Ein Krisenstab soll entscheiden, wie es mit dem St. Galler Geothermieprojekt weitergeht: Derzeit ist noch jede Variante denkbar: vom Projektabbruch bis zur Weiterführung wie bisher. ©Bild: T. Rütti

Laut der Energiestrategie 2050 des Bunds soll in der Schweiz bis 2035 eine Terawattstunde Strom aus Geothermie gewonnen werden, bis 2050 sollen es 4,3 Terawattstunden sein. ©Bild: T. Rütti

Geothermieprojekt St. Gallen: wie weiter?

(©TR) Der Schweizerische Erdbebendienst registrierte am Samstag um 5.30 Uhr ein Beben der Magnitude 3,6 in vier Kilometern Tiefe bei St. Gallen. Noch ist offen, ob dieses Vorkommnis das Ende des Geothermieprojekts der Stadt St. Gallen bedeutet? Und ob es ein Traum bleibt, Energie und Wärme mithilfe eines Geothermie-Kraftwerks zu beziehen? Eine Presseschau.


Das Beben steht es wahrscheinlich in direktem Zusammenhang mit den Testbohrungen für das Geothermie-Vorhaben im St. Galler Sittertobel (siehe ee-news.ch vom 21. Juli 2013).

Die Medien gehen mehrheitlich davon aus, dass das Beben von St. Gallen wahrscheinlich in direktem Zusammenhang mit den dortigen Bohrungen für das Erdwärmeprojekt steht; sie berufen sich dabei auf Informationen des Erdbebenzentrums der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). Nachbeben könnten nicht ausgeschlossen werden. Die Verantwortlichen wollten in den nächsten Tagen «versuchen», das Bohrloch zu stabilisieren. Ein Krisenstab werde sodann entscheiden, wie es weitergehe. Laut Marco Huwiler, Leiter Geothermie bei den Sankt Galler Stadtwerken, ist derzeit noch jede Variante denkbar: vom Projektabbruch bis zur Weiterführung wie bisher. Eine Aussage, die sich wie ein roter Faden durch alle Berichterstattungen vom Wochenende zieht.


Projket ohne übergrosses Risiko zu Ende führen?
Die herrschende Ungewissheit über die Zukunft des Projektes betonte gegenüber der SonntagsZeitung beispielsweise Ivo Schillig, Chef der St. Galler Stadtwerke und zuständig für das Geothermieprojekt: «Der Krisenstab wird die Entwicklung der Lage in den nächsten Tagen intensiv beobachten und Untersuchungen durchführen. Im Vordergrund steht dabei das Risiko weiterer schwerer Beben.» Auf die Frage, ob auch über einen Projektabbruch nachgedacht werde, sagte Ivo Schillig: «Es ist noch zu früh, darüber zu spekulieren. Wir sind mit den Bohrungen fast am Ziel. Noch halten wir es für möglich, dass wir das Projekt ohne übergrosses Risiko zu Ende führen können.» Zweckoptimismus oder eine reelle Chance für das Projekt?

«Die ganze Technologie ist noch in Entwicklung»
Laut St. Galler Tagblatt ist es effektiv zu früh, von einem Scheitern der Geothermie in der Schweiz zu sprechen. Dabei beruft sich diese Zeitung auch auf die Aussage von Marianne Zünd, Sprecherin des Bundesamtes (BFE) für Energie. Es gelte jetzt, die Analyse des Vorfalls abzuwarten. Erst dann könnten Aussagen über mögliche Auswirkungen gemacht werden. Andere Projekte seien mit jenem in St. Gallen ohnehin kaum vergleichbar: «Die Umstände, wie etwa die Bodenbeschaffenheit, sind überall anders, die ganze Technologie ist noch in Entwicklung. Somit ist jedes Projekt ein Pilotprojekt und es lässt sich nicht von einem auf das andere schliessen», so die BFE-Sprecherin gegenüber dem St. Galler Tagblatt. Bekanntlich werde vom BFE für das Jahr 2050 mit einem Strombedarf von rund 60 Mrd. Kilowattstunden pro Jahr gerechnet. Marianne Zünd: «Die Geothermie soll 4 Milliarden Kilowattstunden dazu beitragen, das sind rund 6 Prozent. Dieser Teil kann gut durch andere Technologien wie Photovoltaik oder Windenergie ersetzt werden.»

Der Bund müsste 24 Mio. Franken beisteuern bei Projektabbruch
Beim BFE ist man laut NZZ am Sonntag trotz allem zuversichtlich: Der Bund habe die St. Galler Pläne geprüft und stehe nach wie vor voll hinter dem Projekt. «Wichtig ist, dass die Risiken transparent gemacht werden und die Bevölkerung umfassend informiert ist. In St. Gallen war dies der Fall», so Marianne Zünd vom BFE. Der Bund hat laut NZZ am Sonntag auch ein finanzielles Interesse an der Weiterführung des Vorhabens. Im Fall eines Abbruchs müsste er nämlich aufgrund einer Bürgschaft 24 Millionen Franken beisteuern. 

Seit 2009 dazu gelernt und Vorkehrungen getroffen
Wie auch auf SRF Schweizer Radio und Fernsehen erklärt wurde, unterscheiden sich die Projekte von Basel und St. Gallen grundsätzlich: Wurde in Basel versucht, unter Hochdruck im Gestein einen künstlichen Wasserkreislauf zu erzeugen, so kommt in St. Gallen die schonendere hydrothermale Methode zur Anwendung. Dabei soll eine natürliche wasserführende Schicht angezapft werden. Das Heisswasser gelangt über das Bohrloch an die Erdoberfläche, wird dort genutzt - Stromproduktion und Fernwärme - und sodann durch ein zweites Bohrloch wieder in die Tiefe zurückgepumpt. Im Vorfeld der St. Galler Vorhabens wurden die Unterschiede zwischen dem Projekt in Basel und jenem in St. Gallen immer wieder betont. «Man war 2009 noch davon ausgegangen, dass bei hydrothermalen Projekten keine Erdbeben auftreten», sagt Stefan Wiemer vom Erdbebendienst gegenüber SRF. Seither habe man jedoch dazu gelernt und die nötigen Vorkehrungen getroffen... Die Verantwortlichen betonten gegenüber SRF, man habe nie behauptet, dass es keine Beben geben könne. «Wir haben der Bevölkerung sehr offen kommuniziert, dass wir ein Netz an Messgeräten auslegen», so  der St. Galler Stadtpräsident Thomas Scheitlin (FDP) gegenüber SRF. Damit habe man signalisiert, dass «etwas» entstehen könne.

Basler Projekt wurde nach Erdbeben der Stärke 3,4 aufgegeben
Spiegel online erinnert daran, dass es 2009 in der deutschen Stadt Landau ebenfalls zu einem Erdbeben kam; auch dort bestehe der Verdacht, ein Geothermiekraftwerk könnte der Auslöser gewesen sein. Und im südbadischen Staufen habe man mit Erdwärme heizen wollen, doch dann seien überall in der Stadt zu Risse aufgetreten. Dies sei ja nicht der erste Rückschlag für die Geothermie-Technologie gewsen. Auf ein solches Ereignis kamen selbstverständlich auch die Schweizer Medien zu sprechen: In Basel wurde 2009 ein Projekt aufgegeben, nachdem höchstwahrscheinlich Bohrungen ein Erdbeben der Stärke 3,4 ausgelöst hatten.

Wie der Blick in die Glaskugel
Die St. Galler Verantwortlichen hatten im Zusammenhang mit ihrem Projekt stets betont, in der Ostschweiz habe man sich für ein relativ sicheres Verfahren entschieden. Dass es die absolute Sicherheit indessen nicht gibt, zeigte der Samstagmorgen: Die Beschäftigten im Sittertobel sollen sich laut Medienberichten in grösster Gefahr befunden haben, denn es hätte auch zu einer Explosion kommen können. Stadtwerke-Chef Ivo Schilling im Gespräch mit der SonntagsZeitung: «Wenn die Anlage durch den starken Gasdruck hochgegangen wäre, wäre wohl ein grosser Krater entstanden. es galt, die auf der Bohranlage beschäftigten Personen zu schützen.» 

Was die Zukunft der Geothermie anbelangt, könnte man auch von einem Blick in die Glaskugel sprechen, wenn man all die Fragezeichen in den Medien betrachtet.

©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch, Quellen: SonntagsZeitung, NZZ am Sonntag, SRF, Spiegel online, St. Galler Tagblatt

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