Im Jahresverlauf wird klar, dass es im Winter eng wird. Hier müssen Gaskraftwerke, Geothermie, Wind oder Importe aushelfen. ©Bild: EKZ

Beispiel einer Sommerwoche: Bei schönem Wetter kann die Photovoltaik viel Strom erzeugen. Für den Ausgleich werden die Pumpspeicher stark beansprucht. ©Bild: EKZ

Für die künftige Stromversorgung muss man die gewohnten Pfade verlassen, wenn die Kernenergie mit erneuerbaren Energiequellen ersetzt werden soll. Im Bild: die projektierte Solaranlage von EKZ am Walensee. ©Bild: EKZ

SCS: Elektrische Energieversorgung der Zukunft simulieren

(PM) Eine offene Simulationsumgebung erlaubt es, verschiedene Energieszenarien zu vergleichen. Daraus können Rückschlüsse über die komplexen Zusammenhänge der künftigen Stromversorgung in der Schweiz gezogen werden. Es zeigt sich, dass aus technischer Sicht verschiedene Lösungen möglich sind, die Machbarkeit aber massgeblich vom Marktdesign abhängt.


Die Ansichten über die künftige elektrische Energieversorgung in der Schweiz gehen stark auseinander. Diskussionspunkte sind unter anderem der künftige Energiebedarf, der Produktionsmix, der Ausbau der Netze, der Bau von Speicherkapazitäten, das geeignete Mass an Intervention des Regulators oder die Höhe des Selbstversorgungsgrads. Verbände, Parteien und der Bund skizzieren verschiedene Lösungsvarianten. Doch wie lassen sich diese unterschiedlichen Szenarien vergleichen?

Das Stromnetz simulieren
Ein Simulationsmodell von Supercomputing Systems soll helfen, die Diskussion zu versachlichen. Es steht als neutrale Rechenplattform zur Untersuchung relevanter Fragen zur Verfügung. Die Idee: Mit einem konsensfähigen physikalischen Simulationskern werden „politisch motivierte“ Szenarien in Form von Parametersets simuliert, um diese zu untersuchen und einander gegenüberzustellen. Im Wesentlichen errechnet das Modell für ein gegebenes Szenario die Energie- und Leistungsbilanz im Minutentakt über ein Jahr hinweg. Berücksichtigt werden der gewählte Kraftwerkpark, die detaillierten Wind- und Sonneneinstrahlungsdaten, die Füllstände der Saisonal- und Pumpspeicher sowie Import und Export von elektrischer Energie. Zudem können lokale Batteriespeicher und eine Lastverschiebung simuliert werden. Der Einsatz der gewählten Mittel erfolgt im Sinne des Gesamtsystems. Die Bereitstellung der Energie richtet sich nach einer Prioritätenliste, welche die Flexibilität der Kraftwerke und Speicher berücksichtigt. Bei Überschüssen kann Export, bei Deckungslücken Import erfolgen.

Da der Strom nicht nur generiert, sondern auch übertragen werden muss, wird zur Abschätzung der Netzbelastung eine Abstraktion des Elektrizitätsnetzes berücksichtigt. Dem Modell hinterlegt ist zudem eine Berechnung der volkswirtschaftlichen Kosten des Szenarios, wobei Kennzahlen wie Investitions- und Betriebskosten einzelner Technologien, Amortisationsdauern, Zinssätze etc. frei wählbar und damit Teil der Szenario-Parametrierung sind.

Beispiel-Szenario mit erneuerbaren Energien
In einem Beispiel-Szenario werden 10,5 GW Photovoltaik-Anlagen, 2,25 GW Windkraft, 0,5 GW Biomasse- und 0,2 GW Geothermische Kraftwerke , sowie 0,4 GW Gas eingesetzt. Die Saisonalspeicher werden von heute 8,5 TWh auf 9 TWh Kapazität ausgebaut, die Pumpspeicherseen von 1,7 GW Pumpleistung auf 3 GW erweitert. Auf Kernkraftwerke wird verzichtet und lokale Batteriespeicher werden in geringem Mass eingesetzt. Der Endverbrauch an elektrischer Energie wird auf dem heutigen Niveau bei 60 TWh pro Jahr belassen.

Die Simulation zeigt, dass dieses Szenario den Jahresenergiebedarf je nach Wetterbedingungen nur decken kann oder zu einem leichten Importüberschuss führt. Trotz massivem Einsatz erneuerbarer Energien kann es zeitweise zu Unterdeckung kommen. Die Speicherseen würden stärker ausgefahren als heute und nahezu die gesamte heimische Energie würde für den Eigenkonsum benötigt. Die Pumpspeicher hätten in diesem Szenario allerdings noch einige Kapazität übrig für Arbitrage-Handel, also für Speicherdienstleistungen fürs Ausland.

Erkenntnisse aus dem Modell
Das Modell zeigt: Es sind verschiedene Szenarien denkbar, die technisch eine weitgehende Eigenversorgung gewährleisten können (Energie- und Leistungsbilanz) – auch bei rein erneuerbarer Energiebereitstellung. Zu beachten ist, dass die Einsatzstrategie der Mittel entscheidend ist; die Gestaltung des Markts bestimmt, ob ein Szenario überhaupt realisiert werden kann und ob sich die Akteure insgesamt zugunsten des Gesamtsystems verhalten.

Generell lässt sich sagen, dass bei einem deutlichen Ausbau der erneuerbaren Energien die Saisonal- und Kurzzeitspeicher eine zentrale Rolle übernehmen. Szenarien, die fast nur auf Wasser und Sonnenenergie setzen, tendieren im Winter zur Unterdeckung, selbst bei massivem Ausbau. Im Winter muss also weitere Energie zur Verfügung gestellt werden, wobei diese nicht zwingend Bandlast-typisch sein muss.

Der Einsatz der Saisonal- und Pumpspeicher wird in Gegenwart von stochastischen erneuerbaren Energien deutlich dynamischer und die dahinterliegenden Businessmodelle werden sich ändern. Ein Ausbau der Pumpspeicherleistung ist ein klarer Vorteil; das Volumen der Speicherseen muss dabei nicht zwingend erhöht werden. Bei den nicht-saisonalen Mitteln stehen lokale Batteriespeicher und Lastverschiebung global gesehen in direkter Konkurrenz zu Pumpspeichern, wobei lokale Speicher auch andere Funktionen wie die Stabilisierung der regionalen und lokalen Netze begünstigen.

Bei der Simulation der Photovoltaik zeigen sich die Vorteile von Standorten in den Alpen. Trotz Jahreserträgen von +50% gegenüber dem Mittelland und idealen Einstrahlungsbedingungen speziell im Winter scheinen diese Standorte finanziell und politisch aber eher schwer realisierbar.

Überschuss aus Photovoltaik
Szenarien mit deutlichem Solarausbau zeigen bald Produktionsspitzen, die nicht mehr direkt konsumiert oder gespeichert werden können. Da im Ausland zeitgleich eine ähnliche Situation angenommen werden kann, sind solche Überschüsse nicht verwertbar. Diese Kappung von Spitzenleistung ist mit schwierigen regulatorischen und technischen Fragen verbunden, da entschieden werden muss, welche Anlage nicht oder nicht vollständig einspeisen darf.

Eine Sensitivitätsanalyse mit hydrologischen und meteorologischen Daten über die Jahre 2003 bis 2013 ermöglicht es, die ‚Robustheit‘ der Szenarien zu vergleichen. Es zeigt sich eine grundlegende Variabilität der Wasserkraft von ±1,5 TWh pro Jahr. Wird zusätzlich auf Kernenergie gesetzt, ändert sich daran kaum etwas. Ersetzt man die Bandlastkraftwerke jedoch mit stochastischen Energien, zeigen die entsprechenden Szenarien Schwankungen von gegen ±5 TWh, was gut 8% des heutigen Konsums entspricht. Hier entsteht also eine gewisse Unsicherheit in der Energiebereitstellung, die ausgeglichen werden muss.

Klar ist, dass intelligente Netze in Zukunft eine zentrale Rolle übernehmen werden. Die volatile, dezentrale Einspeisung auf lokaler Ebene führt zu neuen Mustern der Netznutzung. Die Netze in diesem Umfeld stabil zu halten, eine übermässige dezentrale Einspeisung zu verhindern und Erzeugung, Konsum und Speicherung zu koordinieren, wird eine Herausforderung für die Smart Grid-Technologie sein.

Zahlreiche technische Möglichkeiten
Das Simulationsmodell soll weiterentwickelt werden, um ein optimiertes Marktverhalten der Akteure sowie eine Verteilung der Netzkosten zu simulieren. Damit könnten künftige Businessmodelle der Marktteilnehmer plausibilisiert und mögliche Marktdesign-Ansätze verifiziert werden. Angestrebt wird auch eine erweiterte Integration ins europäische System. Ein detaillierteres Modell des Elektrizitätsnetzes wird Rückschlüsse auf dessen künftige Belastung erlauben. Ebenso soll ein Gesamtbild der schweizerischen Energieversorgung über das elektrische System hinaus entstehen. Szenarien über Zeiträume zu betrachten wäre zudem hilfreich, um beispielsweise den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie zu simulieren.

Gestaltung des Markts und der Preisbildung entscheidnend
Technisch gesehen sind verschiedene Szenarien machbar. Welche Form die künftige elektrische Energieversorgung tatsächlich annehmen wird, hängt massgeblich von der Gestaltung des Markts und der Preisbildung ab. Herausforderungen sind unter anderem die Konkurrenz zwischen PV/Windenergie, die mit vernachlässigbaren variablen Kosten Energie einspeisen, und brennstoffbetriebenen Kraftwerkstypen. Auch kann das gleichzeitige Einspeisen – insbesondere bei PV-Anlagen – zu Problemen führen. Anlagen für Reservekapazitäten müssen wiederum in kurzer Zeit ihre Investitionen amortisieren können, was hohe Strompreise bedeuten kann und die Wirkungsgrade dieser Anlagen verschlechtert. Die aktuelle Stagnation bei den Investitionen in grosse Anlagen zeigt ausserdem, dass die Marktteilnehmer mit grossen Investitionsunsicherheiten konfrontiert sind. Die Politik muss hier Entscheide fällen und Klarheit schaffen.

©Text: Stephan Moser, Supercomputing Systems AG (SCS)

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