Die Pferdekutsche mit elektrischer Unterstützung im Einsatz vor dem Rathaus in Avenches. ©Bild: ALP-Haras

Blick auf den zentralen Rechner der E-Kutsche. ©Bild: www.equishop.ch

Zugleistung Hengst London. ©Grafik ALP-Haras

Herzfrequenz Hengst Lordon, ©Grafik ALP-Haras

Speichelkortisolkonzentration [nmol/l] der sechs Hengste nach Absolvierung des Parcours ohne beziehungsweise mit Elektrounterstützung (Ohne E U, Mit E U). ©Grafik ALP-Haras

ALP-Haras: Pferdekutsche mit elektrischer Unterstützung

(©RvN) Bremsenergie in einer Batterie speichern und dann einsetzten, wenn der Weg ansteigt, diese Technik wird beim Auto und Velo immer öfter genutzt. Dass das auch bei Pferdekutschen klappt, zeigen die ersten Resultate des E-Kutschen-Projekts der Forschungsanstalt Agroscope in Avenches. Ein Folgeprojekt ist bereits am Anlaufen. Die Gemeinde Avanche und ALP-Haras spielen dabei eine zentrale Rolle.


In einer Zeit, in der in Entwicklungsländern die klassischen Zugtiere mehr und mehr durch motorgetriebene Lösungen ersetzt werden, feiert das Zugpferd in industrialisierten Ländern sein Comeback als moderner Helfer in Gemeinden. Als Zeichen der nachhaltigen Entwicklung der urbanen Räume findet das Pferd somit eine neue Bestimmung. Dabei handelt es sich nicht um einen traditionalistischen Ansatz, sondern um die Suche nach innovativen Lösungsansätzen, die auch ökologischen, ökonomischen und tierschutzrelevanten Fragestellungen standhalten.

Vorbild Frankreich
Bei der Suche nach innovativen Lösungsansätzen kommt Frankreich eine Pionierrolle zu. Seit Jahren setzen mehrere Städte und Gemeinden auf diese Art der tierischen Energie. Abfallentsorgung, Unterhalt von Grünflächen, Bewässerung von Blumen, Transport von Schülern etc. – viele innovative, pferdezugtaugliche und an die Anforderungen der zu erledigenden Arbeiten angepasste Geräte wurden bereits entwickelt. Die Technik ist dabei den Gegebenheiten heutiger Städte angepasst, spielen doch Faktoren wie Fahrzeugbreite, Bereifung, Beleuchtung und arbeitsergonomische Parameter eine entscheidende Rolle im praktischen Einsatz. Aus Sicherheits- und Ressourcengründen ist es angezeigt, mit nur einem Pferd vor der Kutsche in städtischen Gebieten hinein zu fahren. Schwere Lasten in Kombination mit steilen Passagen verunmöglichen dies in Kommunen mit steilem Gelände.


E-Kutsche unterstützt Pferd bei Bedarf
Es sind genau diese Überlegungen, die zur Entwicklung der E-Kutsche durch die Firma Meterus Sàrl aus Estavayerle-Gibloux FR führten. Die E-Kutsche unterstützt das Pferd bei Bedarf mittels eines manuell oder automatisch gesteuerten elektrischen Hilfsmotors. Die Funktionsweise kann wie folgt erklärt werden: Das Pferd hat – in Abhängigkeit der Last und der topographischen Gegebenheiten – eine gewisse Last zu ziehen. Die Zugkraft wird anhand von im Ortsscheit eingebauten Zugkraftsensoren ermittelt und an einen zentralen Rechner (siehe Bild links 2) weitergeleitet. Überschreitet die Last die vom Fahrer vorgängig eingegebene maximale Belastung, so gibt der Rechner das Signal an den Elektromotor.

Bei der Talfahrt gibt der Rechner nach demselben Prinzip dem Motor den Befehl zu bremsen. Die anfallende Bremsenergie wird in der Lithium-Ionen-Batterie (48 V) gespeichert. Somit hat das Pferd über den gesamten Parcours hinweg immer dieselbe Last zu ziehen – egal ob bergauf, bergab oder auf ebener Strasse.

Fragestellungen und Versuchsanlage

Die heutige, hauptsächlich urban geprägte Gesellschaft der industrialisierten Welt hat eine sehr hohe Sensibilität betreffend Tierschutz und Tierwohl. Im Fokus stehen dabei auch die Arbeitstiere, insbesondere die Kutschpferde in Tourismusgebieten. Fuhrhaltereien geraten schnell ins Visier der Tierschutzorganisationen; wissenschaftliche Standards zur Messung des Wohlergehens von Arbeitspferden bestehen jedoch bis anhin nicht. Die E-Kutsche kann zur Lösung dieser Fragestellung einen wichtigen Beitrag leisten: Zum einen bietet die technische Ausrüstung viele Möglichkeiten zur Messung verschiedenster physikalischer Parameter; zum anderen kann sie – im Sinne ihrer Gesamtkonzeption –, ein Lösungsansatz sein, um dem Pferd die Arbeit stark zu erleichtern. In diesem Sinne stellten wir folgende Hypothesen für einen ersten Pilotversuch auf:

Versuchsthema 1:

Praxistest der E-Kutsche: Testen sämtlicher Funktionalitäten des Systems. Hypothese: Die E-Kutsche erweist sich als praxistauglich.

Versuchsthema 2:
Wohlergehen des Fahrpferdes: Definition von Parametern zur Bestimmung des Wohlergehens des Fahrpferdes während der Arbeit. Hypothese: Das Wohlergehen des Fahrpferdes während der Arbeit ist messbar.

Die Gemeinde Avenches stellte ihre Mitarbeiter sowie die Aufgabe für das Gespann zur Verfügung. Die Planung sah vor, über den Zeitraum von einem Monat in Avenches dreimal pro Woche die öffentlichen Abfallbehälter zu entleeren. In dem vor Versuchsbeginn festgelegten, standardisierten Parcours wurden sechs Hengste der Freibergerrasse im Kreuzversuch eingesetzt. Beim ersten Einsatz fuhren sie ohne, beim zweiten mit elektrischer Unterstützung (Abb. 3). Die Firma Meterus Sàrl stellte die E-Kutsche inklusive Transportanhänger für Container (900 kg inklusive Personal) zur Verfügung; ALP-Haras organsierte die Pferde, die Fahrer und die wissenschaftlichen Mitarbeiter zur Datenerhebung. Um das optimale Zuggewicht berechnen zu können, bedienten wir uns der Methode von E. Lavalard1 (1839–1916). Anhand von Brustumfang und Grösse errechneten wir für die sechs Hengste einen Durchschnitt von rund 73 momentane Zugkraft (kgF). Für die Grundeinstellung des Rechners der E-Kutsche wurde deshalb 40kgF gewählt.

Erhobene Parameter

Physikalische Erhebungen
Die momentane Zugkraft (kgF) sowie die Gesamtleistung (KJ) der durch das Pferd geleisteten Arbeit über die Gesamtdauer des Parcours wurde durch den in der E-Kutsche integrierten Rechner erfasst.

Ethologische Erhebungen

Das Verhalten der Pferde wurde jeweils beim Anfahren, während der Fahrt und während der Fahrpausen des Parcours erfasst. Während der Fahrt wurden alle 30 Sekunden die Körperspannung, die Ohrenposition, die Schweifhaltung sowie die Zusammenarbeit mit dem Fahrer quantifiziert. Während der Fahrpausen wurde ebenfalls alle 30 Sekunden das ruhige Stehen beurteilt. Schliesslich erfolgte bei jedem Vorgang des Anfahrens nach einem Stopp eine Einschätzung der Motivation zum Anziehen. Während der gesamten Dauer der Parcoursabsolvierung wurden zudem als Einzelereignisse die Frequenzen von Kopfschlagen, Bocken, Ausschlagen, Aufbäumen, Scharren, Gähnen, Koten und Harnen, Wiehern sowie besonderen Hilfegebungen durch den Fahrer erfasst.

Physiologische Erhebungen

Die Herzfrequenz (HF) wurde mittels Polar Equine RS 800 respektive RS 800 CX über den gesamten Parcours ermittelt. Diese Geräte erfassen gleichzeitig die genaue Position des Gespannes mittels GPS. Speichelcortisol gilt als verlässlicher Indikator für Stress. Den Pferden wurde jeweils am Ende des Parcours eine Speichelprobe entnommen.

Die Atemfrequenz wurde manuell erfasst; vor dem Start in Ruhephase, während der Arbeit (bei jedem Anhalten) sowie bei Ende der Arbeit (zeitgleich mit den Speichelproben).

Die Körpertemperatur wurde vor dem Start im Ruhezustand sowie am Ende des Parcours mittels Thermometer rektal gemessen.


Erste Resultate zeigen deutliche Tendenzen

Sämtliche Daten wurden mittels der Software NCSS ausgewertet. Der insgesamt kleine Datenumfang im Pilotprojekt erlaubte es in den meisten Fällen nicht, signifikante Aussagen zu den einzelnen Parametern zu erhalten; hingegen sind Tendenzen in einigen Bereichen deutlich sichtbar.

Physikalische Messresultate

Bei sämtlichen Hengsten konnten deutliche Unterschiede zwischen der Arbeit mit und ohne elektrische Unterstützung festgestellt werden. Als Beispiel zeigt die Abbildung 3 die kumulierte Leistung (KJ) des Hengstes Lordon über die Dauer des gesamten Parcours. Ohne Unterstützung leistete er rund 1360 KJ, mit Unterstützung reduziert sich die geforderte Leistung um 34% auf 900 KJ.

Resultate der ethologischen Erhebungen

Die erhobenen Verhaltensparameter unterschieden sich nicht bei Fahrten mit oder ohne elektrische Unterstützung. Dies lässt darauf schliessen, dass der plötzliche Abfall des Zuggewichtes bei Einschalten der Elektrounterstützung weder Irritation noch Abwehrverhalten beim Pferd auslöst. Es konnten hingegen auch keine gesteigerte Motivation zum Ziehen, keine entspanntere Körperhaltung während der Arbeit noch erhöhte Kooperationsbereitschaft festgestellt werden. Offenbar löste die Elektrounterstützung keine messbaren Verhaltensreaktionen aus.

Resultate physiologischer Parameter

Die graphische Darstellung der Herzfrequenzdaten (Abb. 4) zeigt deutliche Unterschiede zwischen den Modi mit und ohne elektrische Unterstützung. Als Beispiel dient wiederum der Hengst Lordon; seine Durchschnittswerte (mit/ohne) liegen bei 80 respektive 90 bpm, die Maximalwerte bei 163 respektive 203 bpm. Die Auswertung der Daten der Atemfrequenz respektive der Körpertemperatur zeigen ebenfalls deutliche Unterschiede, was auf eine reduzierte Körperaktivität bei der Arbeit mit elektrischer Unterstützung zurück zu führen ist.

Die Cortisolwerte, als Indikator für die Stressbelastung zeigen tendenziell Unterschiede zwischen der Absolvierung des Parcours ohne beziehungsweise mit Elektrounterstützung Allerdings erwiesen sich diese Unterschiede nicht als signifikant.

Bestätigung der Hypothesen

Die Hypothese zur Praxistauglichkeit der E-Kutsche kann bestätigt werden; nach anfänglichen kleinen technischen Problemen funktionierte die E-Kutsche zur Zufriedenheit der Benutzer.

Die Hypothese zur Messbarkeit des Wohlergehens des Pferdes während der Arbeit kann nicht eindeutig bestätigt werden. Zum einen konnten aussagekräftige Parameter (Herz- und Atemfrequenz, Körpertemperatur, Speichelcortisol und Zugleistung) von nicht aussagekräftigen Indikatoren (sämtliche Verhaltensparameter) getrennt werden. Die geringe Stichprobengrösse führte jedoch in den meisten Fällen zu statistisch nicht signifikanten Resultaten.

Folgeprojekte ab Frühling 2013

Die vorliegende Arbeit ist als Einstieg und Basis für weitere Projekte im Bereich des Einsatzes von Arbeitspferden für Kommunalarbeiten zu verstehen. Geplant sind Folgeprojekte ab dem Frühjahr 2013. Die Gemeinde Avenches spielt dabei die Rolle einer Modellgemeinde. Die Versuchsplanung und das Versuchsdesign werden entsprechend den Erfahrungen aus der Pilotphase verfeinert, insbesondere was den Stichprobenumfang anbelangt. Da im Vergleich zur Pilotphase mehr Zeit zur Verfügung stehen wird, können im Bereich des Wohlbefindens des Pferdes mehr und zusätzliche Parameter erhoben werden (unter anderem Herzfrequenzvariabilität). Zudem sollen bisher noch nicht bearbeitete Themenfelder wie die Wirtschaftlichkeit, die Ökobilanz sowie soziale Aspekte dieser für die Schweiz noch neuen Nutzungsform für Pferde untersucht werden. Letztlich besteht das Ziel darin, für interessierte Gemeinden ein Beratungstool zu erstellen.

©Text: Ruedi von Niederhäusern, Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP-Haras. Der Artikel stammt aus Agrarforschung Schweiz 4 (4) 2013


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