In der Theorie klingt alles ganz einfach. Die Waschmaschine im Keller startet ihren Waschgang, wenn es aus Sicht des Netzes gerade günstig ist. Der Impuls kommt per Kabel oder Funk ins Haus – und alle Beteiligten sind glücklich: die Stromwirtschaft, weil flexible Verbraucher das Netz stabilisieren; der Nutzer, weil er sich die Zeiten billigeren Stroms aussuchen kann; die Hard- und Softwarefirmen, weil sich ein grosser Absatzmarkt für Steuerungstechnik und Abrechnungssysteme erschliesst.
50 verschiedene Gesetze ändern
Doch die Welt der Stromwirtschaft ist komplexer – der Schritt von der Theorie zur Praxis eines „Smart Market“ daher gewaltig. „Wir müssen 50 verschiedene Gesetze ändern, die dazu noch in unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche fallen“, sagt Bernd Michael Buchholz von der Beratungsfirma NTB Technoservice, der zugleich für den VDE tätig ist. Erst dann seien zeitvariable Endkundentarife, die jeweils Angebot und Nachfrage widerspiegeln, im Massenmarkt praktikabel.
Eine Herausforderung ist zudem die Wirtschaftlichkeit. Nimmt man die seit Jahrzehnten von Stromheizungen bekannten Hoch- und Niedertarifregelungen (HT/NT), habe ein Durchschnittshaushalt ein Einsparpotenzial von gerade mal 20 Euro pro Jahr, rechnet Buchholz vor: „Die Spreizung der Tarife ist zu gering, um die Investitionen rentabel zu machen.” Nur ein gewaltiger Preisverfall bei der nötigen Elektronik könnte das ändern. Oder ein neues Tarifsystem.
Strukturelle Fragen
Es bleiben also viele strukturelle Fragen: Wem soll das flexibel gesteuerte Gerät bei der Wahl der Betriebszeit eigentlich dienen? Springt die Maschine an, wenn es im Hinblick auf die Netzkapazitäten günstig ist – also im Auftrag des Netzbetreibers? Oder soll sie laufen, wenn gerade viel Strom verfügbar ist – also im Auftrag des Stromlieferanten? Daran hängt dann die Frage: Wer vergütet die Flexibilität des Verbrauchers?
Der deutsche Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) gibt dem Thema in seiner Roadmap „Smart Grids“ vom vergangenen Februar noch einige Jahre Zeit. Es wird mit drei Phasen gerechnet: Aufbau- und Pionierphase (2012 bis 2014), Etablierungs- und Ausgestaltungsphase (2014 bis 2018) sowie Realisierungs- und Marktphase (2018 bis 2022).
Staatlich regulierte Netzbetrieb versus freie Strommarkt
Nicht gerade erleichtert wird das Thema dadurch, weil zwei Welten aufeinander treffen – der staatlich regulierte Netzbetrieb und der freie Strommarkt. Lastverlagerungen betreffen rein physisch immer beide und können somit auf unterschiedliche Interessenslagen stossen.
Ein Beispiel: Es gibt viel Wind in Norddeutschland, die Preise am Spotmarkt sind daher günstig. Der Stromhändler könnte theoretisch günstig einkaufen und den Preisvorteil an den Kunden weitergeben, der dann seine Waschmaschine startet. Doch in der Praxis kennt Deutschlands Strommarkt nur ein Marktgebiet, die Börsenpreise sind grundsätzlich im ganzen Land identisch, sie missachten die Frage des Stromtransports. Nimmt man an, dass viele Verbraucher bei billigen Preisen ihre Waschmaschinen starten, ihre Elektroautos laden und vielleicht sogar noch Wärmespeicher per elektrischer Wärmepumpe laden, dann kann es sein, dass das Netz in manchen Abschnitten an seine Grenzen kommt. Womit jede zusätzliche Waschmaschine, die in der betreffenden Region anspringt, plötzlich eine zu viel wäre. Aus Sicht des Netzbetreibers sollte die Waschmaschine also in diesem Moment gerade nicht starten, obwohl der deutsche Markt grundsätzlich üppig mit Strom versorgt ist. Man steht vor einem Dilemma im entflochtenen Markt.
In der monopolistischen Stromwelt vor 1998 wäre das ganze zweifellos einfacher gewesen. Doch diese Erkenntnis hilft in der Praxis nicht weiter – zurück drehen will die Marktöffnung schliesslich so gut wie niemand. Der Weg der Liberalisierung und der Regulierung des Monopolbereiches „Netz“ sei richtig und müsse „konsequent weiter fortgesetzt werden“, betont die deutsche Bundesnetzagentur in ihrem Eckpunktepapier „Smart Grid“ und „Smart Market“.
Präzisierung der Begriffe
Man wird demnach einen Weg finden müssen, der mit dem entflochtenen Markt harmoniert. Um der Diskussion ein wenig mehr Klarheit zu verschaffen, fordert die deutsche Netzagentur zu allererst eine Präzisierung der Begriffe: „Der bisherige Verlauf der Diskussion zeigt, dass einer allzu ausufernden Verwendung des Begriffs Smart Grid sprachlich Einhalt geboten werden muss.“ In der Debatte finde eine Vermischung von Netz- und Marktthemen statt. Es werde die Energiezukunft „häufig darauf verkürzt, Smart Meter zu ihrem zentralen Baustein zu erheben“.
Klarstellung ist nötig. Das Smart Grid nämlich hat mit dem Smart Meter im Haus erst einmal wenig zu tun. Das konventionelle Elektrizitätsnetz werde zu einem Smart Grid, wenn man es durch Kommunikations-, Mess-, Steuer-, Regel- und Automatisierungstechnik aufrüste, erklärt die Netzagentur. Dann liessen sich Netzzustände in Echtzeit erfassen und bestehende Netzkapazitäten besser ausnutzen – was den Ausbaubedarf reduzieren und die Netzstabilität verbessern kann. Die hierzu erforderliche Anzahl an Messpunkten sei sogar relativ gering.
Smart Meter marktdienlich
Der Smart Meter im Haushalt jedoch hat einen anderen Zweck; die mit ihm erhobenen Daten sind an erster Stelle Grundlage für die Belieferung und Abrechnung des Kunden – und damit Grundlage für variable Tarife. Somit seien die durch Smart Meter erfassten Daten in der Hauptsache marktdienlich und nicht primär netzdienlich, schlussfolgert die Netzagentur. Auch Stromhändler teilen diese Betrachtung: „Die Lastverlagerung muss aus pragmatischen Erwägungen auf den Stromhandel bezogen sein”, sagt auch Oliver Hummel, Vorstand der Naturstrom AG.
Doch in der Praxis kommt nun die nächste Hürde für den Markt der Zukunft, den die Netzagentur als „Smart Market” bezeichnet: „Ein Problem sind die Standardlastprofile”, sagt VDE-Berater Buchholz. Denn aktuell hat ein Stromhändler nichts davon, wenn sein Kunde zu Zeiten billigen Börsenstroms bevorzugt Elektrizität zieht. Schliesslich speist der Lieferant die von ihm verkaufte Energie für Kunden bis 100‘000 Kilowattstunden Jahresverbrauch üblicherweise nach einem standardisierten Tagesprofil ein, das den Durchschnittskunden widerspiegeln soll.
Stromanbieter muss Leistung bringen
Ein Beispiel: Für einen Werktag im Winter muss ein Stromanbieter immer am meisten Strom für die Zeit zwischen 19 und 20 Uhr beschaffen und am wenigsten für die Stunden zwischen 2 und 5 Uhr. Die jeweiligen Anteile ergeben sich stur nach dem Profil. Das heisst: Verbraucht ein Haushaltskunde nun zehn Prozent mehr Strom, muss der Händler zu jeder Tageszeit zehn Prozent mehr Strom einkaufen, unabhängig davon, wann der Kunde die Energie tatsächlich bezieht. Von verstärktem Verbrauch zu Zeiten günstiger Marktpreise, kann der Händler damit nicht profitieren - und folglich auch keinen Preisvorteil weitergeben.
„Die derzeitige Praxis der Fahrplanerstellung und des Einkaufs auf Basis von Standardlastprofilen behindert die Einführung dynamischer Tarife”, beklagt entsprechend auch die deutsche Energietechnische Gesellschaft (ETG) im VDE. Und sie findet Zustimmung bei Praktikern aus der Energiewirtschaft: „Mit den Standardlastprofilen sind Preissignale für den Vertrieb nicht möglich”, sagt Mathias Niemann, Leiter Regulierungsmanagement/Energiewirtschaft beim Freiburger Regionalversorger Badenova.
Energiewirtschaftliche Umfeld passt noch nicht zum Zähler
Was also tun? Die ETG fordert „Alternativen auf Basis von innovativen Prognoseverfahren und soweit wirtschaftlich auch sinnvoll registrierender Lastgangmessung mittelfristig rechtsverbindlich zu machen“. Aber das greift tief in die Architektur des Strommarkts ein. Zwar könnte ein Stromvertrieb rein formal auch schon heute bei Haushalten von den Standardlastprofilen Abstand nehmen, sofern der Kunde einen Stromzähler hat, der viertelstündige Verbrauchswerte über den Verteilnetzbetreiber an den Stromhändler liefert. Doch das funktioniert in der Praxis noch nicht – das energiewirtschaftliche Umfeld passt noch nicht zum Zähler.
„Die Intelligenz der intelligenten Zähler hört heute am Zählerausgang auf“, sagt Naturstrom-Vorstand Hummel, „die nachgelagerten Systeme ignorieren diese Intelligenz”. Das heisst: Verbraucher können sich zwar schöne Grafiken über ihr Verbrauchsverhalten auf den heimischen Bildschirm zaubern, die Stromwirtschaft aber kann die Daten bisher nicht sinnvoll verwerten. Das liegt unter anderem auch am Datenschutz, der ein weiteres grosses Thema ist; detaillierte Verbrauchskurven sagen schliesslich sehr viel über den betreffenden Haushalt aus.
Weniger Bedarf, weniger Reserve, weniger Netz
Hat man hierfür eine Lösung gefunden und Lastverschiebungen im Stromvertrieb etabliert, bleibt noch eine weitere Frage offen: Gibt es zusätzlich auch im Interesse der Netze sinnvolle Ansätze, Lastverschiebungen attraktiv zu machen? Die ETG weisst nämlich darauf hin, dass durch Verlagerung von Verbrauch die Spitzenlasten um bis zu zehn Prozent reduziert werden könnten, womit nicht nur der Bedarf an Reservekapazitäten, sondern auch der Bedarf an neuen Netzen abnehmen könnte.
Eine Idee sind zeitvariable Netzentgelte. Mit ihnen würde das Netz Preissignale an den Markt geben und Händler müssten zu bestimmten Zeiten – wenn die Netze über ausreichende Spielräume verfügen – nur reduzierte Durchleitungsentgelte bezahlen. Den Preisnachlass könnten sie dann eins zu eins an ihre Endkunden weitergeben, als Anreiz, den Stromverbrauch darauf abzustimmen.
Auch dieses Modell klingt gut, gleichwohl ist sein Sinn in der Praxis fraglich: Variable Netzentgelte seien „zu aufwändig, als dass sie zur Bewirtschaftung knapper Netzkapazitäten in Zukunft herangezogen werden sollten“, befindet die Bundesnetzagentur. Der hierfür erforderliche administrative Aufwand für Bildung, Übermittlung und Abrechnung der Preisinformationen sei „beträchtlich“. Auch Stromhändler bestätigen: „Im ersten Schritt halten wir das nicht für praktikabel“, sagt Naturstrom-Vorstand Hummel. Somit werden die Preissignale – zumindest für den Anfang – allein von der Handelsebene kommen.
Kunden nutzen flexible Tarife
Bleibt noch die Frage: Werden die Kunden flexible Tarife am Ende auch wirklich nutzen? Beim Mannheimer Energieversorger MVV hält man das für eine ausgemachte Sache: Ein Modellversuch habe die Bereitschaft belegt. Unter dem Namen Modellstadt Mannheim (Moma) hatte ein Konsortium, dem neben der MVV Energie unter anderem auch IBM Deutschland angehörte, über vier Jahre hinweg 1000 Haushalte in Feldtests analysiert. Die Haushalte hatten die Möglichkeit, auf einen wechselnden Strompreis mit einer Verschiebung ihres Stromverbrauchs zu reagieren, unterstützt von einem intelligenten Energiemanagement-System mit dem Namen „Energiebutler“. „Im Durchschnitt hatte eine Preisveränderung um 100 Prozent eine Verschiebung von elf Prozent des Strombedarfs zur Folge“, bilanziert die MVV nun in ihrem Abschlussbericht.
Allerdings ist eine Preisspreizung zwischen teuren und billigen Stunden in solcher Höhe am realen Markt nicht zu erwarten. Die MVV Energie ist dennoch überzeugt, dass die Steuerung der Nachfrage „einen wichtigen Beitrag bei der Integration der Energie aus Sonne und Wind in die Stromnetze“ leisten kann. Nur wird auch sie ihren Kunden bis auf weiteres am Markt keine zeitvariablen Tarife anbieten können, die bei starkem Wind und vollem Sonnenschein günstiger sind. „Es ist ein bisschen wie Henne und Ei“, sagt Werner Dub, Technikvorstand des Mannheimer Energieunternehmens MVV Energie: Intelligente Zähler seien noch zu teuer, es fehlten noch die intelligenten Anwendungen. Daher nutze sie bisher niemand – und deshalb blieben sie teuer.
Industrie mit weniger Aufwand deutlich mehr an Flexibilität
Oliver Hummel erinnert unterdessen daran, dass es sinnvoller sei, den Smart Market von oben her aufzuzäumen: indem man die Lastverlagerung bei grossen Stromverbrauchern startet und erst dann zu kleineren Leistungen vordringt. In der Industrie ist mit weniger Aufwand deutlich mehr an Flexibilität zu erschliessen als im kleinteiligen Markt der Privathaushalte. In die gleiche Richtung hatte Annette Loske, Hauptgeschäftsführerin des Verbands der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft, schon vor zwei Jahren argumentiert mit der rhetorischen Frage: „Was ist einfacher zu organisieren – die Abschaltung von 40.000 Waschmaschinen oder die Abschaltung einer Elektrolyse?“
Die zahlreichen Smart Meter, die in Privathäusern mittlerweile schon eingebaut sind, werden unterdessen in nächster Zeit kaum Verbrauchsverlagerungen bewirken. Allerdings beginnt an anderer Stelle im Privatkundengeschäft gerade ein Smart Market aufzukeimen – dort, wo Bürger eine Solarstromanlage auf dem eigenen Dach betreiben. Diese Haushalte achten häufig darauf, wann sie ihre Waschmaschine starten, bevorzugt dann, wenn die Sonne den nötigen Strom liefert.
Smart Consumer
Auch in der heutigen Marktarchitektur geht das problemlos. Zumal die Preisspreizung schon gross genug ist, um entsprechende Anreize zu bieten: Strom vom Hausdach aus neuen Photovoltaikanlagen wird nur noch mit rund 14 Cent je Kilowattstunde vergütet, Strom aus dem Netz hingegen kostet rund 26 Cent. Und das Beste: Die Einsparungen durch Verbrauchsverlagerung sind ohne Technik und ohne Investitionen möglich – ein kurzer Blick an den Himmel beantwortet die Frage, ob der Zeitpunkt für die Waschmaschine günstig ist.
So muss man das Vokabular der Energiewende mit Smart Grid, Smart Meter und Smart Market jetzt um den Smart Consumer ergänzen – der jeder smarten Technik bislang um Längen voraus ist.
©Text: Bernward Janzing
2 Kommentare
Die Gesetzte kommen doch nicht von den Politikern sondern von den vier grossen Konzernen.
Herrschaftszeiten, dann wird es mal Zeit, dass die Märkte von der Politik in Ruhe gelassen werden! 50 Gesetze?!? Warum? Alle einfach streichen reicht! Wenn man mal die Menschen einfach machen lässt, tun sich unzählige Ideen auf, wie man Strom sparen kann, denn in einem freien Markt, könnte man nicht mehr so einfach Umwelt verschmutzen, wenn dann plötzlich Natur wirklich in Eigentum von Menschen überführt werden kann, die sie wirklich schützen wollen. Vor geraumer Zeit bin ich bsw. auf discovergy.com gestossen. Klar sind die noch nicht soweit, die Waschmaschine anzusteuern, aber die machen das beste draus und beraten ihre Kunden bezüglich Stromverbrauchern und -Tarifen einfach per Email.