Der durch den Verkehr verursachte Energieverbrauch bleibt konstant, trotz technischer Fortschritte. Ein Hauptgrund dafür könnte eine fehlende Kostenwahrheit sein. Davon geht der Unternehmer, ETH-Professor und Mobility-Pricing-Experte Anton Gunzinger aus. «Die Nutzung von Gemeingütern – saubere Luft, öffentlicher Raum oder Ruhe – muss seiner Meinung nach in die Preiskalkulation aufgenommen werden. Die so generierten Mehreinnahmen könnten der Bevölkerung über eine Art Grundeinkommen zurückerstattet werden. So würden Anreize geschaffen, das eigene Mobilitätsveralten zu hinterfragen ohne für den Durchschnittshaushalt zusätzliche finanzielle Belastungen entstehen zu lassen.» Gunzinger forderte die Politik auf, endlich das vermeintlich unpopuläre Thema Mobility Pricing anzugehen, anstatt auf Engpässe nur mit weiteren Ausbauforderungen zu reagieren. In einigen der zwanzig (!) Workshops wurde das Thema der Kostenwahrheit ebenfalls aufgegriffen: Vertreter von Avenir Suisse diskutierten mit den Teilnehmenden die Möglichkeiten, die Verkehrsnachfrage über den Preis zu steuern.
Grundsätzlich in gutem Zustand
Weitere Workshops, organisiert von Bundesämtern, führenden Nachhaltigkeitsorganisationen und Unternehmen, widmeten sich etwa dem Langsamverkehr, der Landschaftszerschneidung durch den Verkehr und der ökologischen Infrastruktur der Schweiz. Was Sache ist erklärten die Nationalräte Edith Graf-Litscher, Kurt Fluri und Beat Jens sowie SBB- CEO Andreas Meyer. «Es gilt, die erreichte hohe Qualität im bestehende Netz aufrecht zu erhalten. Grundsätzlich befindet sich unser System in guten Zustand, und unsere Aufgabe ist es, diesen für die kommenden Generationen zu erhalten. All die Engpässe, die wir alle kennen, lassen sich vermindern – Schritt für Schritt», so der SBB-CEO. Gleichzeitig treffe es aber auch zu, dass beispielsweise ein so komplexes Gebilde wie die SBB nicht in jedem Fall so schnell auf Kundenwünsche reagieren könne, wie dies vielfach erwartet werde. Die aus den Workshops resultierenden Forderungen werden dieser Tage auf www.eco-naturkongress.ch aufgeschaltet.
Eigengoal?
Heute steht doch der Verkehr der Mobilität nur im Weg. Mit dieser provokativen Ansage konfrontierten einige der über 20 Referenten – Mobilitätsexperten aus dem In- und zum Teil Ausland – die rund 600 Teilnehmer des eco.naturkongress. Zu Spitzenzeiten ist die Schweizer Verkehrsinfrastruktur tatsächlich völlig überlastet. Also wird sie kontinuierlich ausgebaut, was unter Umständen im unerwünschten Nebeneffekt selber wieder zu einem noch höheren Verkehrsaufkommen führen kann – ein Eigengoal. Dabei hat doch die individuelle Mobilität in der westlichen Welt ihrer Höhepunkt erreicht und wird voraussichtlich nicht weiter steigen, wenn wir dem kalifornischen Forscher Adam Millard-Ball Glauben schenken wollen. Allenfalls könnte sie sich sogar rückläufig entwickeln. Folglich müsste auch die Verkehrsinfrastruktur nicht zwingend weiter ausgebaut, sondern könnte sogar zurückgebaut werden.
Cargo sous terrain
Andreas Burgener, Direktor auto-schweiz, wartete mit einer Vorschlag auf, der in nordamerikanischen Städten als Problemlösung längst gab und gäbe ist. Aufs Schweizer Strassennetz bezogen löst diese Idee indessen gemischte Gefühle aus. In wenigen Jahrzehnten sollte auch hierzulande mittels doppelstöckigen Autobahnen in die Höhe gebaut werden, weil es nämlich fürs Anlegen von neuen Autobahnen oder für die Verbreiterung auf noch mehr Spuren gar keinen Platz mehr gibt. Im Gegenzug könnten für Güter und Versorgung unterirdische Lösungen angepeilt werden: Prof. Klaus Zweibrücken, HSR Hochschule für Technik Rapperswil, schwant eine unterirdische Tube-Anlage vor. Eine überdimensionierte Rohrpost soll bestehende Transportwege entlasten und oberirdisch Kapazitäten für uns Menschen freimachen. Oder wohl zutreffender gesagt: für den motorisierten Verkehr. Der Däne Mikael Colville-Andersen sieht eine deutliche Zunahme der menschlichen Fortbewegung voraus – mit Fahrrädern. Er zeigte auf, welche Fortschritte in den letzten Jahren sogar die fahrradunfreundlichsten Städte der Welt im Ausbau ihrer Veloinfrastruktur gemacht hätten. Für ihn ist das Fahrrad nicht einfach Fortbewegungsmittel, sondern ein Instrument, das die Lebensqualität in unseren Städten erhöht. Der Velostadt Basel zeigte er in Wort und Bild, wo das weitere Verbesserungspotenzial schlummert.
Wachsende Mobilität heisst nicht wachsende Freiheit
«Grundverkehrt wäre es, in der zunehmenden Mobilität eine wachsende Freiheit zu sehen. Vielmehr müssen wir von einem zunehmenden Zwang sprechen», ist Professor Guiseppe Pini vom Mobilitätsobservatorium der Universität Genf überzeugt. Heute schon müsse jeder Schweizer drei bis vier Deplacements pro Tag unter die Räder oder Füsse nehmen (Strassenverkehr, öffentlicher Verkehr, Langsamverkehr), um zur Arbeit und wieder nach Hause zu gelangen, Freizeitbedürfnisse zu befriedigen sowie Einkäufe, Botengänge oder Besuche usw. zu machen). Und dies vor dem Hintergrund einer wachsenden Bevölkerung von geschätzten 8,7 Millionen im Jahre 2030. Strasse und Schiene sollten fortan für gesellschaftlich sinnvolle Mobilität zur Verfügung stehen. Dazu gehört auch individuelles, «erkenntnisorientiertes» Reisen. Der deutsche Autor Roger Willemsen ging auf diesen Aspekt der Fortbewegung ein. Er berichtete, wie er auf seinen Reisen an die Enden der Welt auch immer wieder ihrer Endlichkeit gewahr wurde. Mobil zu sein, nannte er eine Notwendigkeit, um unsere Erde auch immer wieder in ihrer Bedrohung wahrzunehmen und entsprechend handeln zu können.
eco.ch (ehemals NATUR) auf einen Blick
eco.ch versteht sich als führendes Schweizer Forum für nachhaltige Entwicklung. Die Kombination aus Messe, Festival, Kongress und Gala richtete sich wiederum an die breite Bevölkerung sowie an Führungskräfte und Fachpersonen aus Politik, Wirtschaft, Medien und Verbänden. Am Rande des Kongresses fand das eco.festival statt – Markt- und Infostände, Anschauung. eco.ch wird nach wie vor von 24 Organisationen, Institutionen, Bundesämtern und Kantonen getragen. Für die Mobilitätsthematik 2014 wurde zusätzlich das Bundesamt für Verkehr mit ins Boot geholt. Leitgedanke: Strasse und Schiene sollten fortan für gesellschaftlich sinnvolle Mobilität zur Verfügung stehen. Dazu gehört auch individuelles, «erkenntnisorientiertes» Reisen.
©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch
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