Wie viel Wasserdampf in einer Wohnung erzeugt wird, das konnten unsere Grosseltern noch deutlich sehen: Wenn im Badezimmer die Wanne gefüllt war, fehlte passenderweise der Durchblick aus dem Badezimmer. Zeichnung: Wilhelm Busch

Bauphysiker Thomas Stahl mit Feuchtespeicherputz. Wo Menschen schlafen, kochen und duschen, entsteht Luftfeuchtigkeit, die sich sich an kalten Wandstücken niederschlagen kann. Die Empa-Erfindung kann das verhindern. Bild: Empa

Das neu entwickelte Feuchtespeicherputz-System übertraf die ursprünglich gestellten Anforderungen bei weitem und zeigte selbst im Vergleich zum besten Lehmputz eine um ein Drittel höhere Feuchteaufnahme. Grafik: Empa

Schliesslich fanden Stahl und das Sto-Labor eine auf hydraulischem Bindemittel und Kalkhydrat basierende Mischung, die sie in mehreren Versuchsreihen optimierten.

Empa: Morgens duschen, abends lüften

(©Empa/RK) Altbauten mit neuen Isolierfenstern haben oft ein Problem: Zu hohe Luftfeuchtigkeit. Die Feuchtigkeit aus Küche, Bad und Schlafzimmer kann nicht mehr entweichen; an kalten Mauerstücken stockt und modert es. Ein neuer Feuchtespeicherputz, entwickelt von der Empa und dem Industriepartner Sto, kann dazu beitragen, dieses Problem zu entschärfen.


Wie viel Wasserdampf in einer Wohnung erzeugt wird, das konnten unsere Grosseltern noch deutlich sehen: An der Einfachverglasung in Omas Küche schlug sich der Dampf nieder, der beim Kartoffelkochen und Fleischbraten entstand. Und wenn im Badezimmer die Wanne gefüllt war, fehlte passenderweise der Durchblick aus dem Badezimmer. Das Fenster war beschlagen, die Privatsphäre blieb gewahrt.

Schwer einzuschätzen
Heute ist es schwerer einzuschätzen, wie feucht eine Wohnung ist: Ein gutes, dreifachverglastes Isolierfenster beschlägt kaum noch – und gaukelt damit optimale Verhältnisse vor. Doch der Dampf ist da. Er dringt aus dem Spaghettitopf, dunstet aus der nassen Winterjacke an der Garderobe, quillt aus der soeben benutzten Dusche und verteilt sich aus dem Schlafzimmer. In dem hatten die Eheleute soeben noch acht Stunden lang friedlich geschnarcht – doch das Lüften ging wieder einmal vergessen.

Nun legt sich der Dampf auf die Wände und kann dort kondensieren. Speziell da, wo eine Wärmebrücke zur Aussenhaut die Wand abkühlen lässt, steigt die Luftfeuchtigkeit lokal auf über 80 Prozent. Ein solches Sauna-Klima lässt Pilze und Mikroben gedeihen und ist für Wohnräume eindeutig nicht wünschenswert.

Der Feuchtespeicherputz
Bei vielen Neubauten und noch mehr renovierten Altbauten würde es helfen, wenn die Luftfeuchtigkeit besser reguliert werden könnte. Wenn irgendein kluges Material an der Wand die Feuchtigkeit absorbiert und beim nächsten Durchlüften wieder abgibt. Dies war der Wunsch, mit dem die Firma Sto AG, ein Wärmedämmungs- und Putzspezialist aus Deutschland, an die Empa herantrat. Der Empa-Bauphysiker Thomas Stahl ging an die Arbeit. Dann fiel die Entscheidung, nicht auf spezielle Speicherplatten zu setzen, die passgenau zugeschnitten werden müssen, sondern ein Putzsystem zu entwickeln, das sich problemlos auch an verwinkelten Wandstücken anbringen lässt. Dieses Feuchtespeicherputz-System wurde im Rahmen des Forschungsprojekts SuRHiB (Sustainable Renovation of Historical Buildings) entwickelt – ein Hinweis darauf, dass besonders renovierte Altbauten von dieser Technologie profitieren.

Vergleichen und mischen
Stahl besorgte zunächst diverse Handelsprodukte, die als besonders gut feuchtespeichernd beworben wurden: Lehm­putze, Kalkputze, Sumpfkalkputz und Gipsputz. All diese Referenzproben wurden nach Herstellervorschrift zubereitet und im Empa-Klimaschrank und in den Labors der Sto AG getestet. Dann gingen Stahl und die Sto AG daran, eigene Mischungen zu entwickeln. Gefordert war ein Putz mit extrem hohem Wasseraufnahmevermögen und extrem hoher Diffusionsoffenheit. Er sollte feuchteregulierend, mineralisch gebunden und dazu leicht von Hand und per Maschine zu verarbeiten sein. Last but not least sollten die Zutaten den Putz nicht übermässig verteuern. Denn Bauherren schauen aufs Geld.

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reimal besser als normaler Kalkputz
Schliesslich fanden Stahl und das Sto-Labor eine auf hydraulischem Bindemittel und Kalkhydrat basierende Mischung, die sie in mehreren Versuchsreihen optimierten. Die finalen Tests ergaben eine Überraschung. Das neu entwickelte Feuchtespeicherputz-System übertraf die ursprünglich gestellten Anforderungen bei weitem und zeigte selbst im Vergleich zum besten Lehmputz eine um ein Drittel höhere Feuchteaufnahme. Die Speicherwirkung und die bei abfallender Raumluftfeuchtigkeit einsetzende Feuchtigkeitsabgabe ist dreimal besser als die von normalem Kalkputz. Das schlechteste Vergleichsprodukt wurde gar ums Neunfache übertroffen.

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ampfdurchlässige Farbe
Das Feuchtespeicherputz-System besteht aus mehreren Produkten mit den Handelsnamen StoLevell Calce RP, StoLevell Calce FS und Calcelith und kommt ab 3. Quartal 2013 sukzessive auf den Markt. Für die gewünschte Wirkung reicht eine Auftragsstärke von einem bis zwei Zentimetern, denn der Austausch der Feuchtigkeit findet in den oberen Schichten am effizientesten statt. Die speziell für das System entwickelten und abgestimmten Oberputze sorgen dafür, dass das Feuchtigkeitsaufnahmevermögen des Grundputzes nicht beeinträchtigt wird. Wichtig sei, betont Bauphysiker Thomas Stahl, dass am Schluss auch eine passende, dampfdurchlässige Farbe auf den Putz gestrichen werde: «Wenn Sie Ölfarbe nehmen, können Sie die Wirkung vergessen.»

Wohlfühlen und dabei Energie sparen
Neben dem wirtschaftlich wohl wichtigsten Vorteil – der Schimmelprävention – hilft der Einsatz von Feuchtespeicherputz auch dem Wohlbefinden der Bewohner. Geringere Luftfeuchteschwankungen sind weniger belastend für Mensch und Einrichtungsgegenstände und stärken nachweislich die geistige Leistungsfähigkeit. Trockenere Luft braucht zudem weniger Heizwärme, um sie auf angenehme Temperatur zu bringen. Das spart auf lange Sicht Energie. Der Feuchtespeicherputz kann Luftfeuchtigkeit gewissermassen abfangen und so das Risiko mindern, dass sich an kühlen Wandstücken Kondenswasser niederschlägt. Schliesslich leiden auch und besonders Kulturgüter in Museen und Kirchen unter stark schwankendem Feuchtigkeitsgehalt. «Überlegen Sie nur, wie gemeinhin eine Kirche benutzt wird», sagt Stahl. «Von Montag bis Samstag steht sie kühl und unbenutzt herum. Am Samstagabend wird für den Gottesdienst eingeheizt – die Luftfeuchtigkeit sinkt. Am Sonntag kommen hundert Leute in nassen Wintermänteln und mit Schnee an den Schuhen. Es dampft. Hinterher kühlt die Kirche in ein paar Stunden wieder aus.» Für hölzerne Altare, Statuen und Bilder ist solch eine Schwankung die reinste Tortur, die Kunstwerke altern frühzeitig.

90 Gramm Wasserdampf pro Quadratmeter
Leistungsfähige Feuchtespeicherputz-Systeme könnten hier Abhilfe schaffen. Der von der Empa und Sto entwickelte Feuchtespeicherputz absorbiert im alltagsnahen «Nordtest» der Technischen Universität von Dänemark (siehe untenn) 90 Gramm Wasserdampf pro Quadratmeter. Ein verputztes Stück Wand in der Kirche von 100 Quadratmetern Grösse kann also neun Liter Wasserdampf schlucken und damit steigende Raumfeuchtigkeit wirkungsvoll zwischenlagern.

Da sich die Wand irgendwann vollsaugt wie ein Schwamm und gewissermassen absäuft, muss sie die Gelegenheit haben, sich zu regenerieren. Eine Durchlüftung mit trockenerer Aussenluft hilft. Es ist aber auch möglich, den Raum zunächst mit Frischluft zu füllen und diese dann aufzuheizen. So regeneriert sich der Speicherputz und steht für die nächste Dampfattacke bereit.

Rechenbeispiel: Speicherkapazität der Raumluft vs. absorptiv wirksames Material

  • Raum mit den Abmessungen 5 m × 5 m × 2,5 m = 62,5 m³
  • Wand- und Deckenflächen (4 × (5 m × 2,5 m)) + (5 m × 5 m) = 75 m²
    abzüglich Tür (2 m²) und Fenster (3 m²) Wand- und Deckenflächen = 70 m²
  • Material mit einer Feuchteaufnahme von 30 g/m²
  • Feuchteerhöhung in der Raumluft von 40% auf 80% relativer Luftfeuchte
  • Temperatur konstant 21 °C
Feuchtegehalt der Raumluft bei 21 °C und 40% relativer Luftfeuchte = 7,3 g/m³
Feuchtegehalt der Raumluft bei 21 °C und 80% relativer Luftfeuchte = 14,7 g/m³
Differenz = 7,4 g/m³ × 62,5 m³ = 463 g
Die Feuchteaufnahme des Materials beträgt 30 g/m² × 70 m² = 2100 g

Bereits diese vereinfachte Rechnung lässt erkennen, welches enorme Potenzial eine geplante zusätzliche Verbesserung der Feuchteaufnahmeeigenschaften mit sich bringen würde.

 

Feuchtespeichermessung mit dem «Nordtest»
Die Nordtestmethode wurde an der Technischen Universität von Dänemark (DTU) und anderen Hochschulen entwickelt, um einen aussagekräftigen und einheitlichen Wert für das Feuchtespeicherverhalten von Innenraummaterialien zu definieren. Die Materialien werden 8 Stunden bei 75% relativer Luftfeuchte und 23 °C gelagert. Dann sinkt die relative Luftfeuchte für 16 Stunden auf 33% relativer Luftfeuchte. Danach wird die Luftfeuchte wieder für acht Stunden auf 75% erhöht. Eine Waage zeichnet auf, wie viel Feuchtigkeit das Material aufnimmt oder abgibt. Gemessen werden unter anderem Werte wie der «Moisture Buffer Value» (MBV) – eine wichtige anwendungsorientierte Grösse. Der Wert ist eine direkte Messgrösse der Menge des Feuchtetransports in bzw. aus einem Material heraus bei der vorgegebenen Belastung und ist hauptsächlich eine Materialeigenschaft.

Text: Rainer Klose, Empa. der Artikel erschien im EmpaNews vom Mai 2013

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1 Kommentare

Rüdiger Paschotta

Feuchtepufferung kann durchaus sinnvoll sein. Leider wird hier aber wieder einmal die Legende weitergetragen, "Isolierfenster" (dichte Fenster mit Wärmeschutzverglasung) trügen zu Feuchtigkeitsproblemen bei. So undicht kann auch ein altes Fenster kaum sein, dass dadurch der Lüftungsbedarf erheblich gesenkt würde; zumindest bei Windstille. Einzig die Funktion eines Fenster mit Einfachverglasung, durch Beschlagen an das Lüften zu erinnern, ist plausibel - freilich sind diese Zeiten ohnehin lange vorbei. Im Übrigen sind Feuchtigkeitsprobleme keineswegs eine Neuigkeit; bei Altbauten hat man sie schon immer, auch ohne Sanierung.

Mit freundlichen Grüssen
Rüdiger Paschotta
www.energie-lexikon.info

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