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Das Leitwehr oberhalb des Ausgleichsbeckens Pfaffensprung bei Wassen (UR) staut die Reuss, so dass Wasser und Geschiebe bei Bedarf in den Umleitstollen (Einlauf rechts hinter der Mauer, auf dem Bild nicht sichtbar) geleitet werden können. ©Bild: B. Vogel

Bei einer Hochwassersituation führt der 2012 eröffnete Umleitstollen das Wasser der Albula am Stausee Solis (GR) vorbei und schützt diesen vor Verlandung. Im Bild: das neue Auslaufbauwerk. ©Bild: ewz

Der Umleitstollen Pfaffensprung dient dazu, das Ausgleichsbecken unterhalb des Kraftwerks Wassen vor Verlandung zu schützen. ©Bild: B. Vogel

Der Einlauf zu dem 280 Meter langen Geschiebe-Umleitstollen beim Ausgleichsbecken Pfaffensprung unterhalb von Wassern (UR). Die Aufnahme entstand während der Sanierungsarbeiten des Stollens. ©Bild: B. Vogel

Die Grafik zeigt, wie der Verlandungskörper aus Gestein, Kies und Sand das Nutzvolumen eines Stausees vermindert. Grafik: ewz

Der 2012 eröffnete Umleitstollen führt bei einer Hochwassersituation das Geschiebe am Stausee Solis (GR) vorbei. ©Bild: ewz

ETH-Forscherin Michelle Hagmann begutachtet die Granitplatten am Boden des Umleitstollens Pfaffensprung im Kanton Uri. ©Bild: B. Vogel

Michelle Hagmann bei der letzten Vermessung der Stollensohle mittels 3D-Laserscanners im Sediment-Bypass Pfaffensprung im Februar 2014. ©Bild: VAW

Prof. Robert Boes, Direktor der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich, hat mehrere Forschungsprojekte zu den Schäden durch Geschiebe und Feinsedimente im Umfeld von Wasserkraftwerken initiiert. ©Bild: B. Vogel

ETH Zürich: Ein Bypass für Stauseen

(ETH Zürich/©BV) Wind und Wetter setzen nicht nur dem Menschen, sondern auch den Bergen zu: Unter dem Wettereinfluss schrumpfen die Schweizer Alpen jedes Jahr im Mittel um 0.9 mm. Geschiebe ist für die Betreiber von Wasserkraftwerken in den Alpen ein grosses Problem. ETH-Forscher suchen nach Wegen, wie 'Sediment-Bypässe' langlebig und kostengünstig gebaut werden können.


Eng ist das Reusstal zwischen Erstfeld und Andermatt, eingefasst von steilen, steinigen Hängen. Wenn hier ein starker Gewitterregen niedergeht, schwellen die Bäche an und schieben Gestein und Geröll mit gewaltiger Kraft ins Tal. Nicht selten beschädigen sie die Eisenbahntrasse oder die Autobahn. Eine leidige Sache sind die Massen an Gestein, Kies und Sand auch für die Betreiber der Wasserkraftwerke in Göschenen, Wassen und Amsteg. Denn wenn das Geschiebe in Stauseen gelangt und diese auffüllt, schwindet das Volumen der Staubecken. Mit weniger Füllvolumen aber schrumpft das Potenzial der Stromproduktion. Ein Problem, das im erosiven Reusstal besonders virulent ist.

Steinblöcke in Kubikmetergrösse
Dieser Umstand beschäftigte die Ingenieure bereits vor knapp 100 Jahren, als die Kraftwerke an der Urner Reuss entstanden. Zur Abhilfe bauten sie unterhalb von Wassen am sogenannten Pfaffensprung im Jahr 1922 erstmals in der Schweiz einen Umleitstollen für Geschiebe. Dieser Sediment-Bypass ist 280 Meter lang und führt unterirdisch am Ausgleichsbecken vorbei. Zum Einsatz kommt er vor allem bei Reuss-Hochwasser: Dann lenkt ein Wehr das Geschiebe in den Stollen, bevor dieses in den See gelangen kann und bewahrt so das Ausgleichsbecken vor Verlandung. Der Stollen am Pfaffensprung hat einen hufeisenförmigen Querschnitt und ist gut fünf Meter hoch. Während eines starken Gewitters donnern hier pro Sekunde bis zu 250 Kubikmeter Wasser durch und tragen bis zu einen Kubikmeter grosse Steinblöcke mit sich.

Heute ist der Stollen trocken und kann betreten werden. Grund sind mehrmonatige Sanierungsarbeiten während der Wintermonate. Eine Frau mit Helm und Handschuhen kauert am Boden und zeigt auf eine Abplatzung an der Kante einer Granitplatte: „Ist der Boden des Stollens einmal beschädigt, können sich die Schäden durch die Wucht des nachfolgenden Geschiebes schnell ausbreiten.“ Michelle Hagmann ist Bauingenieurin und erforscht im Rahmen ihrer Doktorarbeit, welche Schäden ein Unwetter im Stollen anrichten, also wie stark das Geschiebe der Sohle des Stollens zusetzt. „Konkret untersuche ich hier Abrasionsresistenz und Wirtschaftlichkeit von Granit, sowie hochfestem Beton mit und ohne Stahlfasern“, sagt die Forscherin der ETH Zürich. Seit 2012 kommt sie stets im Februar oder März zum Pfaffensprung und misst mit einem 3D-Lasermessgerät, wie sich die Schäden am Stollen in den letzten zwölf Monaten entwickelt haben. Laut ihren Messungen betrug der mittlere Materialabtrag (Abrasion) im ersten Jahr bei den Granitplatten 0.3 mm und 1.5 cm beim Beton. Nun will sie herausfinden, wie die Schäden mit Abfluss- und Geschiebemengen in Beziehung stehen.

Bypass in Graubünden
Hagmann macht ihre Erhebungen nicht nur im Urner Reusstal, sondern auch im Kanton Graubünden, wo 2012 unterhalb von Tiefencastel beim Solis-Stausee ein neuer Sediment-Bypass in Betrieb genommen wurde. Hier untersucht sie nicht nur drei verschiedene Sohlmaterialien wie am Pfaffensprung, sondern sieben: fünf Arten von Beton, daneben Stahl und Basalt. Zudem versucht sie an diesem zweiten Forschungsplatz auch den Geschiebetransport messtechnisch zu quantifizieren. Dies gelingt mit Geophonen, einer Messmethode, bei der die Schwingungen von in der Sohle eingebauten Stahlplatten ausgewertet werden, um daraus auf die Geschiebemenge zu schliessen, die den Stollen durchquert.

Grundlagen für den Bau neuer Anlagen
Das Forschungsprojekt von Michelle Hagmann ist eines von drei Vorhaben mit ähnlicher Stossrichtung an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich. Die Wissenschaftler untersuchen mit finanzieller Unterstützung von Swisselectric Research, des Bundesamts für Energie, CemSuisse, Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz), Gommerkraftwerke und Fondazione Lombardi, welche Schäden Geschiebe und Feinsedimente im Umfeld von Wasserkraftwerken anrichten. Christian Auel, ein Forscherkollege von Hagmann, hat an der ETH ein 12 Meter langes Modell eines Sediment-Bypasses im Massstab 1:15 aufgebaut. An dem Modell untersucht er Abflusscharakteristik und Bewegungsmuster der abgeführten Sedimente sowie den daraus resultierenden Materialabtrag an der Sohle. Seine Ergebnisse sollen künftig helfen, neue Sediment-Bypässe z.B. bezüglich Grösse, Gefälle und Ausbaudurchfluss so zu planen, dass der Materialabtrag minimiert wird, während die Sedimenttransportkapazität ausreicht, um die Verlandung des Sees zu stoppen und ein Verstopfen des Bypasses zu verhindern. Ein weiterer Forscher, David Felix, erforscht die Schäden, die Feinsedimente an den Turbinen von Wasserkraftwerken anrichten und wie diese durch gezielte Betriebseinstellungen bei hohen Sedimentgehalten minimiert werden können, ohne zu grosse Ertragsausfallkosten zu riskieren. Allen drei Forschungsarbeiten haben zum Ziel, langfristig zu einer noch nachhaltigeren und wirtschaftlicheren Energieproduktion aus Wasserkraft beizutragen.

Verladungen vorbeugen mit Umleitstollen
Diese Forschungsaktivitäten kommen nicht von ungefähr. „Je älter Speicherseen werden, desto ausgeprägter treten die Verlandungen zu Tage. Die Problematik dürfte sich in Zukunft verschärfen, wenn durch Klimaerwärmung, Rückgang von Permafrost und den Rückzug der Gletscher noch verstärkt Sedimente freigesetzt werden“, sagt Prof. Robert Boes, Professor für Wasserbau an der ETH Zürich und Direktor der VAW. Bei der Stauanlage Mauvoisin im Unterwallis mussten vor rund zehn Jahren im Zuge der fortschreitenden Verlandung die Wasserfassung und der Grundablass angehoben werden. Beim Stausee im bündnerischen Solis ging man einen Schritt weiter und nahm Mitte 2012 einen 850 m langen Sediment-Bypass in Betrieb. Zuvor hatte der 1986 angelegte Speichersee die Hälfte seines Speichervolumens eingebüsst, da jährlich durchschnittlich 80’000 m3 Geschiebe in den See gelangt waren. Mit dem Umleitstollen hofft der Besitzer des Stausees – das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz) – einer weiteren Verlandung vorbeugen zu können. „Wir erwarten, dass in Zukunft weitere Sediment-Bypässe gebaut werden, um der Stauraumverlandung Herr zu werden“, sagt Boes, „unsere Forschung wird helfen, hier wirksame und wirtschaftlich vertretbare Lösungen zu finden.“

Granit ist die erste Wahl
Der Umleitstollen am Urner Pfaffensprung ist 92 Jahre alt. Seit dem Bau musste er wiederholt instandgesetzt werden. Und bei jeder Sanierung versuchten die Bauingenieure, eine noch geeignetere Lösung zu finden. Erst trugen sie auf dem Boden eine Verschleissschicht aus Beton und Basaltplatten auf. Später versuchten sie den Materialabtrag durch einbetonierte Eisenbahnschienen, Stahlplatten und Spezialbeton zu begrenzen. Keiner dieser Bodenbeläge hat am Ende überzeugt. „Jetzt haben wir uns entschieden, den Stollen mit 30 cm starken Granitplatten auszulegen. Nur ganz oben, beim Einlauf, da werden wir wohl Beton einsetzen“, sagt Martin Walker von der Kraftwerk Amsteg AG. Diese Lösung verspricht Beständigkeit, billig ist sie nicht. Die fünfzig Laufmeter Granitplatten, die jüngst in dem 280 Meter langen Stollen verlegt wurden, kosten 500’000 Fr.

Grosse Geschiebekörner
Hagmann unterstützt die getroffene Lösung aufgrund ihrer bisherigen Forschungsergebnisse. „In diesem Stollen sind die Geschiebekörner sehr gross und rollen oder springen über die Sohle, da sind Granit und Beton eine gute Wahl. Anderswo, wo die Körner klein sind und im Wasserstrom schweben, würde ich zu Basaltplatten raten“, sagt sie. Mit ihren Messungen gelangt die ETH-Forscherin also vorläufig zum selben Schluss wie die Stollenbetreiber durch ihre jahrzehntelange Erfahrung. Für die Sanierung dieses Stollens kommt die Arbeit, die Michelle Hagmann Ende 2015 abschliessen will, zu spät. Bei Bau und Sanierung anderer Sediment-Bypässe im In- und Ausland könnte ihr Wissen aber zum Tragen kommen. Denn dass solche Umleitstollen zunehmend gebraucht werden, scheint ausser Zweifel zu stehen. „Global geht mehr Speichervolumen durch Verlandung verloren als neu zugebaut wird“, sagt Klaus Jorde, Leiter des BFE-Forschungsprogramms Wasserkraft.



Ausbaggern geht nicht
Geschiebe-Umleitstollen – auch Sediment-Bypässe genannt – sind noch wenig verbreitet, weil ihr Betrieb bei grossen Speicherseen nicht wirtschaftlich ist. Die acht Bypässe an Wasserkraftwerken in der Schweiz findet man denn auch bei mittleren bis kleinen Stauseen. Pfaffensprung und Solis, wo Michelle Hagmann ihre Feldforschung betreibt, sind zwei davon. Weitere Stollen gibt es in Runcahez (GR), Egschi (GR), Flims (GR), Hintersand (GL), Rempen (SZ) und Palagnedra (TI). Bypässe kennen auch andere Länder, insbesondere Japan, sowie Taiwan und Ecuador.

Sind Geschiebe und Sedimente einmal in einen Speichersee gelangt, könnte man sie im Prinzip auch durch Ausbaggern entfernen. Dies ist in der Regel aber zu aufwändig bzw. zu teuer. Ein anderer Weg, um die Sedimentablagerungen zumindest zu verringern, besteht darin, Stauseen regelmässig, z.B. einmal im Jahr, zu spülen. Diese Massnahme ist aber nur für kleinere Speicherseen sinnvoll.

Weitere Informationen:
Auskünfte zu dem Projekt erteilt Klaus Jorde (klaus.jorde@kjconsult.net), Leiter des BFE-Forschungsprogramms Wasserkraft

Text: ©Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)

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