Führende Mitglieder des Weltklimarats: Thomas Stocker, Professor Universität Bern, Youba Sokona, Koordinator African Policy Centre, Chris Field, Direktor Carnegie Instituts für globale Ökologie. ©Foto: T. Rütti

«Das SwissECS ist die führende Plattform in der Schweiz für den Austausch über Energie- und Klimafragen», so Bundesrätin Doris Leuthard im Gespräch mit Moderator Reto Brennwald. ©Foto: T. Rütti

Unter dem Titel «The Big 3 – Challenges – Change – Cash» diskutierten Daniela Decurtins (VSG), Suzanne Thoma (BKW) und Jasmin Staiblin (Alpiq) über die grossen Transformationen in der Strom- und Energiebranche. ©Foto: T. Rütti

«Ein Schlüsselelement für die Energiewende ist Flexibilität – die Erzeuger, aber auch die Verbraucher von Energie, müssen flexibler werden», ist Oliver Stahl (EnerNOC) überzeugt. ©Foto: T. Rütti

Der sogenannte Volocopter, ein mit einer Hochleistungsbatterie und 18 elektrisch angetriebenen Rotoren betriebener Copter, steht kurz vor der Kommerzialisierung. ©Foto: T. Rütti

Der 29-jährige Doktorand Jacob DeWitte entwickelte als Gründer und CEO der UPower Technologies eine Nuklearbatterie mit zwei Megawatt Leistung und zwölf Jahren ununterbrochener Laufzeit. ©Foto: T. Rütti

«Wir wollen weg von nuklearen und fossilen Energien, weil sie grosse Risiken bergen. Aber wir sind nicht bereit, den neuen, alternativen Energiequellen eine faire Chance zu geben»: Johannes Lackmann.

Nicht-Automobilist Beat Kappeler: «Beim Match der 11-Jährigen: Mehr Autos auf dem Parkplatz als Fahrräder im Veloständer». ©Foto: T. Rütti

SwissECS: UNO-Klimarat zu Gast am 3. Swiss Energy & Climate Summit

(©TR) Die Umsetzung von neuen Ideen, innovative Projekte sowie effiziente Lösungen mittels neuen Technologien: Darum ging es in den Keynote-Referaten, Podiumsdiskussionen und Workshops des 3. Swiss Energy and Climate Summit (SwissECS). Rund 30 Referenten präsentierten ihren Lösungsvorschlägen auf, wie man den Klimawandel endlich in den Griff bekommen könnte ca. 600 Teilnehmende.


«Unsere Erde ist wunderschön, aber auch sehr verletzlich. Es braucht sehr wenig, um ihr Gleichgewicht zu stören.» Dies sagte der Tier- und Naturfilmer Ruedi Abbühl. Der Zoologe und Chemiker reist regelmässig in die entlegensten Winkel der Erde, gerne auch in die Arktis. Spürbar wurde die Faszination in seiner Filmdokumentation mit all diesen imposanten Landschaften und freilebenden Tieren. Der Anblick der atemberaubenden Schönheit von Natur und Tierwelt stimmte gleichsam auch nachdenklich. Denn: «Welche Massnahmen können und müssen wir konkret ergreifen, um das Klima- und Energieproblem in den Griff zu bekommen?», wollte Moderator Reto Brennwald vom Publikum wissen.

600 Teilnehmende, 30 Referenten, anderthalb Tage Debatten
Die rund 600 Teilnehmenden wurde aufgerufen, zusammen mit den 30 (!) Referenten anderthalb Tage lang Antworten auf die Gretchenfrage zu finden. Ueli Winzenried unterstrich die Dringlichkeit, sich mit dieser Problematik zu beschäftigen: «Ich habe manchmal das Gefühl, wir konsumieren und konsumieren und verbrauchen Rohstoffe und irgendwann kommt dann mal die Rechnung. Nein, so kann es nicht weitergehen», so der SwissECS-Präsident. Ebenfalls eine Einstimmung auf die Tagung bot eine NZZ-Verlagsbeilage. Diese enthielt unter anderem einen Faktenspiegel mit dramatischen Tatsachen. Daraus vier Beispiele:

  • Mehr als 85 Prozent der weltweit gewonnenen Energie ist fossil: 33 Prozent Erdöl, 30 Prozent Kohle, 24 Prozent Erdgas, 6 Prozent Wasserkraft, 5 Prozent Kernenergie und 2 Prozent andere
  • 48 Millionen Tonnen CO2-Emissionen verursacht die Schweiz in einem Jahr. China, Indien und die USA kommen zusammen auf die gleiche Menge in einem Tag.
  • Um 50 Prozent wird der Energieverbrauch der Erde in den nächsten 20 Jahren vermutlich noch steigen. Das Wachstum findet zum grossen Teil in Asien und in den Entwicklungsländern statt.
  • 11'500 Liter pro Sekunde Kerosin werden vom Luftverkehr verbraucht. Dies summiert sich auf eine Milliarde Liter pro Tag.

Im Vorfeld des Synthese-Klimaberichts
Ein Programmhöhepunkt war der Auftritt der führenden Mitglieder des Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC, Weltklimarat genannt. Die drei Co-Chairs der Arbeitsgruppen traten zum ersten Mal gemeinsam in der Schweiz auf: Prof. Thomas Stocker, Professor an der Universität Bern, Prof. Chris Field, Direktor des Carnegie Instituts für globale Ökologie an der Stanford Universität, und Dr. Youba Sokona, Koordinator des African Policy Centre. Sie präsentierten Auszüge aus dem im Oktober 2014 zu erwartenden Synthese-Klimabericht.

Für die Vertreter des Weltklimarats ist es leider keine Frage: Die Klimaerwärmung findet tatsächlich statt und schreitet schier unaufhaltsam voran, allen bisherigen Gegenmassnahmen und Absichtserklärungen zum Trotz. Ein Grund für die Beschleunigung des Temperaturanstiegs liegt auch darin, dass zur Stromerzeugung zunehmend auf Kohle gesetzt wird. Es brauche jetzt ein sehr starkes Engagement, um den Temperaturanstieg zu kompensieren und langfristig auf zwei Grad zu limitieren. Dazu müsste weltweit rasch sehr viel geschehen, zum Beispiel die saubersten und neusten Technologien für alle, ein höheres Ressourcenbewusstsein, der Einsatz von erneuerbaren Energien, Effizienz in allen Belangen sowie Änderungen bei der Lebensweise - Verzicht und Einschränkungen statt weiterhin mit der grossen Kelle anrühren.

Bundesrätin Leuthard verteidigt Förderung der Grosswasserkraft
Angesichts eines weltweit steigenden CO2-Ausstosses bestehe klimapolitisch dringend Handlungsbedarf, sagte die UVEK-Vorsteherin Doris Leuthard am Branchengipfel in Bern. Erfreulich sei aber immerhin, dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der weltweiten Stromerzeugung unablässig wachse. Laut der Internationalen Energieagentur IEA würden die Erneuerbaren bis 2020 die installierte Leistung fossiler Stromproduktion überholen! Ebenfalls Grund zur Hoffnung bestehe, weil sich die USA neuerdings verantwortlicher zeige: Das Land bringe sich aktiv in die klimapolitische Diskussion ein, rede mit China und fordere auch in Amerika selbst die Reduktion der CO2-Emissionen. Seinen Beitrag leisten wolle aber auch unser Land, das einen Anteil am weltweiten CO2-Ausstoss von 1.2% Prozent hat.

«Eine CO2-freie Wirtschaft erfordert Geduld und Investitionen in die Forschung und Entwicklung», so die UVEK-Vorsteherin. Massnahmen im Klimabereich und in der Energiepolitik müssten immer wieder aufs Neue überprüft und neuen Gegebenheiten angepasst werden. Doris Leuthard sprach sich am SwissECS auch für die geplante Förderung der Grosswasserkraft aus und sagte zudem, die Schweiz müsse sich allmählich entscheiden, ob sie langfristig mehr inländische Produktion oder mehr Stromimport wolle. «Energieeffizienz ist der wichtigste Pfeiler unserer Strategie zur Reduktion des Energieverbrauchs. Das grösste Energiesparpotential liegt beim Verkehr und den Gebäuden», so Bundesrätin Leuthard.

«Es betrifft die ganze Bevölkerung»
Unter dem Titel «The Big 3 – Challenges – Change – Cash» diskutierten Daniela Decurtins, Direktorin des Verband Schweizerische Gasindustrie (VSG), Suzanne Thoma, CEO der BKW AG, und Jasmin Staiblin, CEO der Alpiq Holding AG mit Moderator Reto Brennwald über die grossen Transformationen in der Strom- und Energiebranche. «Unsere Branche wird über Jahre hinweg stark durchgeschüttelt werden», so Jasmin Staiblin gleich zu Beginn des Gesprächs. Es sei hier aber nicht bloss von einer Umstellung bei den Energieunternehmen die Rede. Das Ganze betreffe vielmehr jeden einzelnen Bürger, denn letztlich stehe die Versorgungssicherheit mit Energie zur Debatte. Die Probleme müssten auch im Interesse der Bevölkerung möglichst gut und rasch gelöst werden. «Wir lernen so schnell wie wir können und versuchen mit erneuerbaren Energien zu arbeiten», versicherte Suzanne Thoma. Die promovierte Chemikerin wies aber auch darauf hin, dass die BKW auch ihren Aktionären und Mitarbeitern verpflichtet sei und wirtschaftlich denken müsse. Daniela Decurtins unterstrich zudem, dass stabile rechtliche Rahmenbedingungen enorm wichtig seien, damit sich die Energieunternehmen erfolgreich neu positionieren könnten.

«Der Wettbewerb im Energiesektor ist verzerrt
»
«Wir wollen weg von den nuklearen und den fossilen Energien, weil sie grosse Risiken bergen und der Umwelt schaden. Aber wir sind nicht bereit, den neuen, alternativen Energiequellen eine faire Chance zu geben», erklärte der deutsche Elektroingenieur Johannes Lackmann. Der Wettbewerb werde verzerrt, da die Kosten für die Energieproduktion nicht richtig integriert würden, so der Geschäftsführer der WestfalenWIND GmbH, der bis 2008 neun Jahre lang als Präsident des deutschen Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) amtete und in dieser Funktion unter anderem für Subventionen kämpfte. «Die herkömmlichen Energieproduzenten müssten auch wirklich alle Kosten, die sie verursachen, tragen, dann wären die neuen Technologien konkurrenzfähig», ist er überzeugt. Auch Subventionen für erneuerbare Energien, die seiner Meinung nach heute zu einfach und zu einseitig verteilt würden, würden sich dadurch erübrigen.

Neue Wege zur Stromgewinnung und Energieeffizienz
Drei Start-ups im Bereich alternative Energiegewinnung und Energieeffizienz erhielten die Gelegenheit, ihre Unternehmen am SwissECS vorzustellen: Stefan Müller, CEO von glass2energy, präsentierte die von seiner jungen Firma mit fünfzehn Mitarbeitenden entwickelten Farbstoffsolarzellen aus Glas, die zur Stromerzeugung an der Fassade von Gebäuden angebracht werden.

Als Co-Founder der erst einjährigen Firma OsmoBlue Sàrl arbeitet Elodie Dahan an einem Verfahren, das mit Hilfe eines natürlichen Konzentrationsausgleichs zwischen zwei durch eine Membran getrennte Flüssigkeiten erlauben soll, auch geringe Industrieabwärme in Elektrizität umzuwandeln.

Das von Christian Deilmann 2011 gegründete und als CEO geführte Unternehmen tado° mit heute 40 Mitarbeitenden vertreibt bereits erfolgreich intelligente Heizungssteuerungssysteme, die es ermöglichen, die Heizkosten und den CO2-Ausstoss um bis zu 14 bis 31 Prozent zu reduzieren.

Steigender Energiebedarf, vor allem in den Schwellenländern

«Wächst die Wirtschaft, nimmt auch der Energiebedarf zu», schlussfolgerte Barbara Frei, Leiterin des Bereichs «Antriebe und Steuerungen» bei ABB und Swisscom-Verwaltungsrätin. Um den steigenden Energiebedarf – vor allem auch in Schwellenländern – decken zu können und die Umwelt weniger zu belasten, müsse die Energieeffizienz jetzt dringend gesteigert werden. Laut der Maschinenbauingenieurin existierend entsprechende effizientere Antriebssysteme bereits. Es sei aber schwierig, sie zu verkaufen, da die Unternehmen das Geld für die etwas teureren Motoren zum Teil nicht aufbringen wollten.

Ähnlich argumentierte der Sozialwissenschaftler Beat Kappeler in seinem mit pointierten Beobachtungen gespickten Referat. «Alle sprechen von Energieeffizienz. Wir müssen uns sinnlose Angewohnheiten wie das Pendeln zur Arbeit über immer längere Strecken abgewöhnen, um das Energieproblem in den Griff zu bekommen. Tragen am Sonntagnachmittag 11-Jährige ein Fussballspiel aus, sieht man auf dem Parkplatz mehr Autos als Fahrräder im Veloständer!» Der «NZZ am Sonntag»-Kommentator und ehemalige Gewerkschaftssekretär kritisierte ausserdem die Regierungen, die die  rechtlichen Rahmenbedingungen
zu oft änderten oder einseitig Technologien fördern würden.

Eine Batterie, die 2000 Haushalte mit Strom versorgen kann
Professor Jeffrey Grossman (Massachusetts) bot einen Einblick in seine Forschungstätigkeit. Jedes Atom könne in naher Zukunft genau in die Form gebracht werden, in der es uns am meisten nutze. Der Physiker sieht darin eine grosse Chance, effizient Energie gewinnen zu können. So werde heutzutage Kohlenstoff zur Energiegewinnung vor allem verbrannt. Verwende man Kohlenstoff hingegen um Solarzellen zu bauen, könne mit derselben Anzahl Atome ein Vielfaches an Energie erzeugt werden.

Der 29-jährige Doktorand Jacob DeWitte entwickelte als Gründer und CEO der UPower Technologies eine Nuklearbatterie mit zwei Megawatt Leistung und zwölf Jahren ununterbrochener Laufzeit. Sein Unternehmen wurde 2013 in Boston an der Jungunternehmer-Challenge aus 1200 jungen Firmen zum hoffnungsvollsten Startup erkoren. Die Batterie ist so gross wie ein Schiffscontainer und kann 2000 Haushalte mit Strom versorgen. In fünf Jahren möchte der Amerikaner in Serienproduktion gehen. «Die Technologie verfügt über das Potential, die Energieversorgung zu revolutionieren.»

«Ein Schlüsselelement für die Energiewende ist Flexibilität – die Erzeuger, aber auch die Verbraucher von Energie, müssen flexibler werden», ist Oliver Stahl, Managing Director Europe von Entelios und EnerNOC, überzeugt. Die Firma entwickelt Software, die ein virtuelles Energiesystem erzeugt. Es nutzt automatisierte Industrieprozesse wie Kühlen oder Pumpen als Energiespeicher. Seit kurzem ist das Unternehmen auch in der Schweiz tätig und kooperiert unter anderem mit der BKW.

Von der Vision zur Realität: Noch ist es nicht ganz soweit
Alexander Zosel, Geschäftsführer der deutschen e-volo GmbH, wartete zum Abschluss des SwissECS mit einem neuen Verkehrssystem für den effizienten Personentransport von morgen auf. Der sogenannte Volocopter, ein mit einer Hochleistungsbatterie und 18 elektrisch angetriebenen Rotoren betriebener Copter, steht dem Vernehmen nach kurz vor der Kommerzialisierung. Der vorgestellte Prototyp kann zwei Personen effizient und umweltfreundlich auf dem Luftweg transportieren. Die längerfristige Vision: eine Luftstrasse über den bestehenden Schweizer Autobahnen mit rund 120 Multicoptern à je zwölf Sitzplätzen zwischen Bern und Zürich. Aufgrund des noch erforderlichen Fortschrittes im Bereich der Batterietechnologie ist diese noch etwas utopisch klingende Transportmethode wohl erst in ein paar Jahren umsetzbar.

©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch

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