Quizfrage: Was hat ein Boeing Dreamliner gemeinsam mit einem Kyburz DXP, dem Elektro-Dreirad der Schweizer Postboten? Antwort: Lithium-Ionen-Batterien unter dem Sitz. Und damit haben diese beiden höchst unterschiedlichen Verkehrsmittel auch ein gemeinsames Problem: Die Batterien können in Brand geraten.
Das wirft die Frage auf, wie gefährlich unser Alltagsleben zu werden droht, wenn sich die leistungsfähigen Energiespeicher weiter so rasant verbreiten wie bisher – in Autos, Laptops, Handys, in tonnenschweren Airlinern und in Spielzeug für die Kleinsten. Was passiert, wenn diese Akkus falsch geladen oder mechanisch beschädigt werden? Und wie lange halten sie?
Mysteriöse Selbstentzündung eines Post-Dreirads
Marcel Held betreibt die neu eingerichtete Batterieteststation der Empa und widmet sich systematisch diesen Fragen – entweder im Rahmen von Forschungsprojekten oder im Auftrag von Industriekunden. Noch ist die Firma Boeing nicht bei der Empa vorstellig geworden, der Schweizer Fahrzeugbauer Kyburz indes schon. Es ging um ein gravierendes Problem: Eines der DXP-Post-Dreiräder hatte eines Nachts Feuer gefangen. Knapp 2000 Stück davon waren zum Zeitpunkt der Havarie in der Schweiz im Einsatz, 1000 weitere bestellt. Auch die Post in Deutschland, Frankreich, Norwegen, Liechtenstein und Luxemburg nutzt den DXP; in Belgien, Schweden, Dänemark und Slowenien läuft die Evaluation. Sollte der DXP nachts von selbst in Flammen aufgehen, stände im Prinzip der ganze Fuhrpark unter Gefahr. Bei einem solchen Risiko würden die Grosskunden abspringen; das Geschäft wäre auf einen Schlag gestorben.
Man kann sich vorstellen, dass ein gewisser Erfolgsdruck auf dieser Untersuchung lastete. Held und seine Kollegen begannen, die im Kyburz DXP eingebaute Lithium-Ionen-Batterie zu untersuchen und gezielte Tests durchzuführen. Eine Zelle wurde voll geladen, dann fünf Stunden lang mit 10 Ampère weitergeladen; eine Zelle wurde geladen, dann mit einem Nagel durchbohrt, um einen internen Kurzschluss zu provozieren; und ein ganzer Batteriepack (8 in Reihe geschaltete Zellen) wurden im DXP geladen, dann eine Zelle mit dem Nagel durchbohrt.
Der durchbohrte Akku brennt zunächst nicht
Die Reaktion des Energiespeichers auf die ersten beiden Tests war relativ harmlos. Bei der Überladung mit 10 Ampère wurde der Li-Ionen-Akku zwar 85 Grad Celsius heiss, blieb aber äusserlich intakt. Erst als mit 20 Ampère weitergeladen wurde, kam es zum so genannten «thermal runaway»: Das Innenleben der Batterie schmolz, über ein Loch im Gehäuse traten 300 Grad heisse, möglicherweise gesundheitsschädliche Gase aus. Doch es kam weder zu einem Brand noch zu einer Explosion. Genauso reagierte die Zelle, als sie mit einem Nagel durchbohrt und damit ein interner Kurzschluss herbeigeführt wurde. Sofort begann die Erhitzung, Gase traten aus. Doch die Batterie entzündete sich nicht.
Im Fahrzeug selbst, einem für die Tests geopferten Kyburz DXP, kam es dann schliesslich doch zu einem Brand. Und selbst nach einem Löschversuch entzündete sich das Feuer erneut. Schuld war – wie Held herausfand – das Batteriemanagementsystem. Diese Elektronik ist in Form von offenen Platinen zwischen den Zellen angebracht und mit einem Kunststoffdeckel geschützt. Erfährt nun eine der Batteriezellen einen «thermal runaway», dann können die heissen Gase nicht entweichen. Unter dem Deckel verschmort die Elektronik, die immer noch unter Spannung steht. Funken entstehen; die austretenden Rauchgase entzünden sich – nach etwa 12 Minuten steht das Post-Dreirad in Flammen.
Silikon-«Implantate» lösen das Problem
Das Empa-Team schlug als Lösung vor, die Elektronik in Silikon einzugiessen und so die Funkenbildung zu vermeiden. Ein weiterer Test bestätigte die Wirksamkeit der Idee. In der Folge rüstete Kyburz innerhalb eines Monats fast 2000 Fahrzeuge um. Seitdem kam es zu keinen Bränden mehr. Mehr noch: Auch vor Verkehrsunfällen mit einer Beschädigung des Akkus brauchen sich die Postzusteller nun nicht mehr zu fürchten.
Batterietests im Container
Der Extremtest (siehe Grafik rechts) mit Zerstörung der Batterie ist zwar machbar, bleibt jedoch die Ausnahme bei Untersuchungen. Weit interessanter für Industrie und Forschung ist die Leistung und Zyklenfestigkeit von Lithium-Ionen-Batterien. Verbesserte Ladealgorithmen, angepasst auf Einsatzzweck, Alter und Umgebungsbedingungen, sind wichtig, um das Potenzial der Speichertechnik besser zu nutzen und zugleich auf der sicheren Seite zu bleiben.
Zellentester
Die Empa Abteilung Elektronik / Messtechnik / Zuverlässigkeit arbeitet seit August 2012 mit einem 6-Kanal-Zelltester der Firma Maccor (siehe 3. Bild links). Hier können einzelne Zellen mit bis zu 5 Volt Spannung und 300 A Stromstärke getestet und gemessen werden. Die Zellen stecken dabei in explosionsgeschützten Kammern von der Grösse eines Backofens. Der Test findet bei Bedarf unter Stickstoffatmosphäre statt. Temperaturprofile von -40 Grad bis +180 Grad können gefahren werden.
Batterietester
Der Batterietester ist der «grosse Bruder» des Zellentesters und einmalig in der Schweiz. Hier können verschaltete Batterieblocks – etwa die von Elektroautos – von bis zu 500 V Spannung und bis zu 1000 A Stromstärke charakterisiert und getestet werden. Wegen des grösseren Sicherheitsrisikos ist dieser Tester im Freigelände der Empa in einem Kühlcontainer aufgestellt. Vor Bränden schützt bei Bedarf eine Stickstoff-Atmosphäre; dazu kann ein automatischer Sandkipper die Batterie unter Quarzsand begraben. Kameras, Gas-, Temperatur- und Flammendetektoren überwachen den Versuch.
©Text: Rainer Klose / Bilder: Empa. Der Artikel ist im Empa News 40/ Mai 2013 erschienen
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