Der Pionier Nemoto erklärt seine Bauern-Solaranlage. ©Bild: Takomachi Shunnoaji

Betonanker gegen Wellenschlag; die Wellenkraft könnte auch zur Energiegewinnung genutzt werden. ©Bild: Takomachi Shunnoaji

Bene Müller aus Singen begeistert interessiertes Publikum. ©Bild: Takomachi Shunnoaji

Japan: Wie sieht die Energiezukunft aus?

(©FWT) Ein grosses Potenzial an Erneuerbaren und spärlich fliessende Informationen zur Energiepolitik: In Japan ist die Energiezukunft sehr ungewiss. Der deutsche Energiefachmann Bene Müller, Mitbegründer und CEO des BürgerEnergieUnternehmens solarcomplex in Singen ist mit seinen Vorträgen und Beratungen im Land der aufgehenden Sonne auf grosses Interesse gestossen.


In der Folge des Reaktorunfalls in Fukushima-Daiichi hatte die japanische Regierung verfügt, dass alle 48 verbliebenen AKWs schrittweise vom Netz genommen und erst nach bestandenen, strengen Tests wieder hochgefahren werden dürfen. Vor dem 11.3.2011 hatten alle Atomkraftwerke zusammen knapp 30 % des Stroms der Industrienation geliefert. Seit September 2013 befindet sich kein einziges AKW mehr in Betrieb. Schon zuvor waren nur noch zwei Reaktoren aktiv. Die Lücke wurde mit Effizienz- und Sparmassnahmen geschlossen – von der Bevölkerung, wie auch der Wirtschaft in vorbildlicher Weise umgesetzt. Ausserdem wurden fossile Energieträger: Erdgas, Kohle, Schweröl importiert. Diese Importe belasten seither die Aussenhandelsbilanz Japans – auch eine Folge der jahrzehntelangen verfehlten Energiepolitik des Landes, welche die Nutzung der reichen einheimischen Energiequellen – Sonne, Wind, Wellen, Geothermie, Biomasse – sträflich vernachlässigt hat.

Wiederhochfahren der Atommeiler?
Der mächtige Industrieverband Keidanren wie auch Premierminister Shinzo Abe und seine Regierung drängen auf ein baldiges Wiederhochfahren der Atommeiler. Dieses Vorhaben spaltet das Land. Schon Shinzo Abes Gattin und First Lady der Nation, Akie Abe, bekennt sich öffentlich zum Atomausstieg, ebenso wie vier der bisherigen Premierminister: Naoto Kan, Junichiro Koizumi, Morihiro Hosokawa und Yukio Hatoyama.

Eine vom japanischen Staat im Sommer 2012 durchgeführte Bevölkerungsanhörung zeigte ein ebenso kontroverses Bild: 87 % der Befragten wollten den Atomausstieg. Die im März 2014 von der grossen Zeitung Asahi Shinbun durchgeführte Umfrage zeigt in dieselbe Richtung, wenn auch etwas abgeschwächt: 59 % wollen den Atomausstieg, 28 % nicht. Eine flächendeckende Propagandawalze in den Medien wirbt seit geraumer Zeit für das Wiederauffahren der AKWs, auch Alltagsprobleme und Verdrängung der Fakten zeigen Wirkung.

Japans (noch) ungehobenen Schätze
Japan ist überaus reich an natürlichen Energieressourcen. Tausende Kilometer Küstenlinie trennen das Land von zwei Meeren: dem Pazifik und dem Japanisch-Chinesischen Meer. Wellen schlagen ohne Unterlass gegen die Ufer. Mancherorts wird ihre Kraft durch Wälle riesiger Betonanker gebremst – diese enormen Kräfte liessen sich genauso gut für die Gewinnung von Wellen-, Strömungs- wie auch Gezeitenenergie nutzen. Wo Meere sind, ist auch Wind – Japan verfügt über ein riesiges Windpotential.

Heisse Quellen und Erddampf
Das Land ist vulkanisch. Die über 3000 „Onsen“ – Thermalbäder – werden von der Bevölkerung überaus geschätzt, sind wichtiger Bestandteil ihrer Kultur. Der enorme Reichtum an leicht erschliessbaren heissen Quellen und Erddampf wird aber nur von wenigen Kraftwerken oder Wärmeverbünden genutzt.

Sonnige Winter
Die Sonne scheint grosszügig auf das Inselreich, die Winter – gerade auch im Grossraum Tokyo – sind sonnig und mild. Photovoltaikanlagen bringen in der Regel etwas höhere Erträge als im Schweizerischen Mittelland. Wälder bedecken noch immer 68 % der Landesfläche und sind nur zum kleinen Teil erschlossen und nach den Prinzipien zeitgemässer Forstwirtschaft genutzt. Forstwirtschaftliche Ausbildung und Infrastruktur wurden vernachlässigt. Verlassene Felder in abgelegenen Regionen werden im feucht-warmen Klima von Gestrüpp überwuchert – rasch nachwachsende Biomasse im grossen Mengen.

Angenehmes Klima
Und das Klima ist gerade im dichtbesiedelten Raum Tokyo-Nagoya-Kyoto-Osaka-Kobe die meiste Zeit des Jahres über sehr angenehm. Im Frühling und Herbst bewegen sich die Aussentemperaturen um 25-28 Grad – jede Innenraumkühlung wäre überflüssig, ja ausgesprochen kontraproduktiv – denn Klimaanlagen wirbeln Staub auf und verstreuen Krankheitserreger flächendeckend in die Räume. Sie sind zweifellos die Ursache zahlloser Erkältungen und anderer Krankheiten. Nur in der feuchtheissen Sommerzeit kann eine Kühlung angenehm und notwendig sein. Im Winter müssen Arbeits- und Wohnräume beheizt werden, auch deshalb, weil fast alle Bauten miserabel wärmegedämmt sind.

Bene Müllers Szenario für die Energiewende in Japan
Das von Bene Müller als Antwort auf zahlreiche Publikumsfragen kurzfristig skizzierte Szenario für die japanische Energiewende stiess auf grosses Interesse und begeisterte. Es sieht vor, dass der Strombedarf der Industrienation Japan von aktuell ca. 1‘000 Terawattstunden jährlich (Deutschland ca. 500 TWh, Schweiz 60 TWh) in einem ersten Schritt bis 2025 zur Hälfte aus einheimischen, erneuerbaren Quellen gespeist wird. Der bisherige Anteil an Erneuerbaren liegt unter 10 % und wird von der Wasserkraft dominiert.

Umstellung auf Erneuerbare
Müller rechnet mit 50 % Windkraft, 25 % Photovoltaik, 5 % aus Biomasse (vor allem Holz aus bisher kaum genutzten Wäldern), 10 % Wasserkraft (Modernisierung bestehender Kraftwerke) sowie 10 % Geothermie. Die Gesamtkosten der Umstellung für 50 % Erneuerbare Energie werden auf ca. 360 Milliarden Euro grobgerechnet. Verteilt auf 10 Jahre wären dies 36 Mia. Euro jährlich. Zum Vergleich: Der Reaktorunfall in Fukushima hat bisher (!) geschätzte 150-200 Mia. gekostet. In diesem Betrag sind zahlreiche Verluste der Bevölkerung und der regionalen Wirtschaft nicht eingerechnet und die Kosten werden weiterhin ansteigen. Die Energiewende dagegen würde nach der Tilgung Energie beinahe zum Nulltarif erzeugen, Regionen und Land unabhängiger machen, die Wirtschaft beflügeln.

Klare Schlüsse
Bene Müller zieht aus seinen Berechnungen klare Schlüsse: „Es ist unverständlich, warum Japan den Umstieg zunächst der atomaren und direkt anschliessend der fossilen Stromerzeugung auf heimische erneuerbare Energien nicht entschlossener betreibt. Die heimischen regenerativen Energiepotentiale, besonders Wind und Sonne, aber auch Geothermie und Biomasse sind enorm und offensichtlich. Ihre Ausschöpfung würde die Handels- und Zahlungsbilanz Japans enorm verbessern. Zusätzlich wäre eine überwiegend regenerative Energiebereitstellung mit weitaus geringeren Risiken verbunden als diejenige aus Atom, Öl, Gas und Kohle.“

KMUs für die Energiewende
Überrascht und hocherfreut waren wir über das grosse Interesse aus Kreisen der kleineren und mittleren Unternehmen an der Energiewende. Zwischen Japan und Deutschland bestehen vielfältige Kontakte. Und so ist in Japan die deutsche Energiewende als eines der erfolgreichsten Wirtschafts-Förderungsmodelle der Geschichte erkannt worden, von welchem vor allem das Gewerbe, wie auch Land- und Forstwirtschaft profitieren. Die deutsche Energiewende hat – unter anderem durch die Gewerbesteuer – Geld auch in wirtschaftsschwache Regionen gespült und dessen Abfluss durch geringere Energieeinfuhren gebremst. Fortschrittliche und tatkräftige Bürgermeister – unabhängig ihrer Parteizugehörigkeit – haben gemeinsam mit der Bürgerschaft ihre Gemeinden energetisch auf Vordermann gebracht, Kindergärten gebaut, Schulen renoviert, Sportanlagen geschaffen. Musterbeispiele dafür sind etwa die Gemeinden Wildpoldsried und Rettenbach im Allgäu, der Rhein-Hunsrück-Kreis in Rheinland-Pfalz und viele andere. Die deutsche Energiewende gründet im Wesentlichen auf Bürgerbeteiligung (weshalb sie auch von den grossen Strom- und Kohlekonzernen als Bedrohung wahrgenommen und mit einer beispiellosen Medienkampagne bekämpft und vor einer hörigen Koalitionsregierung gebremst wird…)

Fachleute zu Besuch
So haben in den letzten Jahren zahlreiche Fachleute aus Japan Deutschland, in geringerem Masse auch Österreich und die Schweiz besucht, um sich zu informieren und zu lernen. Japanische KMUs erhoffen sich durch die Energiewende eine Belebung ihrer Regionen. Ihr nationaler Verband Chushokigyoka-Doyukai schlägt nun der Regierung im Rahmen der staatlichen Gewerbeförderung auch den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie und als Ziel die schrittweise Unabhängigkeit von fossilen wie nuklearen Energieträgern vor. Planer und Handwerker sollen für die Realisierung der Energiewende ausgebildet werden.

Aufbruch und Visionen gegen abstruse Gesetze, Lügen und Schikanen
Zahlreiche Menschen in Japan wünschen sich neue Wege in der Energiepolitik und Energieversorgung des Landes, entwickeln Visionen und machen sich auf den Weg zu deren Verwirklichung. Der Staat fördert erneuerbare Energie und insbesondere Photovoltaik mit grosszügen Einspeisevergütungen. Wer einige Jahre das Land nicht mehr besucht hat, ist überrascht und erfreut über die zahlreichen inzwischen gebauten PV-Anlagen – auf Dächern noch zaghaft, auf Freiflächen grosszügig. Gute Rendite und Sicherheit haben vor allem Grossinvestoren angezogen. So sind in Japan allein im Jahre 2013 ca. 7000 MW Photovoltaik zugebaut worden, was der installierten Leistung von 5-6 grossen AKWs entspricht.

Abstruse Gesetze
BürgerEnergieAnlagen wie in Deutschland gewinnen erst allmählich an Boden. Diese Verzögerung hat ihre Ursache auch in abstrusen Gesetzen, sowie in allerlei Schikanen der Netzbetreiber. So müssen beispielsweise bei Gemeinsschaftsanlagen die einzelnen Paneelgruppen bis 50 kW durch Zäune voreinander abgetrennt werden – was in der Realität eine echte Lachnummer abgibt.

Schwierig, kompliziert, dornenvoll
Der politische Weg zur Energiewende in Japan ist schwierig, kompliziert, dornenvoll. Der japanische Staat ist keine Demokratie im schweizerischen Sinne, sondern eher ein durch starke, verfilzte und undurchsichtige Mächte geprägter Feudalstaat. Geradezu klassisch die folgende Begebenheit : In der Präfektur Shimane haben engagierte Bürgerinnen und Bürger Unterschriften für eine Petition gesammelt (es gibt in Japan kein Initiativrecht des Volkes), um in der Präfektur Atomausstieg und Energiewende im Gesetz zu verankern. Das Achtfache der benötigten Unterschriftenzahl kam zusammen – das Präfekturparlament hat den Antrag kurzerhand abgeschmettert.

Irreführende Information
Die japanischen Medien liefern vielfach einseitige, inkompetente, irreführende Information zum Energiethema. Selbst das japanische Staatsfernsehen NHK – das noch vor kurzem durchaus auch kritische Beiträge ausgestrahlt hat – scheint heute ganz auf Kurs zu sein. So wurde im Juni – trotz ausdrücklicher Warnung eines hochkompetenten japanischen Energiefachmanns vor Ort – eine völlig schiefe, massiv irreführende Sendung zur Energiewende in Deutschland gesendet. Unverständlich sind die hohen Preise für die Installation von Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energie in Japan, namentlich Photovoltaik – etwa doppelt bis dreifach so hoch wie in Deutschland. Dies in einem Land mit einer leistungsfähigen eigenen PV-Industrie und billig produzierenden Nachbarn.

Alltag und Neubeginn in der Präfektur Fukushima
Die Präfektur Fukushima ist mit über 13‘000 km2 Fläche und knapp 2 Mio. Einwohnern vergleichbar mit schweizerischen Grossregionen (z.B. Ostschweiz). Die Hauptstadt Fukushima City (ca. 290‘000 Einwohner) liegt ca. 60 km Luftlinie vom Unfallreaktor entfernt – vergleichbar etwa mit der Distanz Bern-Basel – und wie diese beiden Städte durch ein Mittelgebirge getrennt.

Weite Gebiete um die AKW-Ruine sind noch immer stark verstrahlt und nur unter besonderen Bedingungen betretbar. Je nach gemessener Belastung betrifft dies Zonen von etwa 20-40 km Entfernung. Zum Vergleich: im Falle Mühleberg würden die gesamte Stadt Bern, wie auch die Stadt Biel in diese Zone fallen.

Bauern überzeugen
Satoshi Masashi Nemoto, Geschäftsführer des Kleinbauern-Verbandes Nominren der Präfektur (1400 Mitglieder) empfängt uns am Bahnhof Fukushima City. In der modernen, hellen Bahnhofhalle werben Poster und ein grosses Relief mit Wind- und PV-Anlagen für eine Präfektur Fukushima der erneuerbaren Energien. Nemoto-San ist ein rühriger Pionier. Er möchte seine Bauern überzeugen, in der Gegend auszuharren, wieder Reis, Gemüse und Obst anzubauen – und in Erneuerbare zu investieren – und zeigt uns gleich ein Beispiel einer gemeinschaftlichen PV-Anlage auf einem aufgelassenen Feld.

Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse aus dieser wunderschönen Kulturlandschaft werden stichprobenweise mit kostspieligen Geräten auf ihre Radioaktivität geprüft, bevor sie in den Verkauf kommen. Meistens sind die Werte unter der Grenze von 100 Becquerel /kg. Die meisten Produkte werden von lebensmittelverarbeitenden Firmen aus anderen Regionen Japans zu sehr tiefen Preisen aufgekauft und in Marktsegmente geliefert, wo kein Herkunftsnachweis verlangt ist.

Keine Einigkeit über Wegzug
Ob man besser in der Region Fukushima-City ausharren oder wegziehen soll, darüber sind sich auch im vierten Jahr nach dem Reaktorunfall die lokalen Mediziner nicht einig. Die Einen halten das Verbleiben unter bestimmten Vorsichtsmassnahmen für vertretbar. Die Anderen raten zum sofortigen Wegzug. Die gravierendsten gesundheitlichen Folgen der Verstrahlung zeigen sich erfahrungsgemäss erst nach 5 bis 6 Jahren.

Es gibt Hoffnung
So bleibt ein ungutes Gefühl. Die radioaktive Strahlung ist noch immer da, wenn auch meist unter den gesetzlichen Höchstwerten (diese sind übrigens keine wissenschaftliche Grösse, sondern eine Vereinbarung). Man sieht, riecht, spürt, hört und schmeckt sie nicht. Doch gibt es auch Hoffnung – Fukushima bedeutet „Glücksinsel“ – Hoffnung, dass die Visionen der Pioniere, die Argumente unabhängiger Sachverständiger und der Widerstand aus dem Volk – insbesondere der jüngeren Generation – obsiegen werden und Japan den Königsweg zur energetischen und nachhaltigen, prosperierenden Vorbildnation Ostasiens erfolgreich beschreitet.

©Text: Fritz Wassmann-Takigawa, Neuenegg (BE)

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