Am Ortsrand steht neu eine Heizzentrale mit zwei Hackschnitzelkesseln von insgesamt 1‘450 kW Leistung sowie zusätzlich rund 1‘000 Quadratmeter Kollektoren. ©Bild: solarcomplex

Bene Müller, Vorstand des Bürgerunternehmens solarcomplex: «Wir haben genug freie Umgebungsenergie in Form direkter Solarstrahlung. Die muss man nutzen, wo immer es geht.» Fotos: Toni Rütti

Auf die Unterkonstruktionen wurden Vakuumröhrenkollektoren der deutschen Firma Ritter XL Solar montiert. ©Foto: Ritter Solar

Das Investitionsvolumen der solarcomplex AG für Heizzentrale, Wärmenetz, alle Wärmeübergabestationen sowie das Kollektorfeld beträgt alles in allem rund 3,75 Mio €.

Wärmenetz Büsingen: 1'000 m2-Solarthermie liefert Sommerwärmebedarf

(©TR) Erstmals erweitert solarlcomplex in Büsingen (D) das Konzept eines Bioenergiedorfs um eine grosse solarthermische Kollektoranlage. Am Ortsrand befinden sich eine 1450 kW-Holzzentrale sowie rund 1000 Quadratmeter Kollektoren, die im Sommer die Wärme für das Wärmenetz liefern.


Zur Realisierung des Projektes konnte die solarcomplex AG von der deutschen Gemeinde Büsingen westlich von Schaffhausen knapp 5000 m2 Land pachten. Die Kollektoren wurden zum Teil auf einer Wiese aufgestellt; ein Kollektorfeld liegt nördlich, eines südlich der Heizzentrale. Auf die Unterkonstruktionen wurden Vakuumröhrenkollektoren der deutschen Firma Ritter XL Solar montiert. Es ist die mit Abstand grösste Kollektoranlage im Süden Baden-Württembergs.

Investitionsvolumenvon 3.75
Mio
Versorgt werden über 100 Gebäude über ein rund 5 km langes Wärmenetz, darunter alle kommunalen Gebäude sowie der Gebäudekomplex der sogenannten Bibelschule. Zusätzlich wurden im Ortsteil Stemmer rund ein Dutzend grosse Mehrfamilienhäuser mit Pelletsheizanlagen im Contracting ausgestattet. Das Investitionsvolumen der solarcomplex AG für Heizzentrale, Wärmenetz, alle Wärmeübergabestationen sowie die Kollektorfelder beträgt rund 3.75 Mio €. Das Vorhaben wird zu rund drei Viertel aus KfW-Darlehen finanziert, das restliche Viertel stammt aus dem Aktienkapital der an solarcomplex beteiligten Bürger. Neben den ökologischen Vorteilen hat das Projekt zweifellos auch einen regionalwirtschaftlichen Wert: Die Energiekosten sind geringer als bisher und sie fliessen nicht mehr ab, sondern bleiben als Kaufkraft vor Ort.


Sommerliche Grundlast solar bereitstellen
Büsingen ist deutsches Hoheitsgebiet, liegt aber als Exklave im Schweizer Wirtschaftsraum. Das deutsche EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) gilt hier folglich nicht. Konsequenz: Auf eine Biogasanlage wurde in diesem Bioenergiedorf kurzerhand verzichtet. Die sonst bei den Bioenergiedörfern von solarcomplex übliche Abwärme aus einem Biogas-Blockheizkraftwerk entfällt somit als Grundlast im Netz. Aufgrund dieser Ausgangslage entstand die Idee, die sommerliche Grundlast anders bereitzustellen, nämlich mit Solarthermie. Weil das deutsche EEG nicht angewandt wird, sieht man übrigens in Büsingen ansonsten kaum Photovoltaikanlagen.

Am 25. Juli 2013 wird die unweit von Schaffhausen situierte Bioenergiedorf-Anlage im Beisein von Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft offiziell eingeweiht.

solarcomplex-Vorstand
Bene Müller im Gespräch über das neue Konzept.

ee-news.ch:
Herr Müller, in Büsingen haben wir es mit der erstmaligen Einbindung von grossflächiger Solarthermie in ein solarcomplex-Projekt zu tun. Wieso?
Bene Müller: Es ist Unfug, im Sommerhalbjahr Gas, Öl oder auch Biomasse zu verbrennen. Wir haben genug freie Umgebungsenergie in Form direkter Solarstrahlung, und die muss man nutzen, wo immer es geht. Die Flächeneffizienz der Solarthermie ist gegenüber Biomasse um einen Faktor von sage und schreibe rund 60 besser. Es ist zudem absehbar, dass die Kosten pro Kilowattstunde in einigen Jahren auch günstiger ausfallen werden.

W
ie sieht es bezüglich des Flächenbedarfs der Kollektoren aus und wieso werden diese vorab auf der grünen Wiese und nicht auf den Dächern im Dorf installiert?
Die Kollektorfläche installieren wir aus drei Gründen direkt bei der Heizzentrale, vor- und nachgelagert davon: Erstens ist es unvergleichbar günstiger, einmal 1000 Quadratmeter mit Kollektoren zu errichten, statt 100 mal mit je 10 Quadratmetern. Zweiten ist es hydraulisch wesentlich einfacher, eine Fläche ins Netz einzubinden als deren einhundert. Drittens ist es faktisch nicht möglich, einhundert Hauseigentümer davon zu überzeugen, auf ihren Gebäuden Kollektoren zu installieren.

Wie sieht es mit dem
Solarertrag im Winter aus, wie im Sommerhalbjahr beziehungsweise in der Übergangssaison?
Die Fläche ist derzeit so ausgelegt, dass im Hochsommer der gesamte Wärmebedarf, also Brauchwarmwasser, solar bereitgestellt werden kann, in der Übergangszeit werden die Hackschnitzelkessel unterstützt. In der eigentlichen Heizperiode ist dieser Beitrag hingegen zu vernachlässigen. Wir können uns gut vorstellen, die Kollektorfläche in einigen Jahren zu erweitern und so den solaren Deckungsanteil zu erhöhen.

Welche
Vorbildfunktion für andere vergleichbare Anlagen messen Sie diesem Projekt zu?
Eine grosse. Denn die Begrenztheit der Biomasse-Potentiale ist überall gegeben. Und jeder Kubikmeter Hackschnitzel, den wir im Sommer durch direkte Solarenergie ersetzen, kann im nächsten Winter in einem anderen Projekt eingesetzt werden. Also werden die Potentiale der Biomasse gestreckt, und zwar erheblich. Die Flächeneffizienz von direkter Solarenergie ist etwa um den Faktor 60 besser als bei Biomasse.

Wie sieht es bezüglich der
Kosten im Vergleich zu konventionellen Anlagen aus?
Wir haben zwar in Büsingen mit 11 Cent je kWh Nutzenergie die bisher höchsten Wärmepreise unserer Bioenergiedörfer, aber für den Kunden ist entscheidend, ob er künftig günstiger fährt als bisher. Und bei einer realistischen Vollkostenbetrachtung liegt eine Kilowattstunde Nutzenergie aus Öl bei rund 15 Cent. Es gibt ja nicht nur die Brennstoffkosten, sondern auch die Betriebskosten wie Schornsteinfeger, Öltankinspektion, Reparaturen und die Kapitalkosten für alle 20 Jahre einen neuen Brenner.

Seit
der solarcomplex-Gründung im Jahr 2000 ist die Zahl der Gesellschafter von 20 auf rund 1000 und das Grundkapital von 37‘500 auf knapp 6 Mio € gewachsen. Wie erklärt sich dies?
solarcomplex befindet sich auf dem Weg zum ersten regenerativen Stadtwerk des 21. Jahrhunderts. Neben Bürgern sind auch zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen beteiligt, darunter fünf Stadtwerke der Region. solarcomplex beschränkt sich mit seinen Aktivitäten auf den Bodenseeraum. Realisiert wurden bisher über 20 MW Solarkraftwerke als Dachanlagen und Freiland-Solarparks, ein Wasser- und ein Windkraftwerk, zwei bürgerfinanzierte Biogasanlagen sowie acht Bioenergiedörfer sowie etliche Holzenergieanlagen im Leistungsbereich bis 2 MW. Das Investitionsvolumen aller Projekte bis Anfang 2013 beträgt rund 100 Mio. €. Die solarcomplex AG bietet Bürgern die Kapitalbeteiligung über neu ausgegebene Aktien an. Offeriert werden ausserdem Genussrechte mit 4% Zins als «ökologische Geldanlage».

Das
Bürgerunternehmen solarcomplex AG >>

©Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch

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