Intelligente Netze, die Smart Grids, innovative Speichertechnologien und Energiemanagement-Systeme ermöglichen es künftig, regenerative Energie dann zu nutzen, wenn sie benötigt wird. ©Bild: IAO Fraunhofer

Fraunhofer: Energie intelligent managen

(©BN/Fraunhofer) Solarparks, Windräder, Biomasse-Anlagen — immer mehr elektrische Energie stammt aus dezentralen und volatilen Quellen. Tendenz weiter steigend. Doch Wind- und Sonnenenergie sind abhängig von Wetter und der Tageszeit. Intelligente Netze, die Smart Grids, innovative Speichertechnologien und Energiemanagement-Systeme ermöglichen es künftig, regenerative Energie dann zu nutzen, wenn sie benötigt wird, und das Stromnetz stabil zu halten.


Neuer Rekord: Im vergangenen Jahr stammte jede vierte verbrauchte Kilowattstunde Strom aus Wind-, Solar-, Wasser-, Biogas- und Erdwärmekraftwerken. Insgesamt wurden etwa 150 Mrd kWh aus Erneuerbaren Energien gewonnen, so die Bilanz des Bundesverbands der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft. Und in Zukunft wird noch mehr elektrische Energie aus Wind, Sonne, Wasser und Biomasse erzeugt. Ziel der Bundesregierung ist, dass im Jahr 2050 etwa 80 Prozent des benötigten Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen. Doch das stellt die Energiewirtschaft vor grosse Herausforderungen: Denn künftig wird der Strom nicht mehr von grossen Kraftwerken, sondern von vielen kleinen Erzeugern geliefert. Dennoch müssen Produktion und Verbrauch im Stromnetz jederzeit im Gleichgewicht sein. Aber leider bläst der Wind und scheint die Sonne nicht immer dann am stärksten, wenn der Strombedarf am höchsten ist.

Intelligentes Energiesystem erfordert
Die Energiewende erfordert ein intelligentes Energiesystem mit Speichern, um Fluktuationen auszugleichen«, sagt Prof. Eicke Weber, Sprecher der Fraunhofer-Allianz Energie und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg. Um künftig das Potenzial der umweltfreundlichen und nachhaltigen Stromerzeugung aus Sonnenenergie und Windkraft optimal nutzen zu können, muss man Angebot und Nachfrage besser aufeinander abstimmen. Dafür werden Smart Grids, neue Speicher-Technologien sowie Systeme benötigt, mit denen sich Stromerzeugung und Bedarf regeln lassen. »Ein wichtiger Baustein ist die Integration moderner Informations- und Kommunikationstechniken ins Energienetz«, erläutert Dr. Peter Bretschneider, der den Bereich »Intelligente Energienetze« der Allianz koordiniert.

Wie das in der Praxis aussehen kann, wird auf der Insel Pellworm untersucht. Dazu haben Experten ein Smart Grid aufgebaut. Darin kombinieren sie das vorhandene Hybridkraftwerk, das aus einem Windrad und Solaranlagen besteht, mit einem dezentralen, hybriden Speichersystem, in dem Strom und Wärme gelagert werden. An dem Projekt »Smart Region Pellworm« unter der Konsortialführung der E.ON Hanse AG arbeiten e.on, FH Westküste, Saft, IFHT, RWTH Aachen, Gustav Klein, Schleswig-Holstein Netz AG sowie die Fraunhofer-Institute für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB, Institutsteil Angewandte Systemtechnik AST, und für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT. Das Vorhaben fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Wird mehr Energie erzeugt als benötigt, fliesst diese in Hochleistungsbatterien sowie in dezentrale Akkumulatoren und Elektrospeicherheizungen in den Haushalten. Bei schlechtem Wetter und wenig Wind liefern dann die Speichersysteme Energie. Für konstante Spannung im Netz sorgen zwei neue Transformatoren. Sie regeln die Spannung automisch auf die benötigten 400 Volt – egal wie viel Strom Wind- und Solaranlagen liefern. Gesteuert wird das intelligente Netz von einem Energiemanagement-System, das Forscher vom AST entwickelt haben. Es sorgt dafür, dass Energie-Erzeugung und -Verbrauch ausbalanciert sind.

Lokale intelligente Stromnetze
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch »Greencom«. In dem von der Europäischen Kommission unterstützten Forschungsvorhaben entwickeln und erproben internationale Partner aus Wissenschaft und Industrie ein »Smart Energy Management System«, um die Erzeugung und den Verbrauch im Stromnetz auf lokaler Ebene zu steuern. Dazu werden Haushalte und Betriebe mit intelligenten Stromzählern (Smart Meter) sowie zusätzlichen Sensoren, beispielsweise zur Temperaturmessung, vernetzt. Nahezu in Echtzeit sammelt und wertet das System sowohl die Verbrauchsdaten der einzelnen Haushalte aus als auch den Stromertrag der regenerativen Energieerzeuger. Anhand dieser Daten lässt sich vorhersagen, wie das Stromangebot und die -nachfrage in den kommenden vier Stunden aussieht.

greencom-project.eu
»Haushaltsgeräte, die viel Strom benötigen, wie etwa Wärmepumpen, Kühlgeräte, Waschmaschinen oder Elektrofahrzeuge, sind mit System vernetzt. So lässt sich ihr Einsatz steuern«, erklärt Daniela Fisseler vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT. Wird viel Strom produziert, laden sich zum Bespiel die Elektroautos auf. Derzeit wird das System zusammen mit dem lokalen Stromnetzbetreiber auf der dänischen Insel Fur installiert, um die verschiedene Lösungsansätze im Praxisbetrieb zu erproben.

»E-Energy – Smart Energy made in Germany«
Wichtige Erkenntnisse für das Stromnetz der Zukunft hat vor allem auch das Technologieprogramm »E-Energy – Smart Energy made in Germany« geliefert. Von 2008 bis 2013 erforschten und erprobten Industrie und Wissenschaftskonsortien – darunter auch zahlreiche Fraunhofer-Institute – in sechs Smart-Energy-Regionen den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechniken im Stromnetz. Dabei entwickelten die Beteiligten Schlüsseltechnologien sowie Geschäftsmodelle für das »Internet der Energie«. Es wurden unter anderem automatisierte Steuerungs- und Regelsysteme bei Erzeugungsanlagen und Endgeräten, IKT-Gateways, Smart Meter, intelligente Speichermodule, Prognose- und Abrechnungssysteme, benutzerfreundliche Online-Ratgeber sowie Anzeige- und Bediensysteme getestet. Das Technologieprojekt förderte der Bund mit 60 Mio Euro, die Wirtschaft trug 80 Mio Euro bei.

Virtuelles Kraftwerk bündelt kleine Erzeuger
Diese und weitere Modellprojekte zeigen, dass Smart Grids auf lokaler Ebene funktionieren. Aber lassen sich auch grössere Regionen oder gar ein ganzes Land zuverlässig mit grünem Strom versorgen? Ist es überhaupt möglich ein nur mit regenerativer Energie gespeistes deutschlandweites Netz stabil zu betreiben? Diese Fragen haben Wirtschaft und Wissenschaft in dem Projekt »Kombikraftwerk2« untersucht. Ihr positives Fazit: »Wenn erneuerbare Energien in Kombikraftwerken verknüpft und gesteuert werden, können sie zusammen mit Speichern jederzeit den Bedarf decken und für eine stabile Frequenz und Spannung im Netz sorgen«, fasst Dr. Kurt Rohrig, stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES in Kassel, die Ergebnisse des Ende 2013 ausgelaufenen Projekts zusammen.

Aber wie funktioniert das Kombikraftwerk?
Über eine Softwareplattform werden viele kleinere Erzeuger als ein virtuelles Kraftwerk zusammengefasst. So lassen sich regionale Unterschiede bei Wind und Sonne durch das Stromnetz oder regelbare Biogasanlagen ausgleichen. Überschüssiger Strom wird gespeichert oder in Wärme umgewandelt. Mit Hilfe der Softwareplattform kann man die im virtuellen Kraftwerk zusammengeführten Anlagen nicht nur verwalten und überwachen, sondern auch die erzeugte Energie – etwa an der Strombörse – zentral vermarkten.

kombikraftwerk.de
Derzeit sind unsere Stromnetze noch nicht auf wechselhaften Stromverbrauch und eine schwankende Stromerzeugung vorbereitet. Unterstützung für die notwendige Umgestaltung bieten Forscher der Universität Kassel und des IWES gemeinsam mit einem Industriearbeitskreis im Projekt »OpSim« an. Sie entwickeln Test- und Simulationswerkzeuge für die integrierte Steuerung, Betriebsführung und das Energiemanagement der Übertragungs- und Verteilnetze. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit gefördert. »Mit OpSim können Steuer- und Regelungsmechanismen und ihre Wechselwirkung wie zum Beispiel virtuelle Kraftwerke mit intelligenten Netzbetriebsführungsstrategien, im Stromnetz unter realistischen Bedingungen getestet werden«, erläutert Projektleiter Dr. Frank Marten vom IWES den Ansatz des Projekts.

opsim.net
Aber nicht nur Energieerzeuger und Netzbetreiber benötigen ausgeklügelte Energiemanagement-Systeme. Auch Unternehmen wollen ihren Strombedarf intelligent und effizient steuern. Schon heute erzeugen zahlreiche Firmen etwa über Solarmodule oder Biogasanlagen selbst Energie, um Kosten zu sparen. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg haben dynamisch agierende Energiemanagementsysteme entwickelt. Darüber lassen sich dezentrale Stromerzeuger, Speicher und der aktuelle Verbrauch regeln.

Trainierte neuronale Netze
Damit das System vollautomatisch arbeiten kann, erfasst man für die Grobplanung zunächst, wie viel Energie an diesem Tag benötigt und wie viel Strom voraussichtlich produziert wird. In der Feinplanung werden die Informationen für die kommenden 15 Minuten bereitgestellt. Um das vorhersagen zu können, nutzen die Forscher speziell für die jeweilige komplexe Infrastruktur trainierte neuronale Netze. »Es ist ein Umdenken von der heute verbrauchsorientierten Energieerzeugung hin zum erzeugerorientierten Verbrauch notwendig«, betont Dr. Przemyslaw Komarnicki vom IFF.

Smartes Energiemanagement für die Chemieindustrie
Gemeinsam mit der Compello GmbH und der Somentec Software GmbH haben Fraunhofer-Forscher sogar ein TÜV-zertifiziertes System für das Netznutzungsmanagement der Firma Dow an deren mitteldeutschen Standorten in Schkopau und Böhlen etabliert. Für die dortige Produktion von Polymeren sind grosse Mengen an Energie und Rohstoffen erforderlich. Eingebunden in die Liefer- und Leistungsketten von Dow beziehen die Unternehmen einen Grossteil der Energie von dem Chemieparkbetreiber. Nur mit einer leistungsfähigen IT-Lösung lassen sich die umfangreichen Mess- und Verbrauchswerte verwalten, die Energie effizient nutzen und die Vorgaben der Bundesnetzagentur einhalten. Diese Anforderungen erfüllt die Software für Energie- und Energiedatenmanagement EMS-EDM PROPHET® vom AST.

Nach 6 Monaten in Produktivbetrieb
»Anders als beim klassischen Netznutzungsmanagement mussten wir bei der Dow Olefinverbund GmbH eine Vielzahl an Medien zusätzlich zum Strom und Gas in unser System integrieren. Dazu gehören unter anderem Dampf in verschiedenen Druckstufen, Rückkühlwasser und technische Gase«, beschreibt Projektingenieur Andreas Reuter vom IOSB, Institutsteil AST, die besonderen Herausforderungen. Zudem mussten bei der Umsetzung internationale IT-Strukturen, viele Schnittstellen und externe Partner berücksichtigt werden. Dennoch konnte das Gesamtsystem bereits nach sechs Monaten in den Produktivbetrieb gehen.

Technologien für die intelligente Energienutzung in Wohnhäusern
Solarzellen auf dem Dach und kleine Blockheizkraftwerke im Keller – auch Wohnanlagen werden zu Stromproduzenten. Aber meist reicht die selbsterzeugte Energie nicht aus, um den gesamten Bedarf übers Jahr zu decken. Dann muss Strom zugekauft werden – am besten, wenn er besonders günstig ist. »Werden selbst erzeugte Energien geschickt mit variablen Stromtarifen und Speichern kombiniert, schafft dies beträchtliche Einsparpotenziale«, sagt Peter Heusinger vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen. Um das zu ermöglichen, arbeiten Forscher der Fraunhofer-Institute ISE, IIS und IWES an der offenen Softwareplattform OGEMA 2.0 (www.ogema.org). Damit lassen sich Energieerzeuger, -speicher und -verbraucher gezielt steuern. So ist es möglich, eigenerzeugten Strom in Wohnhäusern, öffentlichen Einrichtungen und Produktionsanlangen sinnvoll zu nutzen, überschüssige Energie zu speichern und später wieder abzurufen. Neben grundlegenden Managementfunktionen kann das System auch mit anderen Teilnehmern des künftig intelligenten Stromnetzes kommunizieren und so einen Beitrag zur Versorgungsstabilität leisten oder in ein virtuelles Kraftwerk eingebunden werden.

Leistungsfähige Akkus
Ein wesentlicher Schlüssel, um erneuerbare Energie zuverlässig ins Stromnetz integrieren zu können, sind leistungsfähige Akkus. Künftig könnte Energie vor allem auch dezentral gelagert werden, bei den Verbrauchern zuhause – etwa direkt in leistungsfähigen Batterien oder aber indirekt durch intelligente Geräte, die Strom verbrauchen. In dem vom Fraunhofer initiierten Übermorgen-Projekt »Hybride Stadtspeicher« arbeiten Forscher an einer kombinierten Hardware- und Software-Plattform, mit der sich verschiedene Speicher (zum Beispiel Lithium-Ionen-Akkus, Redox-Flow-Batterien, thermische Speicher), flexible Energieerzeuger (Blockheizkraftwerke) und verschiebbare Lasten – wie etwa Wärmepumpe und Warmwasseraufbereiter – zu einer virtuellen und regelbaren Einheit verbinden lassen. An dem Projekt sind die Fraunhofer-Institute für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT, für Siliziumtechnologie ISIT, für Solare Energiesysteme ISE und das AST beteiligt.

Stromnetze entlasten
Intelligente, dezentrale Photovoltaik-Batteriesysteme können die Stromnetze entlasten, die Verfügbarkeit von Solarstrom ausweiten und zugleich die von den Verbrauchern zu tragenden Energiewende-Kosten senken. Zu diesem Ergebnis kommt die »Speicherstudie 2013«, die das ISE im Auftrag des Bundesverbands Solarwirtschaft erstellt hat. Im Projekt »Net-PV« untersuchen ISE-Forscher nun gemeinsam mit Industriepartnern, wie sich Solar-Batteriesysteme nach Auslaufen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und der Förderung von Solarbatteriesystemen wirtschaftlich nutzen lassen.

Intelligentes Stromnetz für Elektro-Fuhrpark
Aber lassen sich auch Elektroautos sicher und zuverlässig mit Strom aus erneuerbaren Quellen betreiben? Diese Fragen untersuchen Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart. Dazu haben sie im Parkhaus des Fraunhofer-Campus eine Ladestation für bis zu 30 Elektrofahrzeuge aufgebaut. Sind alle Zapfsäulen belegt, fliessen bis zu 340 Kilowatt. Das entspricht in etwa 20 Prozent der Last des gesamten Institutszentrums mit seinen 1500 Mitarbeitern. »Die Anforderungen durch das Laden der Fuhrparkflotte an das Energiesystem sind gross. Ohne ein intelligentes Lade- und Lastmanagement lässt sich eine solche Stromtankstelle meist nicht realisieren«, sagt Dipl.-Ing. Hannes Rose vom IAO.

Fahrzeugflotte mit Energie versorgen
Ein Micro Smart Grid, also ein kleines, intelligentes Stromnetz, soll die Fahrzeugflotte mit Energie versorgen. Dabei setzen die Wissenschaftler ausschliesslich auf regenerative Ressourcen: Im Lauf dieses Jahres werden am Institutszentrum eine Photovoltaik- und eine Kleinwindkraft-Anlage aufgebaut, um den Fuhrpark zu betreiben. Zudem installieren die Forscher Lithium-Ionen-Akkus sowie eine Redox-Flow-Batterie, in der sich Energie zwischenspeichern lässt. Im nächsten Schritt wollen die IAO-Forscher mit ihrem »lebendigen Labor« eine Testumgebung für Industriebetriebe, Systemanbieter, Stadtwerke, Kommunen und Verteilnetzbetreiber schaffen und das Potenzial der kleinen unabhängigen Netze ausloten. Darüber hinaus wollen die Forscher in bilateralen Projekten ganzheitlich betrachtete Energiekonzepte für Industrie und Kommunen anbieten.

Grosse Herausforderung
Der Umbau der Energieversorgung hin zu dezentralen und erneuerbaren Erzeugungsstrukturen ist eine der grössten Herausforderungen in Deutschland. Das Internet der Energie hilft das Stromnetz für die Aufgaben der Zukunft zu rüsten.

Gesamtausgabe „weiter vorn“ 3.2014 >>
Podcast
zu Mikro-Smartgrid anhören >>

Text: ©Birgit Niesing / „weiter vorn“ 3.2014 (Das Fraunhofer-Magazin)

0 Kommentare

Kommentar hinzufügen

Top

Gelesen
|
Kommentiert