Roger Nordmann, Präsident von Swissolar: „Die Rolle des Staates hat nicht nur mit der kollektiven Dimension zu tun, sondern auch mit den Grenzen des Marktes:“

Roger Nordmann: Gibt es eine Energieversorgung ohne Staat?

(©RN) Verneine man die zentrale Rolle des öffentlichen Gemeinwesens in der Steuerung der Energieversorgung, so akzeptiere man letztlich feudalistische Verhältnisse. Anlässlich der gemeinsamen Jahrestagung der Association for the Study of Peak-Oil (ASPO) Schweiz und Deutschland vom 4. Oktober in Basel beleuchtete SP-Nationalrat und Swissolar-Präsident Roger Nordmann die Rolle des Staats in der Energieversorgung.


Seine Rede hat Roger Nordmann ee-news.ch freundlicherweise zur Verfügung gestellt:

Unter dem Titel „Die Rolle des Staats in der Energieversorgung“ werde ich keine Detailpräsentation der schweizerischen Energiewende geben: dazu gibt es sehr viele Präsentationen und Berichte, angefangen mit der bundesrätlichen Botschaft. Zu dieser nur Folgendes: sie berücksichtigt die ganze Energieversorgung, nicht nur Themen rund um den Strom.

Heute will ich eher einen Schritt rückwärts machen und der Frage nachgehen, ob es eine Energieversorgung und eine Energiewende ohne Staat geben kann?

Die Frage ist weder rein akademischer Natur, noch politisch irrelevant, denn die Gegner der Energiewende versuchen immer wieder den Schulterschuss mit den Ultraliberalen zu machen. Sie versuchen, die Wende mit dem Argument zu torpedieren, dass es zu viel Staatsinterventionismus brauche. Die Frage hat also eine ganz praktische Auswirkung.

Damit habe ich auch meine Wertevorstellungen offenbart:

  • Einerseits bin ich ein grosser Verteidiger der Energiewende. Das ist mein hauptpolitisches Projekt seit mehreren Jahren. Im Dezember werde ich auch Sprecher der vorbereitenden Kommission sein, um das Projekt der schweizerischen Energiewende im Nationalrat zu verteidigen.

  • Andererseits bin ich ein Sozialdemokrat, der deswegen keine absolute Marktgläubigkeit hat, keine Berührungsängste mit Staatsinterventionismus kennt, aber auch, wie wir sehen werden, die Grenzen des Interventionismus sieht.

Seit Menschengedenken hat die Energie eine starke kollektive Dimension
Um es vorweg zu nehmen: die Energieversorgung war fast immer ein kollektives Anliegen.

Man könnte bei der aller ältesten Form der Energieernte angefangen, nämlich bei der Jagd: Die Menschheit verdankt ihre Entwicklung dem Umstand, dass sie in Gruppen effizienter gejagt hat und grössere Tiere bis hin zum Mammut jagen konnte. Andererseits gibt es seit jeher Kämpfe um das Jagdrevier zwischen den Menschengemeinschaften. Im Gegensatz zu anderen Tierarten wie Füchse oder Tiger gibt es hier zwangsläufig eine kollektive Dimension, sonst hätte der kleine Mensch kein Mammut fangen können. Aber vielleicht ist das zu weit hergeholt.

Spätestens seit der Antike gibt es Energieernte im klassischen Sinne: Schon damals sind beinahe ganze Gemeinschaften wegen der exzessiven Abholzung der Wälder verschwunden. Gewisse Historiker erklären so den Niedergang der alten Griechen, weil die Energieressourcen übermässig ausgebeutet wurden. Aus individueller Sicht war das zwar vernünftig und rational, aus der kollektiven und Langzeitperspektive aber wurde es zum Desaster.

Weshalb gibt es fast immer diese kollektive Dimension?
Erstens ist es eine Knappheitsfrage:

  • Weil der Energievorrat entweder eine limitierte Ressource ist und somit die Versuchung der aktuellen Übernutzung zulasten des künftigen Nutzung immer da ist.
    ODER
  • Weil der Energiefluss an einem gegebenen Ort begrenzt ist und eine Konkurrenzsituation entsteht.

Zweitens ist die Ernte der Energie fast immer ein anstrengendes Unterfangen: Es müssen Vorkehrungen getroffen werden, welche die Kraft eines Individuums bei weitem übersteigen: Ölbohrungen, Aufbau von Netzwerken, Konstruktion von Hightech-Anlagen. Dabei spielt der Zeitfaktor eine grosse Rolle: die meisten dieser Vorkehrungen müsste, wie schon der Name sagt, vor der Ernte getroffen werden und erlauben, dann während Jahrzehnten Energie zu ernten. Energie ist also immer mit Investition verbunden und somit auch mit dem Bedarf nach Investitionssicherheit vor Rechtstattlichkeit und Schutz vor Raub, was wiederum die kollektive Dimension hervorruft.

Kollektiv ist es immer
aber nicht immer staatlich
Je nach historischen Kontexten wurde die kollektive Dimension anders gehandhabt. In hochentwickelten Gesellschaften denkt man natürlich immer an den Staat, wenn man an kollektive Handlungen denkt – einerseits wegen der inländischen Energiepolitik und andererseits wegen der Geopolitik. Wie Sie wissen, sind viele Industriestaaten ständig in Influenzkämpfe und sogar Kriege verwickelt, um den Zugang zum Öl zu sichern. Hier ist also die Rolle der Staaten klar sichtbar.

Es war und ist aber nicht immer der Staat, der die kollektive Dimension innehat.

Sehr oft ist es in der Geschichte vorgekommen, dass die Macht und das Kollektive eigentlich einem privaten Individuum unterstellt waren. Zum Beispiel dem mittelalterlichen feudalen Herrscher, der den Zugang zu Ressourcen regulierte und den Hauptgewinn daraus für sich gesichert hatte. Es gibt solche neuzeitliche Erscheinungen etwa in Form von Warlords.

Am anderen Ende des privaten Spektrums gibt es die Position der Ölmultis, welche de facto die Macht eines Staates erreicht oder sogar übertrifft. Diese Macht entsteht nicht unbedingt nur aus einer Beschlagnahmung der Ressourcen, sondern eventuell auch aufgrund der Beherrschung von technischen Mitteln und Anlagen, welche zur Ausbeutung der Ressourcen notwendig sind. Darauf komme ich später zurück.

Macht hat es also bei Energiefragen immer gegeben. Ausser vielleicht bei der exotischen Figur des Amerika-Pioniers, welcher mitten in einem Stück Wald eine Lichtung rodet und dort anfängt, mit seiner Familie autarkische Landwirtschaft zu betreiben und mit Holz heizt. Aber eben, Exotentum steht hier nicht zur Diskussion.

In fast allen modernen Gesellschaften spielt der Staat eine grosse strukturelle und regulatorische Rolle. Ob er dabei eine gute oder schlechte Politik macht, ist eine andere Frage, auf die ich ebenfalls noch zurückkomme.

Diese Rolle des Staates hat also nicht nur mit der kollektiven Dimension zu tun, sondern auch mit den Grenzen des Marktes.

Illusion des reinen Marktes

Oft wird der Markt als Alternative zum Staat im Energiewesen vorgeschlagen. So zum Beispiel in den Publikationen des liberalen ThinkTank AvenirSuisse oder in den energiepolitischen Papieren der FDP. Alle Probleme würden sich lösen, wenn man weniger Politik bei den Energiefragen hätte und dafür mehr Markt.

Als studierter Ökonom muss ich Ihnen etwas beichten: Viele Ökonomen sind schlecht, und das Fach neigt dazu, ihre wissenschaftliche Hypothesen und Annahmen mit der Realität zu verwechseln. Und dann noch ihre Erkenntnisse nicht als Wissen, sondern als Norm zu verkaufen bzw. zu predigen!

Die schlechten Ökonomen tun dies hauptsächlich mit einer tautologischen Aussage: "Der Markt sorgt immer für eine optimalen Allokation der Ressourcen".

Was auch immer die Frage ist, bringen sie diese Antwort. Zur Illustration bringen sie sodann das Beispiel einer Schuhfabrik: Wächst die Nachfrage nach Schuhen, steigen die Preise. Darauf wird mehr in Schuhfabriken investiert, so dass sich am Ende die Preise wieder auf dem vorherigen Preisniveau einpendeln. Die steigenden Preise im Falle einer erhöhten Nachfrage widerspiegeln die erhöhten Produktionskosten, wenn die Fabriken über der hundertprozentigen Auslastung arbeiten. Wenn aber erneut investiert wurde, pendelt sich der Preis wieder bei den langfristigen Gestehungskosten ein. Was immer auch die Umstände sind, gehen diese Ökonomen davon aus, dass die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital, Energie und Materialien ohne Knappheit verfügbar sind. Für Leder mag das stimmen. Es ist aber nicht immer so.

Sodann erstrecken diese Kreise ihre Erkenntnisse aus der Schuhwirtschaft bis zum Energiewesen. Sie erklären uns, dass im Fall einer erhöhten Erdölnachfrage eben mehr investiert wird – das kann ich noch nachvollziehen. Folglich werde mehr Erdöl "produziert".

Diese Aussage zeigt, wie verräterisch die Sprache sein kann: Es ist Ihnen wohl allen klar, dass man kein Erdöl produziert, sondern damit Geld verdient, indem man das Öl extrahiert. Dafür wird natürlich keinen Preis bezahlt: Es ist ja wohl auch allen klar, dass man im Gegenzug kein Geld ins Bohrloch injiziert.

Damit wird das allererste und grösste Marktversagen der Energiewirtschaft sichtbar:

  1. Man plündert die Ressource gratis und glaubt, damit etwas produziert zu haben. Die Generationen, welche dies tun, leben zu Lasten der nächsten Generationen, für welche die Ressource nicht mehr verfügbar sein wird. Es gibt zwar ein Markt, der oberflächlich den Preis setzt, aber er ist keineswegs nachhaltig. Dieser Preis widerspiegelt nicht die wahren Kosten und den künftigen fehlenden Nutzen. Daraus ergibt sich sicher keine optimale Allokation der Ressource.

  2. Die zweite Verzerrung ist natürlich die militärische, ob staatlich oder privat: Oft ist es nicht die ökonomische Theorie, welche die Ressource aufteilt, sondern die militärische Beschlagnahme. Diese bestimmt häufig auch die Menge der Extraktion. Hier gibt es letztlich eine gröbere Manipulation dieses angeblichen Marktes. Ich bin zwar kein Geostrategieexperte, aber es scheint mir plausibel, dass die ölexportierenden Länder ein Interesse daran haben, gewisse Konflikte im Nahe Osten zu belassen, damit nicht zu viel extrahiert wird und die Preise hoch bleiben. Auch das hat weniger mit optimaler Allokation der Ressource als vielmehr mit Optimierung der Situationsrendite zu tun.

  3. Die dritte grosse Verzerrung hängt natürlich mit den negativen Externalitäten, mit dem Verbrauch von Unmengen fossiler Energien und mit den kollektiv getragenen Katastrophenrisiken zusammen. Es ist die Zerstörung des Klimas, aber auch die lokale Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung, die zum Teil zulasten der aktuellen Generationen erfolgen, wogegen sich die Bevölkerung wehrt. Aber auch, und vielleicht hauptsächlich, geschieht dies zulasten der künftigen Generationen, welche ihre Interessen heute nicht verteidigen können. Auch dies hat wenig mit dem Optimum zu tun.

  4. Die vierte Verzerrung ist eine, welche gut gebildete Ökonomen eigentlich selber an ihrem Schreibtisch hätten entdecken könnten, wenn sie nicht Scheuklappen tragen würden. In einem Technologiefeld mit
    a) sehr hohen anfänglichen Investitionen (Bohrloch, Stauseen, Transportnetze, AKW, Solar),
    b) sehr langer Lebensdauer und
    c) tiefen Grenzkosten (ein zusätzliches Fass Öl zu extrahieren, eine zusätzliche Kilowattstunde Sonnenenergie zu produzieren oder eine zusätzliche Kilowattstunde Strom zu transportieren hat kaum Grenzkosten)

    hat man ökonomisch gesehen abnehmende Stückkosten. Jeder gebildete Ökonom weiss, dass dies zu einer Konzentration führt, zu einem Oligopol oder gar zu einem Monopol, so dass man das Erzeugnis über die Grenzkosten verkaufen kann, nämlich zum Niveau der mittleren Kosten oder sogar darüber hinaus, um mit einem Monopol Rendite zu schöpfen. Der Weg dazu ist ganz einfach: Je grösser ein Konzern ist, desto billiger produziert er und kann somit seine Konkurrenten aus dem Markt verdrängen.

  5. Eine fünfte Marktverzerrung ist die Kurzsichtigkeit und die Risikoaversion der Privaten. Der Bau eines Stromnetzes war beispielsweise eine superrentable Sache, musste aber oft vom Staat in Angriff genommen werden, weil es die Kraft und den Mut der Privaten übersteigerte.

All diese Verzerrungen zeigen, dass der Markt im Energiesektor nur sehr begrenzt funktioniert. Es gibt immer Machtfragen und es ist im Allgemeininteresse, dass der Staat auf diverse Art eingreift. Das plumpe Gerede der Marktverzerrung durch Staatseingriffe zu Gunsten eines "reinen" – verstehen Sie da "moralisch reinen" – Zustands ist grotesk.

Mir kommt nur eine Analogie in den Sinn: als ob man die Menschheit zum Zustand von Adam und Eva, also vor die Ursünde, zurückführen möchte. Übrigens: Die Analogie ist nicht von mir, sondern von der Glaubenskongregation der liberalen Ökonomen, die selber von "Sünde" spricht. Wohl eine Kommunikationsebene, wie sie die Kirche für einfache Gemüter erfunden hat.

Ist einmal die Marktromantik erledigt und hat sie insbesondere gezeigt, dass die Plünderung eines Vorrates kein funktionierendes Marktmodell ist, kann man nüchtern die Eingriffsmöglichkeiten des Staates sowie deren Grenzen anschauen. Schliesslich kann es auch zu einem Staatsversagen kommen.

Staatliche Instrumente der Energiepolitik

Der Staat hat eine Vielzahl von Instrumenten zur Verfügung, die er fast beliebig miteinander kombinieren kann. Eine ausführliche Beschreibung der Interventionsmöglichkeiten des Staates würde Bücher füllen. Hier nur stichwortartig ein paar Kategorien:

Der Staat kann

  • Unternehmen besitzen: im Strombereich hat das recht gut funktioniert und lange wenig Regulierungen gebraucht
  • Infrastrukturen bauen und eventuell betreiben. Typischerweise geschieht dies im ÖV-Bereich. Das schweizerische Bahnsystem zeigt, dass es nicht schlecht funktioniert
  • den Zugang zu natürlichen Ressourcen regulieren und bepreisen: z.B. durch Konzessionen, Wasserzinse usw.
  • finanziell über Besteuerung (Lenkungsabgabe), Versteigerungen oder im Gegensatz über Ausschreibungen oder finanziellen Beiträge lenken. Dazu gehören auch die steuerlichen Anreize, deren Zielgenauigkeit jedoch nicht immer optimal ist
  • vorschreiben oder verbieten. Er kann das prozessorientiert machen (zum Beispiel Katalysatoren) oder Output-orientiert (Normen zu Wärmedämmung).
  • über Forschung und Bildung einiges bewirken.
  • hat die Möglichkeit, die öffentliche Meinung und den Wissensstand der Bevölkerung zu beeinflussen (Beispiel durch Infokampagnen)
  • den Wettbewerb regulieren bzw. versuchen sicherzustellen, dass er entsteht. Umgekehrt kann auch das Monopol verschreiben und dessen Ausübung kontrollieren (zum Beispiel der Verteilnetzmonopol im Strombereich).
  • hat die Möglichkeit, internationale Verträge abzuschliessen.
  • verfügt über die militärische Macht (für die Schweiz vielleicht nicht wesentlich).

So weit so gut. Mit einer so schönen Werkzeugkiste sollte es möglich sein, die Energiewende durchzusetzen und zu einem Erfolg zu bringen, indem man die Instrumente richtig kombiniert und sie im richtigen Ausmass und in der passenden Ausgestaltung verwendet.

Selbst wenn es einen politischen Konsens zum Ziel gäbe und keine allzu bösartigen Sabotageversuche unternommen würden, ist die Anwendung kompliziert. Bevor ich zu Konsens und Sabotage komme, zwei Beispiele dieser Komplexität:

Zwei paradoxale Beispiele
Mietrecht
: Intuitiv denkt man, dass eine künstliche Versteuerung der fossilen Brennstoffe zu Investitionen und Energieeinsparung bei den Gebäuden führen sollte. Aber es gibt in der Schweiz im Detail ein kritisches Marktversagen bei Mietobjekten: Der Eigentümer muss das Geld in die Hand nehmen, aber die Nebenkosteneinsparungen gehen eigentlich an den Mieter. Damit fällt der Anreiz zum Investieren weg. Alleine die Verteuerung der Energie bringt es nicht. Hier muss viel subtiler vorgegangen werden, und es ist fast zwingend, neben Subventionsregulierungen auch im Vertragssystem zwischen Mieter und Vermieter einzugreifen – kein leichtes Unterfangen, wie Sie sich vorstellen können.

Stromerzeugung
: Jeder denkt, dass die Verteuerung der nicht erneuerbaren Energien zum vermehrten Einsatz von erneuerbaren Energien und zu vermehrten Investitionen zur Produktion solcher Energie führt. Die Detailbetrachtung zeigt aber zwei wesentliche Probleme: Erstens, wenn der Staat sich in einem offenen international Markt bewegt, kann diese erneuerbare Ersatzenergie aus Länder importiert werden, welche diese anders bewerten. Am Ende ist nicht so viel erreicht. Zweitens: Strom aus neuen Anlagen ist immer viel teurer als Strom aus bestehenden Anlagen, welche schon längstens amortisiert sind und kaum noch Kapitalkosten verursachen. Alleine eine Verteuerung der nicht erneuerbaren Energien reicht nicht: Die bestehenden Erneuerbaren kassieren dann einer solchen Situation Rendite und können je nachdem das Genick von Newcomern auf dem Markt brechen. Wenn anstatt von Fr. 0.05 pro KWh das Preisniveau in der Schweiz dank einer solchen Abgabe auf Fr. 0.08 erhöht wird, wird kaum jemand in eine neue Solar- oder Wasserkraftanlage investieren können, welche Fr. 0.14 Entstehungskosten hat. Es braucht also sicher noch ein Förderprogramm, welches Investitionssicherheit gewährleistet – das ist die Einspeisevergütung.

Fazit

Selbst mit viel gutem Willen ist es möglich zu irren und die Instrumente nicht zielführend einzusetzen. Das trägt eine Bezeichnung: Staatsversagen. Die Kombination über vier Staatsebenen von Gemeinde, Kantone, Bund und EU macht es natürlich noch bunter. Ein Overkill an Instrumenten ist möglich, genauso wie eine Bürokratiefalle. Plötzlich wird aus mehr weniger.

Ein weiteres Staatsversagen war die massive Förderung der Elektroheizungen in den 1970er Jahren. Hier hat das Instrument das Ziel erreicht. Das Ziel war aber falsch, wie sich jetzt herausstellt. Heute haben wir genau solche Risiken: Heisswasser mit dem Elektroboiler zu produzieren gilt als verpönt. Möglicherweise werden wir in 15 Jahren aber doch froh sein, wenn wir noch Elektroboiler haben, die wir als Abnehmer von überschüssiger stochastisch anfallender Elektroenergie verwenden könnten.

Die neue Energiepolitik, welche die Schweiz daran ist zu beschliessen, hat zwei klare Ziele: aus der Atomenergie auszusteigen und den fossilen Verbrauch substantiell zu reduzieren, und zwar bei gleichbleibender Energiesicherheit und gleichbleibendem Wohlstand. Sie versucht die Instrumente einigermassen gut zu kombinieren. Dadurch, dass wir schon in vielen Feldern Erfahrungen haben, ist es einfacher, diese richtig zu justieren. Die grösste Herausforderung liegt vielleicht darin, dass man nicht mehr ein bisschen Energieeffizienz und erneuerbare Energien am Rande des Systems implementieren, sondern das breitflächig machen will, was schliesslich die gesamte Struktur der Energiewirtschart umkrempeln wird. Man kann nicht mehr einfach sagen: ein bisschen mehr des Gleichen, extrapoliert.

Wenn Sie wollen, kann ich die grossen Züge dieser Schweizer Energiepolitik anhand von ein paar Grafiken aufzeigen.

Weder die Wirtschaft noch die Gesellschaft ticken wie ein Uhrwerk. Die Auswirkungen des Drehens einer Schraube sind nicht präzis vorausehbar am anderen Ende des Systems. Alle Individuen und Wirtschaftsakteure sind grundsätzlich frei. Man weiss nicht genau, wie sie reagieren.

Der Staat ist zudem kein Diktator oder Alleinherrscher, und er kann nicht einfach die vielen Akteure manipulieren und spontan optimale Verhaltensweisen bei der Bevölkerung und bei den Wirtschaftsakteuren herbeiführen, denn zum Glück leben wir nicht in einem totalitären System.

Mit anderen Worten: Selbst ohne Fehler und böse Absichten kann es anders kommen, als man will. Somit kann man auch gutgläubig unterschiedlicher Meinung sein, welches die richtigen Instrumente zum Gelingen der Energiewende sind.

Damit eröffnet sich für die Gegner der Energiewende ein erstes grosses Aktionsfeld: das sogenannte "Instrument Droping". Steht ein Instrument zum Entscheid bereit, sagt man, dass es eben nicht das richtige sei. Die FDP ist Meisterin dieser Kunst geworden: Wenn Lenkungsabgaben zur Diskussion stehen, sagt sie, es koste zu viel, man müsse über das angeblich effizientere Instrument der Normen eingreifen. Und wenn Normen zur Diskussion stehen, sagt die FDP, dass sei bürokratisch, man müsse über wirtschaftlich lenkende Instrument das Ziel erreichen.

Demokratie, Werte und Vision: Will der Staat überhaupt die Energiewende vorantreiben?

Das Allerschwierigste liegt aber vielleicht anderswo: erreichen, dass der Staat das Richtige will. In einer Demokratie können alle mitsprechen, was natürlich die Entscheidungsfindung nicht vereinfacht. Zudem ist der Politikbetrieb stark von der Interessenlage der unterschiedlichen Stakeholder beeinflusst.

Zudem ist die Energiepolitik nur eines von vielen Politikfeldern. Der Staat hat noch andere Zwänge wie die Gerechtigkeit, die Steuerpolitik und und und... Manchmal gibt es Synergien: Die breitflächige Reduktion des Energieverbrauch erhöht die Gerechtigkeit, weil die überproportional hohe Energierechnung die tiefen Einkommen reduziert. Möglicherweise können aber Fördermassnamen wie Zuschüsse für Wärmedämmung nur von Wohlhabenden in Anspruch genommen werden, was dem Gerechtigkeitsziel zuwiderläuft.

Im Prozess der schweizerischen Energiewende ist diese Konsensfindung eigentlich das Anstrengendste: Über technische Aspekte kann man immer diskutieren, aber das allerwichtigste ist, das es eine stabile Mehrheit von Akteuren und Interessengruppen gibt, die einverstanden sind, die Wende voranzutreiben.

Da kann man natürlich nicht einfach von Fall zu Fall Kompromisse und Deals abschliessen. Es braucht eine gemeinsame Vision und ein gewisser Wertekonsens. Dieser hat sich eigentlich schon vor dem Atomunfall von Fukushima abgezeichnet, als wir schrittweise die Einspeisevergütung der CO2 Abgabe und das Gebäudeprogramm eingeführt haben. Diese Basis hat erlaubt, den eigentlichen Entscheid zur Wende herbeizuführen.

Und da sollte ich besser vorsichtig sein, denn der Konsens ist nur vorläufig gesichert: erstens ist der politische Prozess im Parlament noch nicht abgeschlossen und zweitens wird es wohl zwei Volksabstimmungen geben: eine über die Initiative zum Atomausstieg und die andere wegen des voraussehbaren Referendums gegen das neue Energiegesetz.

Die Positionierung der politischen Behörden hängt natürlich auch stark von der Stimmung in der Gesellschaft ab. Das steigende Bewusstsein für Umweltfragen und für die Energieproblematik schafft eine positive Grundlage für die Umsetzung der Energiewende. Unsere Gegner wissen das ganz genau und versuchen diese allgemeine Stimmung ins Negative zu manipulieren. Deshalb ist es so wichtig, dass man sich an Tagungen wie heute und anderswo für die Energiewende engagiert, indem man die Probleme der Energieversorgung und der Umwelt anspricht und das Bewusstsein steigert.

Last but not Least: Hinter der Frage nach der Rolle des Staates versteckt sich eine grundlegende Demokratiefrage. Da es sowieso diese kollektive Dimension in der Energieversorgung gibt und man weit von einem funktionierenden Markt entfernt ist, ist in der Energieversorgung die Machtfrage zentral. Verneint man eine zentrale Rolle des öffentlichen Gemeinwesens in der Steuerung des Systems, akzeptiert man letztlich feudalistische Verhältnisse: einzelne Individuen konzentrieren die Macht. Das will ich nicht, denn ich bin ein Demokrat.

Und in der Energiepolitik hat der Demokratiebegriff zwei Dimensionen:

  • die Demokratie als Regime zur Steuerung des Staates und der lokalen Behörden
  • sowie die Dezentralisierung der Energieproduktion, die nichts anderes als eine Demokratisierung ist.

©Text: Roger Nordmann, SP Nationalrat und Präsident Swissolar

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