Ein Schwerpunkt der Förderaktivitäten liegt in Texas, wo es nach Informationen der staatlichen U.S. Energy Information Administration fast 100‘000 Gasquellen gibt. ©Bild: Martin Egbert

Auch in der in der Nähe von bewohnten Gebieten wird gebohrt. ©Bild: Martin Egbert

„In Texas haben die Gas- und Ölfirmen ihre Tentakeln überall“, sagt Don Young, Umweltaktivist. ©Bild: Martin Egbert

1500 Tanklastzüge voll Wasser werden pro Bohrung verbraucht. ©Bild: Martin Egbert

Seit eine texanische Energiefirma begonnen hat, wenige Meter von ihrem Haus entfernt so genanntes unkonventionelles Gas zu fördern, ist der Traum vom gesunden und ungestörten Landleben für Christine und Tim Ruggiero geplatzt. ©Bild: Martin Egbert

„Beim Fracking werden pro Bohrung 1500 Tanklastzüge voll Wasser verbraucht“, erklärt Sharon Wilson. „Häufig entnehmen sie das aus umliegenden Flüssen oder Seen und der Grundwasserspiegel sinkt.“ ©Bild: Martin Egbert

Fracking: Texas im Gasrausch

(©KS) In Europa steckt Fracking noch in den Anfängen - und ist bereits äusserst umstritten. Die Folgen der Gasförderung für Mensch und Umwelt zeigt ein Blick in die USA. Dort wird seit Jahren Erdgas mit hohem Wasserdruck und Chemikalien aus Gesteinsschichten gelöst. Unter dem Nordosten von Texas liegt die so genannte Barnette Shall. Die Gesteinsformation gehört zu den bedeutendsten Fördergebieten von unkonventionellem Gas in den USA.


Der Weg zu den Ruggieros geht vorbei an weiten Wiesen, auf denen Longhorn-Rinder grasen. Nur selten taucht ein Gehöft zwischen den seichten Hügeln auf. Eine schmale Schotterstrasse führt zu dem roten Backsteinhaus. Kläffend schiesst ein Knäuel Hunde in einer Staubwolke die Auffahrt herunter.

Idyll

Mit festem Schritt kommt Christine Ruggiero über die Koppel. Gerade hat sie die beiden Pferde, Sweetheart und Ninja, in den Stall geführt. „Ninja war ein Weihnachtsgeschenk für unsere Tochter Reilly.“ Christine Ruggerio streicht sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. Hinter ihr liegen bunte Kinderfahrräder im Gras. Vor zehn Jahren sind die Ruggieros aus einer Kleinstadt hierher aufs Land im Nordosten von Texas gezogen. Auf ein Idyll, mit zwei Pferden und sechs Hunden. „Und einem Goldhamster“, ruft Reilly. Christine Ruggiero lacht. Dann wird sie schnell wieder ernst. In den letzten Monaten haben die Versicherungsangestellte und ihr Mann Tim, ein Privatdetektiv, einiges durchgemacht.


Erhöhten Benzolwerte
Seit eine texanische Energiefirma begonnen hat, wenige Meter von ihrem Haus entfernt so genanntes unkonventionelles Gas zu fördern, ist der Traum vom gesunden und ungestörten Landleben für die Ruggieros geplatzt. Die Einrichtung der beiden Bohrstellen brachte Lärm, schwarze Dieselwolken und Schwerlastverkehr mit sich. Das ist nun vorbei. Aber die Gasförderanlage, um die das Unternehmen eilig einen Bretterzaun gezogen hat, beeinträchtigt weiterhin das Leben der Familie. „Immer wieder stinkt es nach Gas“, erzählt Christine Ruggiero. „Und davon geht wahrscheinlich noch die geringste Gefahr aus.“ Viel mehr Angst hat sie vor den erhöhten Benzolwerten, die mehrmals auf ihrem Grundstück gemessen wurden. Benzol wird bei der Förderung von unkonventionellem Gas eingesetzt. Es gilt als Krebs erregend. „Während der Bohrungen lag der Wert zeitweilig über dem Dreissigfachen des Grenzwertes für dauerhafte Belastung.“ Christine Ruggiero kräuselt die Stirn. „Aber auch jetzt im Förderbetrieb sind die Werte häufig sehr hoch.“ Immer öfter verbietet sie ihrer Tochter, draussen zu spielen. Vor allem seit Reilly ständig nachts aufwacht und über Atemnot klagt.

Cocktail aus bis zu 200 Chemikalien

Die Ruggieros zahlen einen hohen Preis für die Förderung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten. Texanische Energieunternehmen verdienen damit eine Menge Geld. Unkonventionelles Gas ist in grossen Tiefen in Kohle-, Ton- oder Schiefergestein eingeschlossen. Gefördert wird es durch das Hydraulic Fracturing-Verfahren, kurz Fracking genannt. Pumpen pressen dabei eine spezielle Flüssigkeit unter einem Druck von rund 1000 bar in die Tiefe. Die Flüssigkeit besteht aus Wasser, Sand und einem Cocktail aus bis zu 200 Chemikalien, unter anderem Benzol, Toluol oder Xylol. Das unterirdische Gestein bricht auf. Bis zu einhundert Meter lange Risse entstehen, aus denen das Gas herausströmt.

Belastung für Luft, Böden, Gewässer und Grundwasser

Das Fracking dauert ein bis zwei Wochen. Von einer Bohrstelle aus können bis zu dreissig Gasquellen angezapft und über Jahre ausgebeutet werden. Doch das Verfahren birgt hohe Risiken, belastet Luft, Böden, Gewässer und Grundwasser. Etwa durch den Schlamm, der sich aus Wasser, Sand und Ölresten bildet und gelöste Salze, radioaktive Isotope und Chemikalien mit sich führt. Ein Teil des Schlamms wird direkt beim Fracking noch oben gedrückt. Ein anderer gelangt später, während der Gasförderung, an die Oberfläche. Grosse Mengen aber verbleiben in der Tiefe. Und werden zur Gefahr für das Grundwasser.

Texas mit 100‘000 Gasquellen

Energiekonzerne wie Exxon Mobil oder Halliburton sehen im Fracking ein riesiges Potential. Die Vorkommen an unkonventionellem Gas sollen sich laut internationaler Energieagentur (IEA) auf das fünffache der konventionellen Vorräte belaufen. In Europa steckt Fracking in den Anfängen. Doch der Run auf die Förderstätten hat begonnen. In Nordrhein Westfalen etwa wird das zweitgrösste Vorkommen an unkonventionellem Gas in Europa vermutet. Gegen erste Bohrungen gibt es allerdings massiven Widerstand von Bürgern, Lokalpolitikern und Wasserversorgern. Auch in der Schweiz gibt es zahlrieche Vorhaben für Probebohrungen. Dass diese sich zu Recht sorgen, zeigt das Beispiel USA. Diese sind nach Angaben der IEA dank unkonventioneller Förderung zum grössten Gasproduzent der Welt aufgestiegen, noch vor Russland. Ein Schwerpunkt der Förderaktivitäten liegt in Texas, wo es nach Informationen der staatlichen U.S. Energy Information Administration fast 100‘000 Gasquellen gibt.

Sinkende Grundwasserspiegel

In einigen Counties im Nordosten von Texas sind auf fast jeder zweiten Wiese die grossen Tanks zu sehen, die nach dem Fracking aufgestellt werden. In die Tanks leiten die Betreiber den Schlamm, der während der Gasförderung hoch gedrückt wird. Für den giftigen Schlamm gibt es kein Entsorgungskonzept. „Sie leiten ihn in offene Gruben, Teiche oder Flüsse, verkaufen ihn nach dem Entsalzen als Dünger an Farmer oder entsorgen ihn auf ganz normalen Kläranlagen“, sagt Sharon Wilson. Die Verwaltungsangestellte an der Universität von Denton, einer Kleinstadt mit rund 100‘000 Einwohnern, hat ihren Traum vom Haus im Grünen aufgegeben, nachdem in unmittelbarer Nachbarschaft eine Bohrstelle eingerichtet wurde. Unter anderem bekam sie wegen der Bohrung Probleme mit dem Wasserdruck in ihrem Haus. „Beim Fracking werden pro Bohrung 1500 Tanklastzüge voll Wasser verbraucht“, erklärt Sharon Wilson. „Häufig entnehmen sie das aus umliegenden Flüssen oder Seen und der Grundwasserspiegel sinkt.“ Zudem gefährden Methan und die eingesetzten Chemikalien die Qualität des Grundwassers.

735 Milliarden Kubikmeter Gas

Sharon Wilson dokumentiert seit sechs Jahren die Folgen der unkonventionellen Gasförderung in ihrer texanischen Heimat. Unter dem Nordosten von Texas liegt die so genannte Barnette Shall. Die Gesteinsformation gehört zu den bedeutendsten Fördergebieten von unkonventionellem Gas in den USA. Hier sollen 735 Milliarden Kubikmeter Gas eingeschlossen sein. „Rund um Denton gibt es um die zweitausend Gasquellen“, erklärt Sharon Wilson bei einer Fahrt übers Land. Tanklastzüge und Schwertransporte mit Bohranlagen kommen uns entgegen. Lagerplätze mit gestapelten Rohren tauchen neben der Landstrasse auf. Hinter hohen Zäunen rattern gewaltige Kompressoren. Sie sorgen für den nötigen Druck, um das geförderte Gas über weite Strecken durch die Pipelines zu transportieren. Schilder an den Gattern zu den Wiesen warnen vor dem Gebrauch von Feuer. Und immer wieder die - einzeln unscheinbar wirkenden - Förderstätten, mit den Tanks und den Stutzen der Pipelines. Wie Maulwurfshügel lassen sie das dichte Netz an Pipelines nur erahnen, das unter der Oberfläche verlegt wurde.

60% der Gesundheitsprobleme durch Gasförderung verursacht

Sharon Wilson zeigt Förderstätten und Kompressorstationen dicht an imposanten Farmhäusern oder einfachen Holzhütten und Trailerparks, in direkter Nachbarschaft zu Kindergärten, Altersheimen, Schulen und Krankenhäusern. Sie trägt unermüdlich Informationen zusammen und verbreitet sie in ihrem Blog. Beispiele von horrenden Asthmaraten unter Kindern, Menschen mit brennenden Schleimhäuten, Kopfschmerzen, Halskratzen, unregelmässigen Regelblutungen oder zu niedrigem Blutdruck. Mit anderen Aktivisten hat sie eine Gesundheitsbefragung in Dish durchgeführt. Die zweihundert Einwohner des Örtchens sind umzingelt von sechzig Gasquellen. „Sechzig Prozent ihrer Gesundheitsprobleme lassen sich auf die Förderung von unkonventionellem Gas zurückführen“, sagt Sharon Wilson. Was an Langzeitfolgen auf die Menschen zukommt, kann heute noch niemand genau abschätzen. Der Bürgermeister von Dish hat die Konsequenzen gezogen: Weil seine Kinder unter ständigem Nasenbluten litten, ist er vor kurzem weggezogen aus dem einst beschaulichen Dorf.

Gaswarngeräte für Haushalte
Mittlerweile findet so etwas grosse Beachtung in der US-amerikanischen Öffentlichkeit. Die renommierte New York Times veröffentlichte bisher geheime Dokumente, die das Gefahrenpotential des anfallenden Schlamms belegen. Einige Bundesstaaten haben das Fracking verboten oder Memoranden verhängt. In Texas wird bislang munter weitergebohrt. Doch vor kurzem hat die Bundesumweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) eingegriffen. Sie hat das Trinkwasser einiger Haushalte untersucht. Die Bewohner hatten darüber geklagt, dass sie es anzünden konnten. Filme mit den blau züngelnden Flammen aus dem Wasserhahn sind auf der Plattform YouTube zu sehen. Die EPA stellte in ihren Untersuchungen einen extrem hohen Gehalt an Methan in dem Wasser fest. Auch die Kontaminierung mit Benzol wurde nachgewiesen. Die EPA hat die Betreiber der nahen Bohranlage aufgefordert, die Haushalte mit unbelastetem Wasser und Gaswarngeräten zu versorgen. Ein Schlag ins Gesicht der texanischen Umweltbehörde Texas Commission on Environmental Quality (TCEQ), die trotz der Klagen der Bewohner untätig geblieben war.

Mitten im Stadtgebiet

„In Texas haben die Gas- und Ölfirmen ihre Tentakeln überall“, sagt Don Young. „Was soll man schon erwarten unter einem Gouverneur, der sich einen Grossteil seiner politischen Kampagnen von diesen Konzernen finanzieren lässt.“ Der Kunsthandwerker wohnt in Fort Worth. Die 700‘000 Einwohner Stadt neben Dallas ist weltberühmt wegen ihres grossen Militärflughafens. Bald vielleicht auch aus anderen Gründen. „Fort Worth ist wohl der einzige Ort auf der Welt, in dem mitten im Stadtgebiet gefrackt werden darf.“ Das hat der Stadt nach seinen Aussagen rund 2500 Gasquellen beschert, die nächsten befindet sich nur zwei Blocks von seinem Haus entfernt. Auch Don Young engagiert sich seit Jahren gegen das Fracking. Am Anfang wurde er als Ökospinner beschimpft und sogar bedroht. „Heute geben mir viele Recht, weil sie die Folgen am eigenen Leibe zu spüren bekommen.“

Die Zukunft Europas

Und was sagen die Energiekonzerne zu den Vorwürfen? In langen TV-Spots werben sie für die angebliche Umweltverträglichkeit der unvkonventionellen Erdgasförderung und für die vielen Arbeitsplätze, die in der Branche entstanden seien. Auf ihrer Internetseite beschreibt Cheasepeak Energy, einer der grössten Erdgas-Produzenten in den USA, die vom Fracking ausgehenden Beeinträchtigungen als minimal und temporär. Und vergleicht sie mit denen einer ganz normalen Baustelle. „Hier seht ihr eure Zukunft, wenn in Europa das Fracking erlaubt wird“, sagt Tim Ruggiero. Bei der Abfahrt stehen er und Christine vor der Pferdekoppel und winken. Tochter Reilly spielt mit den Hunden. Eine Idylle. Wären dort nicht diese Gasquellen hinter dem Bretterzäunen.

©Text: Klaus Sieg,

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1 Kommentare

Tristan

Deutschland ist nicht die USA! Hier in Deutschland haben wir hohe Umweltstandards, die eingehalten werden müssen. Deshalb gibt es in Deutschland auch andere Erfahrungen. Fracking wird hier seit den 1960er Jahren angewandt. Bereits mehr als 300 mal, sagt das niedersächsische Landesbergamt. Umweltbelastungen wurden in Deutschland dabei nicht beobachtet. Es geht also auch anders.

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