Carsten Wemhöner von der HSR leitet das internationale Forschungsprojekt mit Teilnehmern aus drei Kontinenten. ©Bild: Kurzschuss Photography GmbH, Damian Imhof (Portrait)

Mit dem Kick-off-Meeting an der HSR im Juli 2012 wurde der Grundstein für das Forschungspaket IEA HPP Annex 40 gelegt. ©Bild: HSR (Gruppenbild)

HSR: Moderne Energiesparhäuser sind auch Kraftwerke

(©HSR Magazin/CW) In der Schweiz wie auch in anderen europäischen Ländern verbrauchen Gebäude über 40 Prozent der Primärenergie und verursachen eben so viele CO2-Emissionen. Mit der Neufassung der EURichtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden rücken sogenannte «Nearly Zero Energy Buildings» in den Mittelpunkt.


Diese «Niedrigstenergiegebäude», welche häufig als NettoNullenergiegebäude aufgefasst werden, sollen nach einer EURichtlinie ab 2021 Standard im Neubau werden – in ganz Europa. Im Auftrag des Bundesamts für Energie BFE leitet das IET Institut für Energietechnik der HSR ein internationales Forschungsprojekt im Wärmepumpenprogramm HPP der Internationalen EnergieAgentur IEA mit dem Titel «Wärmepumpenkonzepte für NettoNullenergiegebäude». Darin untersucht das IET mit seinen Partnern das Zusammenspiel von Wärmepumpen und regenerativen Energieerzeugern in NettoNullenergiegebäuden. Der Kickoff fand an der HSR statt. Bisher waren die Schweiz, Japan, die Niederlande, Norwegen, Schweden sowie die USA am Projekt beteiligt, Ende 2013 kamen Kanada und Finnland hinzu. Mit Deutschland wird 2014 gerechnet. Die Projektlaufzeit ist von 2013–2015 geplant.

Dicke Isolation oder eigene Energie

Mit der heutigen MINERGIE bzw. MINERGIEP Technologie kann der Heizwärmebedarf im Vergleich zum Gebäudebestand massiv reduziert werden. Verbrauchte ein Haus um 1980 etwa 200 kWh pro Quadratmeter und Jahr für die Heizung, so sind es heute in einem MinergieP-Gebäude nur noch 15 kWh pro Quadratmeter und Jahr. Wären Autos im gleichen Masse effizienter geworden, so würden sie heute deutlich weniger als einen Liter Treibstoff pro 100 Kilometer verbrauchen. Minergiegebäude schafften die Effizienzsteigerung bislang durch eine möglichst gut isolierte Gebäudehülle. Der NettoNullAnsatz lässt hingegen auch einen Ausgleich des Energiebedarfs aus erneuerbarer Eigenproduktion zu. Ein NettoNullenergiehaus ist also ein Gebäude, das in der Jahresbilanz so viel Energie durch erneuerbare Energie produziert, wie es verbraucht. Das heisst auch, dass es im Extremfall überdurchschnittlich viel Energie verbrauchen dürfte, die Kriterien jedoch erfüllt, solange es diese regenerativ selbst gewinnt. Aufgrund von Bauvorschriften und aus Kostenüberlegungen weisen aber auch NettoNullenergiegebäude eine effiziente Gebäudehülle auf. Die Definition von NettoNullenergiehäusern ist allerdings noch sehr offen. Welche Energie wird bilanziert? Nur die für den Gebäudebetrieb benötigte Energie oder auch der Haushaltsstrom? Wo verläuft die Grenze der vor Ort produzierten Energie? Auf dem Grundstück, in der Gemeinde oder im Staatsgebiet? Soll auch die graue Energie der Baustoffe miteinberechnet werden oder die durch den Gebäudestandort verursachte Mobilität? Wie weit dürfen Energieerzeugung und verbrauch zeitlich auseinanderliegen?

In der Schweiz existieren je nach Definition bereits heute zahlreiche Gebäude, die ein NettoNullenergieKonzept umsetzen: beispielsweise das viel beachtete Mehrfamilienhaus Kraftwerk B in Bennau SZ am Sihlsee, die SACMonteRosaHütte im Wallis oder das NullenergieBürogebäude von Marché Restaurants in Kemptthal ZH. Inzwischen entwickelte der Verein Minergie den MinergieA-Standard, der die neue Richtlinie der EU zu NettoNullenergiehäusern vorwegnimmt, und zertifizierte bereits über 250 Gebäude. In den skandinavischen Teilnehmerländern sind NettoNullenergiegebäude noch in der Planung und in der ersten Umsetzung. Sie werden im Rahmen des Annex 40 in Feldtests wissenschaftlich begleitet. Ein Feldtest verschiedener Konzepte mit Multiplikationspotenzial wurde in ganz Kanada durchgeführt. Die USA entwickeln bereits seit 2005 Haustechnikkonzepte, die speziell auf NettoNullenergiehäuser ausgerichtet sind und bis 2020 in den Markt eingeführt werden.

Jokerkarte Wärmepumpe
Im Forschungsprojekt Annex 40 war die erste Aufgabe der Bestandsaufnahme gewidmet. Die zweite und die dritte Aufgabe drehen sich um die eigentliche Wärmepumpenentwicklung. Wärmepumpen bieten speziell in hocheffizienten Gebäuden verschiedene Vorzüge. Sie decken sämtliche Gebäudefunktionen wie Heizen, Warmwasser und Kühlen ab. Sie sind sehr effizient, vor allem bei multifunktionaler Nutzung wie Heizen und Kühlen in Kombination mit der Warmwassererzeugung. Zudem lassen sie sich CO2frei betreiben, sofern der Strom aus regenerativen Quellen stammt. In den 250 MinergieA®Gebäuden ist denn auch die Kombination aus einer Wärmepumpe und einer Photovoltaikanlage das Standardsystem, welches in rund 90 Prozent der Häuser installiert wurde. Nebst der Wärmepumpe liegen weitere Optimierungspotenziale brach, die im Annex 40 untersucht und im Rahmen von Labor und Feldtests weiter ausgeschöpft werden sollen. Im Schweizer Projekt wird die Integration der Wärmepumpe mit Solarkomponenten in Simulationen und Labortests untersucht.

Das netto-nullenergiehaus als Kraftwerk
Wird das NettoNullenergieKonzept wie vorgesehen ab 2021 in der Breite eingeführt, sind auch die Rückwirkungen auf das Stromnetz zu untersuchen – die wenigsten Häuser können ihre Energie just in dem Moment erzeugen, in dem sie am meisten Energie verbrauchen. Aufgabe vier fokussiert daher auf die Integration von NettoNullenergiehäusern als Energieerzeuger, speicher und verbraucher. Der Eigenverbrauch und das lokale Lastmanagement, also wann welches Gerät wie viel Energie bezieht, spielen dabei ein grosse Rolle, um die Stromnetze möglichst wenig respektive gleichmässig zu belasten. Dies funktioniert jedoch nur mit lokalen Energiespeichern. Die Wärmepumpe eröffnet auch in diesem Bereich Potenziale, da elektrische Überschussenergie indirekt als Wärme oder Kälte gespeichert werden kann.

Text: Carsten Wemhöner, iet institut für energietechnik, HSR Magazin (Hochschule für Technik Rapperswil HSR)

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