Durchsichtiges Kraftwerk: Transparente Solarfolien können zwischen Fensterscheiben laminiert werden. So entstehen getönte Gläser, die gleichzeitig Schatten spenden und Ökostrom erzeugen. ©Bild: Heliatek / Smack Communications, Berlin

Algenhaus: In der Fassade des „Hauses mit Biointelligenzquotient“ in Hamburg erzeugen Algen per Photosynthese Wärme für die Wohnungen. ©Bild: IBA Hamburg GmbH / Johannes Arlt

Praxiserprobtes Vorzeigeprojekt: Das Dach des Berliner Hauptbahnhofs verdeutlicht die Vorzüge der BIPV: Die Module erzeugen Strom und lassen zugleich Licht passieren. ©Bild: BSW-Solar / Paul Langrock

Dünn, leicht und biegsam: Die Firma Heliatek dampft einen fotoaktiven Film hauchdünn auf eine Trägerfolie auf. Die Folie kann somit nahezu unbegrenzt zur Stromproduktion eingesetzt werden. ©Bild: Heliatek / Tim Deussen, Berlin

glasstec: Hauchdünne Solarzellen verwandeln Glasfronten in Kraftwerke

(PM) Städte verschlingen immer mehr Wärme und Strom. Um ihren Verbrauch zu senken, müssen Gebäude effizienter werden und mehr erneuerbare Energien integrieren. Neue, druckbare Photovoltaik-Halbleiter könnten dieser Entwicklung Vorschub leisten. Sie ermöglichen Solarfolien und Module, die aus Fenstern oder Fassaden Stromgeneratoren machen. Für die Hersteller von Solarglas und -modulen entsteht ein neuer Markt.


Der Wettlauf um das beste Material für Solarzellen hat einen neuen Kandidaten: Perowskit. Bei keinem Halbleiter gelang Forschern eine derart rasante Entwicklung des Wirkungsgrads. „Es ist ein regelrechter Hype um Perowskit ausgebrochen“, sagt Thomas Unold, Leiter des Instituts für Technologien am Helmholtz-Zentrum Berlin.

Effizient und preiswert
Das Mineral verspricht, gleichzeitig effizient und preiswert zu sein. Beides lässt sich bisher nicht miteinander vereinen: Derzeit erreichen die besten Siliziumzellen mehr als 20 Prozent Wirkungsgrad, sind aber teuer in der Herstellung. Farbstoff- und organische Solarzellen wiederum können einfach auf Folie gedruckt werden, kommen jedoch über einen Wirkungsgrad von zehn Prozent oft nicht hinaus.

Mit einer Perowskitzelle hingegen erreichten Forscher der University of California in Los Angeles (UCLA) kürzlich einen Wirkungsgrad von 19.3 Prozent. Gegenüber den ersten Perowskit-Zellen vor fünf Jahren hat sich der Wirkungsgrad damit versechsfacht. Das ist umso bemerkenswerter, als sich Perowskit einfach und sehr sparsam verarbeiten lässt. Es besteht aus den Allerweltsmaterialien Kohlenstoff, Stickstoff, Wasserstoff, Blei, Chlor und Jod, die sich als hauchdünne Schicht auf Glas aufdampfen oder auf Folie drucken lassen. Die UCLA-Forscher erzeugten nur eine knapp einen Millimeter starke Perowskitschicht, indem sie Glas mit organischen Molekülen und Bleikristallen bedampften. Dennoch generiert die Zelle fast so viel Strom wie eine 180 Mikrometer dicke Siliziumzelle.

Leichtgewichte können Markt erobern
Damit könnten die leistungsstarken Leichtgewichte Märkte erobern, die für die Photovoltaik bisher weitgehend tabu waren. Die gebäudeintegrierte Photovoltaik beispielsweise, kurz BIPV (Building-Integrated Photovoltaics), ist nach wie vor nur eine Nische, weil die Herstellung und Installation multifunktionaler BIPV-Module aufwändig und teuer ist. Von den 3300 Megawatt an Solarstromleistung, die 2013 in Deutschland ans Netz ging, wurden schätzungsweise nur rund 100 Megawatt in die Gebäudehülle integriert. Ein Markthemmnis: Bei den BIPV-Elementen handelt es sich meistens um projektorientierte Varianten, die in Grösse, Form, Material, Farbe, Varianz in der Transparenz und Design an das jeweilige Gebäude angepasst sind – Individualität und der hohe Planungsaufwand haben ihren Preis. Perowskitzellen könnten die Kosten senken.

Module aus Dünnschichtsilizium
Ausserdem sind die für die BIPV in Frage kommenden Technologien bisher nicht effizient genug. Oft werden Module aus Dünnschichtsilizium angeboten, doch diese erreichen selten einen Wirkungsgrad von zehn Prozent – zu wenig, um sich mit klassischen Siliziumzellen auf dem Dach messen zu können, die fast doppelt so viel Licht in elektrische Energie umwandeln. Sie selbst eignen sich nur bedingt für die Gebäudeintegration: Sie werden direkt aus Blöcken gesägt, weshalb sie für komplexere BIPV-Anwendungen schlicht zu dick und unflexibel sind.

Auf baldigen Durchbruch hoffen
Dennoch hoffen Experten auf einen baldigen Durchbruch der gebäudeintegrierten Photovoltaik, denn sie birgt immenses Klimaschutzpotenzial. Obwohl Grossstädte nur ein Prozent der Erdoberfläche bedecken, verbrauchen sie 75 Prozent der eingesetzten Primärenergie und verursachen 80 Prozent der Treibhausgasemissionen. „Sie müssen bei einem Grossteil ihrer Prozesse kohlendioxidneutral werden, sonst droht der Klimakollaps“, warnt die Wissenschaftlerin Christina Sager vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) in Stuttgart. Effizientere Gebäude und erneuerbare Energien könnten aus ihrer Sicht die Trendwende bringen. Vor allem Solartechnik lasse sich gut in die Häuser einbinden. Wo sich Module nicht auf Dächer schrauben liessen, könnten sie als stromerzeugende Fenster oder Ersatz für die Betonfassade dienen, erklärt Sager.

Herausforderungen meistern
Bis die verheissungsvollen Perowskitzellen kommerziell einsetzbar sind, müssen die Forscher aber noch einige Herausforderungen meistern. „Die Entwicklung steht erst am Anfang“, sagt Helmholtz-Forscher Unold. Als grösste Hürde gilt die Lebensdauer. Perowskit ist empfindlich und zersetzt sich schnell, wenn es mit Wasser in Berührung kommt. Deshalb müssen die Zellen so konstruiert werden, dass auch über 20 Jahre hinweg keine Feuchtigkeit eindringen kann. Dichte Verkapselungen, die für organische Leuchtdioden entwickelt wurden, sind ein Lösungsansatz.

Organische Photovoltaik-Folie
In der Zwischenzeit könnten andere vielversprechende Technologien den BIPV-Markt vorantreiben, die derzeit Marktreife erlangen. Die Dresdner Firma Heliatek beispielsweise hat eine organische Photovoltaik-Folie entwickelt, die sich sowohl transparent als auch getönt herstellen lässt. Undurchsichtig erreicht sie einen Wirkungsgrad von zwölf Prozent, bei der lichtdurchlässigen Variante sinkt die Effizienz auf rund sieben Prozent. Das ist im Vergleich zu herkömmlichen Siliziummodulen wenig, stellt aber im Bereich der organischen Photovoltaik einen neuen Rekord dar. Ausserdem lassen sich die flexiblen Folien in geschwungene Formen wie Glasdächer von Autos oder unregelmässig geformte Fassaden einbetten. Da in Fahrzeugen und Büros in der Regel auch abdunkelnde Folien gefragt seien, gebe es keinen zusätzlichen Montageaufwand, argumentiert Heliatek-Chef Thibaut Le Séguillon. Dadurch seien wettbewerbsfähige Preise möglich.

Flexible und transparente Zellen
Andere Unternehmen setzen ebenfalls auf das Konzept von flexiblen und transparenten Zellen aus organischem Material. Die bayerische Firma Belectric sowie Crystalsol aus Österreich etwa arbeiten an gedruckten Polymer-Zellen. Polymere sind chemische Verbindungen aus langen Molekülketten, die in einer Lösung angereichert und anschliessend gedruckt werden können. Heliatek hingegen nutzt Oligomere als Lichtsammler, also kürzere Molekülketten. Ausserdem druckt es diese nicht, sondern dampft sie im Vakuum auf eine Trägerfolie auf. Derzeit betreibt Heliatek noch eine Pilotproduktion. Mit Solarfolien aus dieser Fertigung hat das Unternehmen soeben die erste Fensterfassade in Dresden errichtet. Als nächstes plant die Firma eine kommerzielle Fertigung mit 100 Megawatt Jahreskapazität.

Neues Betätigungsfeld
Mit der BIPV könnte auch für die Glasindustrie ein wichtiges neues Betätigungsfeld entstehen. Bei den Modulproduzenten kommen Fragen auf, die sie nur in Zusammenarbeit mit der Glasbranche beantworten können: Wie lassen sich die Solarfolien in die Scheiben integrieren? Wie klappt die Integration möglichst kostensparend? Können Arbeitsschritte wie das Aufdampfen der photoaktiven Materialien in die Glasveredelung eingebunden werden? „So richtig hat sich die BIPV noch nicht durchgesetzt. Aber es ist sicher erforderlich, dass Glas- und Photovoltaikindustrie näher zusammenrücken“, sagt Timo Feuerbach vom Forum Glastechnik im deutschen Maschinenbauverband VDMA. Die ersten Kooperationen gibt es bereits. So haben Heliatek und der in Brüssel ansässige Flachglashersteller AGC Glass Europe im vorigen Jahr eine Entwicklungsvereinbarung zur Integration von Solarfolien in Bauglas geschlossen. AGC-Technikchef Marc Van Den Neste sagt, dass die Glas-/Solar-Fassadenlösung der beiden Unternehmen Architekten und Designern völlig neue Möglichkeiten eröffne, Kreativität und Energieeffizienz miteinander zu verbinden.

Vollintegrierte Produktion
Nicht nur wegen der Zusammenarbeit mit Heliatek gilt AGC Europe als Wegweiser für die Glasindustrie. Seine Fabriken beherbergen eine vollintegrierte Produktion, die nicht nur die Herstellung von Glas, sondern auch dessen Beschichtung und Weiterverarbeitung umfasst. Verschiedene funktionale Beschichtungen stehen Photovoltaik-Produzenten zur Auswahl, beispielsweise elektrische Kontaktschichten für Dünnschichtmodule. Ein ähnliches solarorientiertes Konzept verfolgt sonst bisher nur die ostdeutsche Firma F-Solar. Auch sie hat ihre Produktionslinie im eigenen Haus um Beschichtungsanlagen verlängert.

Kooperationen bahnen sich an
Auf der glasstec 2014 in Düsseldorf, der weltweit grössten und internationalsten Fachmesse der Glasbranche, haben die Unternehmen vom 21. bis 24.10.2014 Gelegenheit, weitere Kooperationen anzubahnen. So kommen Experten der Solar- und Glasindustrie vom 20. bis 21.10.2014 auf der Konferenz „Solar meets Glass“ zusammen, um sich über Fortschritte in der Fertigung von Solargläsern und -modulen sowie beim Material und den Kosten auszutauschen. Auch die Sonderschau „glass technology live“, die vom Institut für Baukonstruktion der Universität Stuttgart organisiert wird, zielt unter anderem auf die Schnittstelle von Solartechnik und Glas. Hier werden am Beispiel von grossformatigen Fassaden-Mock-ups und Eins-zu-Eins-Modellen die neuesten Entwicklungen im Bereich Fassade und Energie vorgestellt, darunter Innovationen in der Photovoltaik und der Solarthermie.

BIQ-Konzept
Auf der „glass technology live“ werden jedoch auch Projekte vorgestellt, die über reine Solaranwendungen hinausgehen. Wie zum Beispiel das so genannte BIQ – die Abkürzung steht für „Haus mit Biointelligenzquotient“. In seiner Bioreaktorfassade wachsen Algen an Glasplatten und produzieren aus Licht und Kohlendioxid Biomasse und Wärme. Die Wärme wird über Wärmetauscher den 15 Wohnungen direkt zum Heizen zur Verfügung gestellt, die Biomasse wird abgeschöpft. Aus ihr wird Biogas gewonnen, das eine Brennstoffzelle in Strom und zusätzliche Wärme umwandelt. Sämtliche benötigte Energie zur Erzeugung von Strom und Wärme entstehe aus regenerativen Quellen, fossile Brennstoffe seien nicht im Spiel, heisst es beim verantwortlichen Bauunternehmen Otto Wulff.

Wesentliche Rolle bei Energiewende
Energieerzeugende Hausfassaden wie die des BIQ könnten eine wesentliche Rolle bei der Energiewende in Städten spielen. Forscher und Firmen arbeiten mit Hochdruck an Konzepten und Technologien, die Gebäudehüllen in effiziente Kraftwerke verwandeln. Der Glasbranche könnte hierbei eine Schlüsselrolle zukommen: Indem sie enger mit Herstellern von Solarmodulen und -kollektoren kooperiert, könnte sie Innovationen weiter beschleunigen.

Text: glasstec

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