Es gibt nach einem schweren AKW-Unfall auch in der Schweiz keine Lösung, um die Wasserversorgung für die Anlieger von Aare und Rhein zu erhalten. Dies gilt auch für die Flussanlieger unterhalb von Basel.

AKW: Falsche Ensi-Zahlen bieten schlechten Notfallschutz

(PM) Überholte Annahmen, vergessene Trinkwasserversorger und falsche Zahlen: Das ist die Bilanz der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU) zum Dokument des Eidgenössischen Sicherheitsinspektorats (Ensi) über radioaktives Wasser aus havarierten Atomkraftwerken (AKW) vom Oktober 2013. «Das ENSI nimmt den Schutz der Bevölkerung bei einem nuklearen Grossereignis auch nach dem Unfall in Fukushima noch immer nicht Ernst», kommentiert Peter Kälin, Arzt und Präsident der AefU.


Das neueste Ensi-Papier zu radioaktivem Wasser aus havarierten AKWs geht von veralteten Annahmen aus. Um die Folgen eines Atomunfalls wie in Fukushima auf Gewässer und Trinkwasser abzuschätzen, berücksichtigt das Ensi «mangels besseren Wissens»1 jene kontaminierte Wassermenge, die kurz nach dem Unfall in Fukushima in den Pazifik floss.2 Doch als der Ensi-Bericht geschrieben wurde, gab es längst besseres Wissen aus Japan: Noch heute strömen dort täglich mehrere hundert Tonnen verseuchtes Wasser ins Meer. Dies geschieht einerseits via Grundwasser, andererseits hielten die Tanks nicht dicht, die der AKW-Betreiber Tepco aufstellte, um das verstrahlte Kühlwasser aus den kaputten Reaktoren zu lagern.

Radioaktives Wasser aus Schweizer AKW: Alles gelangt nach Basel

Dass radioaktives Wasser austreten könnte, war in Japan in keinem Unfallszenario vorgesehen – ebenso wenig in der Schweiz. Hier würde radioaktives Wasser bekanntlich nicht direkt ins Meer fliessen, sondern die Aare und den Rhein verseuchen. Egal ob aus Beznau, Mühleberg, Gösgen oder aus Leibstadt: Tritt aus einem Schweizer AKW radioaktives Wasser aus, so fliesst es im Rhein nach Basel.

Ensi vergisst 17 000 Menschen
Das hat inzwischen auch das Ensi bemerkt und am 17. Oktober 2013 das Dokument «Radiologische Schadstoffausbreitung in Fliessgewässern – mögliche Auswirkungen auf den Notfallschutz» veröffentlicht. Die Lektüre zeigt: Das Papier basiert nicht nur auf längst überholten Annahmen. Das Ensi berücksichtigt auch nicht alle Trinkwasserversorger, die von radioaktivem Rheinwasser direkt betroffen wären. So ging die Gemeinde Muttenz/BL schlicht vergessen, die 17 000 Einwohner mit täglich 6900 Kubikmeter Trinkwasser versorgt, das sie aus Rheinwasser gewinnt.

Ensi
rechnet nur die Hälfte
Doch damit noch immer nicht genug. Das Ensi macht auch falsche Angaben zu der Menge Rheinwasser, die die Stadt und die Agglomeration Basel aus dem Fluss abpumpen, um daraus Trinkwasser herzustellen. Die Schweizer Atomaufsicht schreibt, die Basler Trinkwasserwerke ‹Muttenzer Hard› (Hardwasser AG) und ‹Lange Erlen› würden täglich 75 000 Kubikmeter Rheinwasser entnehmen. Tatsächlich aber sind es rund 145 000 Kubikmeter, also fast die doppelte Menge, wie die Industriellen Werke Basel (IWB) gegenüber den AefU bestätigen.

Ensi
kennt lokale Risiken nicht
Ein weiteres Beispiel zeigt, wie oberflächlich sich das Ensi über die regionale Wasserversorgung am Rhein informierte: Laut Ensi könnten die beiden Basler Wasserwerke auch ohne Nachschub aus dem Rhein die Bevölkerung in und um Basel 175 Tage (25 Wochen) lang mit der Notwassermenge von 15 Litern Trinkwasser pro Tag und Person versorgen. Was das Ensi offensichtlich nicht weiss: In der ‹Muttenzer Hard› lässt man das Rheinwasser nicht nur zur Trinkwassergewinnung versickern. Es ist auch eine zwingende Massnahme, um die Wasserströme im Untergrund so zu beeinflussen, dass möglichst kein verschmutztes Grundwasser von den benachbarten Chemiemülldeponien der BASF, Novartis und Syngenta in die Trinkwasserbrunnen gelangt. Ohne Versickerung von Rheinwasser kann das schon nach ein bis zwei Wochen passieren. Nach 175 Tagen hätte das belastete Grundwasser die Trinkwasserfassungen für über 230 000 Menschen längst verschmutzt und wahrscheinlich sogar zerstört, halten die AefU in der neusten Ausgabe ihrer Fachzeitschrift OEKOSKOP fest.

ENSI nimmt Schutz der Bevölkerung auch nach Fukushima nicht ernst

«Das ENSI nimmt den Schutz der Bevölkerung bei einem nuklearen Grossereignis auch nach dem Unfall in Fukushima noch immer nicht Ernst», kommentiert Peter Kälin, Arzt und Präsident der AefU. Und weiter: «Das noch immer in Fukushima auslaufende radioaktive Wasser und der oberflächlich erarbeitete Ensi-Bericht zeigen: Es gibt nach einem schweren AKW-Unfall auch in der Schweiz keine Lösung, um die Wasserversorgung für die Anlieger von Aare und Rhein zu erhalten. Dies gilt auch für die Flussanlieger unterhalb von Basel. Die einzige Lösung, die ich sehe, ist das sofortige Abschalten zumindest der Uralt-Reaktoren in Mühleberg und Beznau», ergänzt Kälin.

1 Ensi: Radiologische Schadstoffausbreitung in Fliessgewässern – mögliche Auswirkungen auf den Notfallschutz. ENSI-AN8091, Brugg, 11.10.2013, S. 3.

2 Vom 1. – 6. April 2011, ebda. S. 3.

Text: Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz

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