtert.

Mit Akribie vorbereitet
Hier nur noch so viel: Ende Oktober 2014 hatte die Kommission dem Entwurf zum ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 zugestimmt (siehe auch ee-news.ch vom 7.11.13 >>). Nach über einem Jahr intensiver Vorberatung in der Kommission ist die Vorlage jetzt also bereit zur Behandlung im Erstrat. In einem von Reto Lipp moderierten Gespräch, aber auch im Pausengespräch mit ee-news.ch, gab sich SP-Nationalrat Roger Nordmann zuversichtlich, was den Ausgang der parlamentarischen Debatte anbelangt. Dies nicht etwa aus einer Blauäugigkeit heraus, sondern weil das Geschäft mit Akribie vorbereitet worden sei. Roger Nordmann ist sich aber sehr wohl auch bewusst, dass mit heftiger Opposition namentlich aus dem rechten Lager zu rechnen ist.

100
 % erneuerbare Energien für Schweizer Gebäudepark
Hanspeter Eicher, VR-Präsident eicher+pauli, prognostizierte, dass der Heizenergiebedarf bis ins Jahr 2065 dank technologischen Optimierungen – Stichwort Gebäudehüllen – bei gleichzeitiger Reduzierung der Energieverluste um 70 % abnehmen wird. Eine firmeneigene Analyse habe ergeben, dass 40 % des langfristigen, gegenüber heute halbierten Wärmebedarfs in sehr dicht überbauten Gebieten liege. Das Potenzial an erneuerbarer Nahwärme werde den Bedarf um ein Mehrfaches übersteigen. „Die Wärmeversorgung für Gebäude ist zu 95 % erneuerbar möglich“, sagte Hanspeter Eicher in seinem energetischen Fazit. Ein Gebot der Stunde sei die Beschleunigung bei der Gebäudesanierung. Dazu müsste die Lenkungsabgabe auf CO2 im Energiegesetz langfristig planbar gemacht und sukzessive auf 120 Fr. pro Tonne angehoben werden. Erforderlich sei aber auch die Sanierungspflicht für Elektroheizungen und eine Einsatzpflicht für erneuerbare Energien beim Heizkesselersatz (MUKEN 2014). Für die Wärmenutzung aus industrieller Abwärme fordert er eine Risikoabdeckung. Bei der Energieplanung für Gebiete mit Nahwärmepotenzial müsse auf erneuerbare Energien gesetzt werden.

Zauberwort Wärmepumpen

Eicher setzt in seinen Szenarien im Einfamilien- und Mehrfamilienhausbereich vor allem auf Wärmepumpen und Solarheizung. „Wenn Sie jetzt sagen, das geht doch nicht mit den Wärmepumpen, dann möchte ich Sie daran erinnern, dass heute 12 % des Stromverbrauchs für Elektroheizungen und Elektroboiler draufgehen.“ Daher brauche es auch dringend ein Verbot dieser beiden Technologien. In urbanen Gebieten fokussiert Eicher auf Nahwärmeverbunde, die mit Wärmepumpen betrieben werden. Dabei will er die Energie aus Seen, Flüssen, dem Grundwasser, der Erdwärme und der Abwärme aus der Industrie nutzen. Holz will er nur während einer Übergangszeit zur Wärmeversorgung nutzen. „Holz gehöhrt längerfristig nicht zur Wärmeversorgung im Gebäude“, mahnte der Energieexperte. „Wenn wir den Zeithorizont von plus minus 2080 nehmen, wird Holz dann vorwiegend für industrielle Prozesswärme gebraucht!“

Hanspeter Eicher ist überzeugt, dass das Ganze auch zahlbar sei: „Unsere Studie hat gezeigt, dass sich die Mehrkosten auf rund 5 Milliarden Franken pro Jahr belaufen.“ Denn man dürfe nicht alle Kosten der Wärmewende zuschreiben, da die Heizungen und Nahwärmeverbunde ja eh laufend modernisiert und erneuert werden müssten: „Es ist volkswirtschaftlich vernünftig, daher müssen wir es tun!“

Das Modell Dänemark – ein
Vorbild für die Schweiz?
Finn Bertelsen von der Danish Energy Agency erinnerte in seinem Exposé daran, dass bereits heute und morgen die verschiedensten Möglichkeiten existieren, um Energie gänzlich ohne fossile Quellen zu erzeugen. Dazu müssten alle denkbaren technologischen und schadstoffarmen Systeme zum Einsatz gelangen. Augenfällig ist in Dänemark auch die Zunahme an Fernwärmeanlagen: Er stieg zwischen 1980 und 2012 von 20% auf über 50%. Dänemark ist übrigens Pionier im Bereich von solarthermischen Nahwärmeverbunden, leider wurde das von Bertelsen nicht erwähnt. In Dänemark ebenfalls im Vormarsch ist die Biomasse. Finn Bertelsen verschwieg nicht, dass die alternativen Systeme und Technologien im Vergleich zu fossilen Lösungen zusätzliche Kosten zwischen 5 und 23 % verursachen. Trotzdem: Wandel und Umsetzung müssten kurz nach 2020 wirksam werden. Dass das Erfolgsmodell Dänemark mit Energieeinsparungen und Energieeffizienz in allen Szenarien nicht telquel von der Schweiz übernommen werden kann, ging aus seinen Ausführungen selbstverständlich auch hervor. Dänemark ist nun mal – im Gegensatz zur Schweiz – ein klassisches Windenergieland mit immer mehr Onshore- und Offshore-Anlagen. Doch was für Dänemark die Windkraft ist, ist für die Schweiz die Wasserkraft.

Erdgas ist der sauberste fossile Energieträger
Greifen wir stellvertretend aus dem Strauss an Parallelsessionen «Nutzung von Überschuss-Elektrizität in Gasfahrzeugen» heraus, präsentiert von Christian Bach (Empa). Er äusserte sich zum Stand der Technik bei Erdgas/Biogasfahrzeugen sowie zu strombasierten Treibstoffen für Gasfahrzeuge. Denn H2 mit CO2 (etwa aus Biogasanlagen) kann in synthetisches Methan (CH4) umgewandelt, gespeichert und in Erdgas/Biogasfahrzeugen genutzt werden. H2 kann zudem an der Tankstelle dem Erdgas/Biogas direkt beigemischt werden, was wiederum neue, effiziente motorische Brennverfahren ermöglicht. Zu den Umweltauswirkungen von Gasfahrzeugen: Erdgas ist der sauberste fossile Energieträger. Bei Förderung und Transport entsteht eine Zusatzemission an Treibhausgasen von ca. 5 g/km. Biogenes Methan (Biogas) zählt demgegenüber zu den saubersten erneuerbaren Energieträgern. Ein biogasbetriebenes Gasfahrzeug emittiert 80 % weniger Treibhausgase als ein mit fossilem Erdgas betriebenes Fahrzeug. Doch auch das folgende Statement des Empa-Abteilungsleiters des Bereichs Verbrennungsmotoren ist von Relevanz: „Der Primärenergieverbrauch der verschiedenen Antriebskonzepte (konventionell, hybridisch, elektrisch) ist im realen Betrieb plus/minus 20 % identisch. Die CO2-Belastung hängt primär von der verwendeten Fahrenergie und der Energie für die Herstellung des Fahrzeugs ab. Die CO2-Belastung kann nur mit Umstieg auf erneuerbare Fahrenergie gesenkt werden.“

Energiepolitik zwischen Berg und Tal
So lautete der Obertitel für die beiden Referate von Christian Ineichen und Jean-Yves Pidoux; der eine vertrat die Energie-Region UNESCO Biosphäre Entlebuch, der andere die Stadt Lausanne. Oder anders gesagt: Gegensätze, wohin man schaut! Und doch wollen beide das Gleiche: Energieeffizienz und Energiesparen sowie jede vorstellbare Ressourcenschonung und Verkehrsberuhigungsmassnahme, wo immer es irgendwie machbar ist. Nachgerade eine Pionierleistung war beispielsweise die Metro in Lausanne, die von unten am See bis hoch hinauf in der Stadt verläuft und – allenfalls in Kombination mit anderen umweltschonenden Verkehrsmitteln – das Auto schon fast überflüssig macht für die täglichen Fahrten kreuz und quer durch die Energievorzeigestadt am Lac Léman (Label «Cité de l‘énergie» seit 1996, Label «EEA Gold seit 2004»). Für Einheimische sowie Sommer- und Wintergäste der UNESCO Biosphärenregion Entlebuch ist – oder wäre – der sparsame Umgang mit den Ressourcen schon fast Pflicht; besonders ehrgeizigen beziehungsweise innovativen Energiesparern bietet die Luzern vorgelagerte Gegend ein noch weites Tummelfeld an Möglichkeiten, die Christian Ineichen in seinem ideenreich bebilderten Vortrag präsentierte. Der Entlebucher und sein Kollege aus der Romandie plädierten beide für realisierbare Ideen, die es pragmatisch zu verwirklichen gelte. Und es braucht, offenbar vor allem am Genfersee, aber auch in Bundesbern (!), eine ausgefeilte Koordination.

Marktliberalisierung und Energiemarktdesign
Eine geradezu willkommene Ergänzung zu all den Einzelreferaten bildeten zwei von Reto Lipp moderierte Podiumsdiskussionen, die so konzipiert und angelegt waren, dass in den Kaffeepausen für reichlich Diskussionsstoff an den Stehtischchen gesorgt war. Etwas ins Schieflage geriet jedoch die Diskussion um das Thema «Marktliberalisierung und Energiemarktdesign» mit Kurt Frei, Vizepräsident AEE SUISSE; Rolf Wüstenhagen, Professor Universität St. Gallen; Frank Krysiak, Professor Universität Basel; Nationalrat Roland Fischer, GLP; Nationalrat Jacques Bourgeois, FDP. Sowohl Jacques Bourgeois wie auch Roland Fischer konnten ihre Forderungen nach mehr Marktpreise und der Stromschwemme aus Deutschland zu lange hochspielen. Reto Lipp war wohl zu wenig vorbereitet, um die zu billigen CO2-Zertifikate anzusprechen, die letztlich nicht anderes bewirken als die Kohlekraftförderung, was wiederum eine Stromschwemme und damit sehr tiefer Strompreise verursacht. 

Parallelsessionen mit Fokusthemen zur Energiewende
Am Kongressnachmittag fanden drei Parallelsessionen mit den verschiedensten Fokusthemen rund um die Energiewende statt:

  • «Erneuerbare Wärme» mit Markus Portmann, Vizepräsident AEE Suisse
    - «Bereitstellen von Prozesswärme mit Hilfe erneuerbarer Ressourcen: Beispiel Emmi» mit Stefan Minder, NEP Solar
    - «Erneuerbare Wärme - (zu) wenig genutztes Potenzial für Energieeffizienz und Klimaschutz» mit Andreas Haller, Ernst Schweizer AG.
    - «Zukunft der Netze als Knacknuss der Energieplanung» mit Sabine Perch-Nielsen, EBP
  • «Einführung Energie- und Stromeffizienz» mit Kurt Frei, Präsident AEE Suisse
    - «Gebäudeeffizienz am Beispiel eines Plusenergiehauses in Romanshorn» mit Karl Viridén, Viridén + Partner AG
    - «Stromeffizienz in und am Gebäude. Potenziale und Chancen» mit Jürg Grossen, Elektroplan Buchs & Grossen AG
    - «Der Energiewende-Elektriker der Zukunft - Erfordernisse an Aus- und Weiterbildung» mit Roger Altenburger, Otto Fischer AG
  • «Einführung Mobilität» mit Thomas Hügli, Swisspower
    - «Verkehrsvermeidung durch Anpassung der Strukturen» mit Udo Becker, TU Dresden
    - «Nutzung von Überschuss-Elektrizität in Gasfahrzeugen» mit Christian Bach, Empa
    - «Elektrifizierung des Strassenverkehrs (Stromtankstellennetz)» mit Urs Wälchli, ABB

Konflikt mit Marktöffnung verhindern
Wie reif und konkurrenzfähig erneuerbare Energien sind, werden sie im Elektrizitätssektor allerspätestens mit der vollen Marktöffnung des Elektrizitätssektors beweisen können. Stefan Batzli, Geschäftsführer AEE SUISSE ist überzeugt: „Aber auch bei einem wettbewerblichen Strommarkt gilt: Es braucht Rahmenbedingungen, die nachhaltige Investitionen fördern, Versorgungssicherheit garantieren und insbesondere die schädlichen Umwelt- und Klimafolgen reduzieren.“ All das dürfe nicht verloren gehen, sondern müsse auch in einem geöffneten Elektrizitätsmarkt eine klare Zielsetzung bleiben. Stefan Batzli fodert, was auch der Grundtenor in Luzern war: „Der Bundesrat tut deshalb gut daran, mit der Botschaft zur Marktöffnung solange zu zuwarten, bis die Beratungen der Energiestrategie 2050 abgeschlossen sind, damit die Marktöffnung nicht in Konflikt mit dem ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 gerät!“

©Text: Toni Rütti/Anita Niederhäusern, Leitende Redaktorin ee-news.ch

show all

1 Kommentare

Simon Bieri

"Doch was für Dänemark die Windkraft ist, ist für die Schweiz die Wasserkraft."

Mit dem grossen Unterschied, dass die Schweiz die Wasserkraftpotenziale weitgehend genutzt hat, die Windkraft in Dänemark aber noch bei weitem nicht fertig gebaut ist.

Kommentar hinzufügen

Top

Gelesen
|
Kommentiert