Leistungstests im Wasserkanal: Forscher Christian Kress senkt das zentrale Element der ETH-Versuchsanlage ab: die auf dem Kopf stehende, skalierte Windkraftanlage, bestehend aus Rotor und Gondel sowie dem Turm in Form einer Metallstange. ©Bild: ETH

urbulenzerzeugung im ETH-Modellversuch: Aus zwei Sets von Düsen unter dem Schleppwagen strömt Wasser, wodurch die Anströmung auf die Test-Turbine turbulent wird. ©Bild: ETH

Forschungsprojekt: Die versteckten Kräfte des Windes

(©AV/BFE) Je schneller der Wind durch eine Windkraftanlage pfeift, desto mehr kann sie leisten. Verdoppelt sich zum Beispiel die Windgeschwindigkeit, so schiesst die Leistung ums Achtfache in die Höhe. Unzählige Studien betonen es: Die Windgeschwindigkeit ist matchentscheidend für die Wahl von guten Windstandorten.


Es gibt aber noch andere Einflussgrössen des Windes, die bestimmen, wieviel Energie eine Windturbine produziert. Bloss konnte man diese wenig bekannten Einflüsse bisher schlicht nicht messen. Einem Forschungsteam von Ingenieur Ndaona Chokani ist dies nun aber in einer vom Bundesamt für Energie (BFE) geförderten Studie gelungen. „Wir konnten nachweisen, dass auch Luftverwirbelungen und abweichende Windrichtungen die Leistung von Windanlagen spürbar beeinflussen“, sagt der Forscher am Institut für Energietechnik der ETH Zürich.

Luftverwirbelungen und Windrichtung
Für diesen Nachweis haben die Forscher in einer Versuchsanlage zunächst ermittelt, wie unterschiedlich starke Luftverwirbelungen (Turbulenzen) und Änderungen der Windrichtung die Leistung einer Modell-Windkraftanlage beeinflussen (vgl. Artikel unten). Mit den Resultaten haben sie am Computer ein Modell erstellt, das diesen Einfluss auch für reale Windstandorte ermitteln kann. Den Praxistest machten sie gleich selbst. Im grössten Schweizer Windpark auf dem Mont Crosin im Berner Jura haben sie mit Satelliten-Wetterdaten und eigenen Messdaten ein Jahr lang die dortigen Turbulenzen und Windrichtungen gemessen und anschliessend mit dem Modell ihren Einfluss auf die Leistung des Windparks bestimmt.

Das Forschungsprojekt zeigt nun also erstmals, wie stark dieser Einfluss ist:

  • Am leistungsfähigsten sind Windkraftanlagen, wenn die Anströmung genau horizontal, unter einem Winkel von 0 Grad, auf die Rotoren trifft. Bei einer sehr starken Auf- und Abwärtsneigung der Anströmung von 15 Grad verringert sich die Leistung um 7 Prozent. Ausgesprochen flache Länder wie die Windenergie-Hotspots Norddeutschland und Dänemark haben in dieser Hinsicht einen Vorteil, denn dort fegen die Winde meist horizontal übers Land. Die Schweiz hingegen mit ihren Hügeln, Tälern und Bergen hat weniger gute Bedingungen. Auf dem Mont Crosin im Berner Jura haben die Forscher vertikale Abweichungen der Windrichtung zwischen 8 und 13 Grad gemessen. Übers Jahr hinweg reduzierte diese Strömungsneigung des Windes die Leistung im Windpark um 2 bis 5 Prozent.
  • Abweichende Windrichtungen haben aber zugleich einen positiven Effekt: In ihrer Versuchsanlage haben die Forscher beobachtet, dass in diesem Fall der hinter einer Turbine abgeschwächte Windstrom schneller wieder anschwellen kann. An hügeligen Standorten, wie sie in der Schweiz oft anzutreffen sind, kann man Windkraftanlagen daher viel näher hintereinander platzieren als im Flachland.
  • Positiv wirken sich für hügelige Länder auch die hier vergleichsweise starken Turbulenzen aus. Je stärker die Luft im Bereich von Turbinen verwirbelt ist, desto mehr Wind können die Anlagen ernten. Gemäss der Studie der ETHZ erhöhen Turbulenzintensitäten von 8 bis 16 Prozent, wie sie auf dem Mont Crosin vorkommen, die Leistung der dortigen Windturbinen um bis zu 4 Prozent – dies im Vergleich zu den turbulenzärmsten Windstandorten der Welt, etwa der Nordsee (mit 2.5 bis 6 Prozent Turbulenzintensität)


Windstandorte sauber vorabklären
Unter dem Strich sieht die Bilanz der Windverhältnisse für Windanlagen in hügeligem Gelände günstig aus: Ein Windpark wie jener auf dem Mont Crosin dürfte wegen der Turbulenzen und unsteten Windrichtungen unter dem Strich einen Leistungsgewinn von etwa 1 bis 3 Prozent erzielen im Vergleich zu einem Windpark in einem ganz flachen Gebiet. Das mag nach wenig klingen, doch schon ein einziges Prozent Leistungsgewinn kann – grob hochgerechnet – bei einer mittelgrossen (2 MW-) Windturbine zu zusätzlichem Strom für rund ein Dutzend Haushalte pro Jahr führen, für einen ganzen Windpark summiert sich das entsprechend.

Saubere Abklärung wichtig
Es lohnt sich also, im Vorfeld von geplanten neuen Windparks sauber abzuklären, welche Standorte die beste Leistung versprechen – eben nicht nur die besonders windreichen, sondern auch jene mit vielen Turbulenzen und geringer Abweichung der Windrichtung. Gerade in der kleinräumigen Schweiz, wo fast jedes neue grössere Windprojekt auf Opposition stösst, sind möglichst genaue Vorabklärungen wichtig, für Investoren, aber auch für den Bund, der die Windkraft im Rahmen seiner Energiestrategie 2050 stark ausbauen will. Mit dem von den Forschern entwickelten Computermodell sollen diese präziseren Voruntersuchungen bald möglich werden, individuell für jeden einzelnen Standort.

„There is no free lunch“
Zuerst aber will ETH-Forscher Chokani den Faktor Turbulenzen noch genauer untersuchen. „There is no free lunch“, scherzt der US-Amerikaner, „nichts ist gratis zu haben“. Denn turbulente Winde seien zwar ein Segen für die Energieproduktion; zugleich aber rütteln sie an den Anlagen, sodass möglicherweise höhere Wartungskosten anfallen. Ob letzteres der Fall ist, untersucht das ETH-Team nun in einer Folgestudie des Bundesamts für Energie.

Weitere Auskünfte zu dem Projekt erteilt Lionel Perret (lionel.perret@planair.ch), Leiter des BFE-Forschungsprogramms Windenergie.

Zum Schlussbericht dieses Projektes >>



Windturbine im Wasserkanal modelliert
Wie sich turbulente Winde und Luftströmungen unterschiedlicher Richtung  auf die Leistung von Windanlagen auswirken – das zu messen ist nicht ganz einfach. „Bei realen Windkraftanlagen haben wir das Problem, dass der Wind nach der Laune der Natur bläst und nicht nach unseren Wünschen“, erklärt ETH-Forscher Ndaona Chokani, „und bei Tests im Windkanal können wir die benötigten Turbulenzen nicht erzeugen, denn um turbulent zu werden, braucht Luft viel mehr Raum als im Windkanal vorhanden ist.“

Die Forscher griffen daher zu einem Trick: In ihrem Versuchskanal strömt keine Luft, sondern Wasser. Im Wasser kann man schon auf kleinem Raum die gleichen Turbulenzen erzeugen, wie sie in der Luft bei realen Windanlagen vorkommen. Denn Wasser hat im Vergleich zu Luft eine andere – für strömungsmechanische kleinmassstäbliche Experimente vorteilhafte – Dichte und Viskosität.

Miniaturisiert im Massstab 1:160

Die Modell-Windkraftanlage in einer Maschinenhalle der ETHZ wird daher von Wasser statt von Luft umströmt. Sie ist kopfüber unter einen Schleppwagen montiert. Es handelt sich um eine im Massstab 1:160 skalierte Windkraftanlage des Typs HTW2.0-80 von Hitachi. Ein Schleppwagen zieht die Windkraftanlage durchs stehende Wasser. Die Geschwindigkeit dieses Wagens gibt die Geschwindigkeit der Strömung vor, die auf die Turbine trifft. Die gewünschten Turbulenzen erzeugen die Forscher mit zwei Sets von Düsen, die, vor der Turbine, ebenfalls unter dem Wagen montiert sind. Unterschiedliche Strömungsrichtungen lassen sich erzeugen, indem man den Turm der Windturbine leicht kippt oder dreht, sodass der  Rotor nicht mehr senkrecht, sondern geneigt durchs Wasser gezogen wird.

Aufs richtige Verhältnis kommt es an
„Mit dieser Versuchsanlage können wir die verschiedenen Strömungseinflüsse einzeln oder zusammen gezielt variieren und dann jeweils den Einfluss auf die Turbinenleistung berechnen“, schildert Ndaona Chokani das Besondere an den vom BFE unterstützten ETH-Experimenten. Doch kann man von der Leistung einer Turbine im Wasser wirklich auf jene einer Windturbine schliessen? „Man kann, wenn man die entsprechenden Verhältnisse wahrt“, sagt der Forscher. Wichtig für die Leistung einer Windturbine ist vor allem das Verhältnis zwischen der Umlaufgeschwindigkeit der Rotorblattspitzen und der Windgeschwindigkeit. „Nehmen wir an, der Wind bläst bei einer realen Windanlage mit 5 Metern pro Sekunde, der Rotor dreht dann an den Spitzen mit 35 Metern pro Sekunde, 7 Mal so schnell. Um nun zuverlässige Aussagen über die Leistung machen zu können, müssen wir bei unserer Wasser-Turbine dasselbe Verhältnis nachstellen“, so Chokani. Neben der konstanten Anströmung, erzeugt durch die Bewegung des Schleppwagens, stellen die Forscher entsprechend die Umlaufgeschwindigkeit mit einem kleinen Antriebsmotor exakt ein. Je nachdem, welche Turbulenzen und Strömungsbedingungen die Forscher dann vorgeben, verändern sich sowohl die Turbinen-Leistung als auch die auf die Turbine wirkenden Lasten.

„Alles können wir nicht wirklichkeitsgetreu simulieren“, ergänzt Projektmitarbeiter Christian Kress, der neben seiner Doktorarbeit an der ETHZ an einem Industrieprojekt von Hitachi mitwirkt, „so ist etwa das Gehäuse der Gondel nicht ganz massstabsgetreu skaliert.“ Doch insgesamt, erklären die ETH-Forscher, gebe ihr Wassermodell die relevanten Parameter der Windrealität akkurat wieder.


Text: Anita Vonmont, im Auftrag des Bundesamts für Energie / veröffentlicht auf Suisse Eole

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