Mit seiner sogenannten Bioreaktorfassade ist das fünfgeschossige BIQ – die Abkürzung steht für „Haus mit Biointelligenzquotient“ – die Attraktion der derzeitigen Internationalen Bauausstellung Hamburg. Bild: BIQ

Einfacher als Algen liesse sich zum Beispiel Solartechnik in die Häuser einbinden. Bild: Berliner Energieagentur

Forschung: Die Metropole als Kraftwerk

(©SR) Städte wachsen und verschlingen immer mehr Energie. Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten, 2025 werden es nach Schätzungen der Vereinten Nationen bereits 60 Prozent sein. Nur effizientere Gebäude und erneuerbare Energien können das urbane Klimaproblem lösen. Forscher suchen deshalb händeringend nach Wegen, die unsteten Erzeuger mit den Verbrauchern in Einklang zu bringen.


Früher haben Hamburg-Besucher einen Bogen um Wilhelmsburg gemacht. Der Stadtteil galt als grau und arm an Attraktionen. Das hat sich geändert: Im März wurde hier das im wahrsten Sinne „grünste Haus“ der Hansestadt fertiggestellt. Mit seiner sogenannten Bioreaktorfassade ist das fünfgeschossige BIQ – die Abkürzung steht für „Haus mit Biointelligenzquotient“ – die Attraktion der derzeitigen Internationalen Bauausstellung Hamburg. In Glasplatten an der Fassade wachsen Algen, die aus Licht und Kohlendioxid Biomasse und Wärme produzieren. Die Wärme wird über Wärmetauscher den 15 Wohnungen direkt zum Heizen zur Verfügung gestellt, die Biomasse wird abgeschöpft. Aus ihr wird Biogas gewonnen, das eine Brennstoffzelle in Strom und zusätzliche Wärme umwandelt.

Viel Wärme, weniger Strom

„Sämtliche benötigte Energie zur Erzeugung von Strom und Wärme entsteht aus regenerativen Quellen, fossile Brennstoffe sind nicht im Spiel“, erklärt der Projektleiter Ralf Ziehn vom verantwortlichen Bauunternehmen Otto Wulff. Eine Steuerung verteilt die Energie und regelt zugleich das Wachstum der Algen, indem sie ihnen immer genau so viel Kohlendioxid (CO2) aus der Brennstoffzelle zuleitet, wie sie für die Photosynthese benötigen. Allerdings erzeugen die Organismen relativ wenig Strom. Sie liefern nur schätzungsweise 4500 Kilowattstunden pro Jahr – das reicht maximal für zwei Haushalte im BIQ. Der meiste Strom muss daher aus dem öffentlichen Netz bezogen werden. Besser sieht die Energiebilanz bei der Wärme aus. An hellen Tagen produziert die Fassade Überschüsse, die ins Nahwärmenetz eingespeist oder in Erdwärmesonden gespeichert werden. Im Winter, wenn der Bioreaktor weniger Heizenergie liefert, greift BIQ auf diese Speicher zurück.


Klimaschonende Gebäude
Trotz der recht geringen Stromausbeute könnte das Algenhaus wegweisend für künftige Bauvorhaben sein. Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten, 2025 werden es nach Schätzungen der Vereinten Nationen bereits 60 Prozent sein. Zwar bedecken Grossstädte wie Hamburg nur ein Prozent der Erdoberfläche, aber sie verbrauchen 75 Prozent der eingesetzten Primärenergie und verursachen 80 Prozent der Treibhausgasemissionen. Stadtplaner und Architekten stehen damit vor enormen Herausforderungen. „Der Kampf ums Klima entscheidet sich in den Städten. Sie müssen bei einem Grossteil ihrer Prozesse CO2-neutral werden, sonst droht der Klimakollaps“, warnt die Wissenschaftlerin Christina Sager vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP). Gemeinsam mit elf weiteren Fraunhofer-Instituten hat das IBP daher 2012 das Projekt „Morgenstadt“ gestartet. Im Rahmen dessen wollen die Forscher anhand der sechs Städte Singapur, Kopenhagen, New York, Berlin, Freiburg und Tokyo zeigen, wie die Energiewende in Cities mit unterschiedlichen Gegebenheiten gelingen kann. So viel steht fest: Die Ökotransformation erfordert viele Innovationen. „Wesentliche Voraussetzung sind intelligente Strom- und Wärmenetze: Sie verknüpfen Energieerzeugung und -verbrauch über viele verschiedene Energieträger hinweg“, erklärt Sager. Bisher steht die Entwicklung sogenannter Multi-Energy-Smart-Grids, die neben Strom und Wärme auch Daten transportieren können, aber erst am Anfang.

Solarenergie statt Algen

Gebäude mit intelligenter Technik und Gebäudeautomation sollen zu wichtigen Säulen des Smart Grids werden. Einfacher als Algen liesse sich zum Beispiel Solartechnik in die Häuser einbinden. Laut Fachhochschule Osnabrück eignet sich in Deutschland jedes fünfte Dach für die Nutzung der Solarenergie. Wo sich Solarmodule nicht anbringen lassen, können sie als stromerzeugende Fenster oder Ersatz für die Betonfassade in die Gebäudehülle integriert werden. Mit zusätzlichen Batteriespeichern lässt sich der solare Eigenverbrauch eines Gebäudes deutlich steigern. Das Problem bei der Direktnutzung ist, dass Solarstrom stark schwankt und oft nicht zur Verfügung steht, wenn er gebraucht wird. Blei- oder Lithium-Ionen-Akkus nehmen Überschüsse auf und geben die bei Bedarf abends oder am nächsten Morgen wieder ab.

Sonnenstrom lässt sich mit einer Wärmepumpe genauso gut zur Produktion von Wärme nutzen. „Solarstrom wird immer billiger und kann bald direkt mit Öl für die Heizung konkurrieren“, prognostiziert Volker Quaschning, Professor für regenerative Energien in Berlin. Eine Wärmepumpe verwertet den Solarstrom sehr effizient, weil sie ihn verwendet, um der Umgebung Wärme zu entziehen. Aus einem Kilowatt elektrischer Antriebsleistung erzeugt sie so drei bis vier Kilowatt Wärme. Erste Systeme aus Wärmepumpe, Warmwasserspeicher, Solarmodulen und Wechselrichter kommen derzeit auf den Markt. Der Münchener Hersteller Centrosolar beispielsweise bietet ein solches Paket unter dem Namen „Cenpac plus“ mit drei bis fünf Kilowatt elektrischer Spitzenleistung an. Eine Steuerung regelt, wann der Solarstrom die Wärmepumpe und wann er andere elektrische Geräte betreiben soll.

Keine Morgenstadt ohne Wind

Alternativ lässt sich mit klassischen solarthermischen Anlagen regenerative Wärme erzeugen. Ihr Prinzip ist einfach: Solarkollektoren auf dem Dach verwandeln Sonnenstrahlen in Wärme. Über einen Wärmetauscher wird Wasser in einem Speicher erhitzt und kann in Küche, Bad und zur Einsparung von Heizenergie eingesetzt werden. Die Kollektoren können auch mit sogenannten Sorptions-Klimaanlagen kombiniert werden, die Wärme in Kälte verwandeln. So lässt sich überschüssige Hitze auch im Sommer sinnvoll nutzen. Herkömmliche elektrische Kompressions-Klimaanlagen verschlingen in Deutschland rund 90 Milliarden Kilowattstunden Strom pro Jahr – 15 Prozent des gesamten Stromverbrauchs. In wärmeren Industriestaaten wie in den USA liegt der Anteil noch höher. Das Einsparpotenzial ist also gewaltig. Werden zudem bestehende Gebäude energetisch saniert, sink der CO2-Ausstoss weiter. Forscher der Technischen Universität (TU) Berlin haben zum Beispiel in der Studie „Intelligente Energieversorgung für Berlin 2037“ ermittelt, dass der Gesamtenergiebedarf in der Hauptstadt allein durch Energiesparmassnahmen wie neue Heizungen und Fenster um 45 bis 50 Prozent gesenkt werden kann.

Dennoch wird die grüne Wende in Berlin nicht leicht. So wird sich die Stadt selbst bei stark sinkendem Energiebedarf nicht komplett selbst mit Ökostrom und -wärme versorgen können. „Das regenerative Nutzungspotenzial reicht nicht aus. Ein Teil der Energie muss aus dem Umland kommen“, sagt TU-Energieprofessor Kai Strunz. Zwar kann Berlin den Anteil seiner CO2-freien Stromversorgung bei guter Koordination der erneuerbaren Quellen der Studie zufolge von heute 25 auf 60 Prozent im Jahr 2037 ausbauen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass grosse Mengen an Windstrom aus den umliegenden Bundesländern geliefert und neue Windturbinen in der Region gebaut werden. Derzeit stehen im ostdeutschen Versorgungsgebiet Berlins der TU zufolge etwa zehn Gigawatt Windstromleistung zur Verfügung, 20 Gigawatt sind jedoch nötig, um das angepeilte 60-Prozent-Ziel zu schaffen.

Kluge Vernetzung nötig

Aus Sicht von IBP-Forscherin Sager gilt für andere Metropolen das gleiche wie für Berlin. „Ohne Ökostrom von aussen schafft keine Stadt die Energiewende.“ Die Einbindung externer Ökokraftwerke ist jedoch mit hohen technische Hürden verbunden. Damit die Cities sicher versorgt werden, müssen Windenergie- und Solaranlagen klug mit allen anderen Stromverbrauchern und -Erzeugern vernetzt werden. Das erfolgreiche Zusammenspiel von City und Peripherie ist an zwei Bedingungen geknüpft: Zusätzliche Grossspeicher und Elektrofahrzeuge sind nötig, die Erzeugungsspitzen abfedern und so das Netz entlasten. Ausserdem bedarf es intelligenter Steuerungen, die den Einsatz aller Komponenten koordinieren und auf den Energiebedarf abstimmen.

Schwieriges Zusammenspiel

Sogenannte virtuelle Kraftwerke versprechen eine Lösung. Sie bestehen aus vielen dezentralen Energieproduzenten, die über eine Datenleitung miteinander verbunden sind. Fällt ein Erzeuger wegen Dunkelheit oder Flaute aus, erhält ein anderer im Cluster das Startsignal. Derzeit treiben vor allem die grossen Energie- und Technologiekonzerne die Verbundlösungen voran. Vattenfall hat in Berlin ein Netz von Blockheizkraftwerken (BHKW) errichtet, die als zusammengeschaltetes virtuelles Kraftwerk Schwankungen beim Solar- und Windstrom ausgleichen können. So erzeugen die BHKWs fehlende Kilowattstunden für die nötige Netzstabilität und produzieren dabei Wärme, die in den Gebäuden, in denen sie stehen, genutzt und gespeichert werden. Herrscht Überangebot, werden stromverbrauchende Wärmepumpen angesteuert. Bis Ende 2013 soll eine elektrische Gesamtkapazität von 200 Megawatt zusammengeschaltet und von der Berliner Schaltzentrale aus gesteuert werden.

Siemens koppelt in München BHKWs mit Wind und Wasserkraft und entwickelt automatische Regelungen für das Mittelspannungsnetz. Mit ihnen können Kraftwerke so gesteuert werden, dass sie zur Spannungshaltung sogenannte Blindleistung erzeugen und aufnehmen können. Damit Anbieter und Verbraucher miteinander kommunizieren können, hat etwa die Mannheimer Firma Power Plus Communications eine sogenannte Breitband Powerline, eine spezielle Kommunikationstechnik, entwickelt, mit deren Hilfe Informationen in beide Richtungen über das Stromnetz übertragen werden können – zum Beispiel Tarifinformationen oder den aktuellen Stromverbrauch.

Forschungsprojekt „Kombikraftwerk“

Grösse Aufmerksamkeit gilt derzeit dem vom deutschen Bund geförderten Forschungsprojekt „Kombikraftwerk“. „Wir wollen bis 2014 zeigen, dass eine sichere und zuverlässige Stromversorgung aus erneuerbaren Energien möglich ist – ganz ohne konventionelle Schattenkraftwerke als Absicherung“, sagt Kurt Rohrig vom Fraunhofer-Institut für Windenergie- und Energiesystemtechnik (IWES). Die Projektpartner zeigten bereits, dass ein Verbund aus Windturbinen mit 13 Megawatt Gesamtleistung, zehn Megawatt Solar- und Biogasanlagen sowie einem virtuell zugeschalteten Pumpspeicherkraftwerk, das Leistungsschwankungen ausgleicht, den kompletten Strombedarf von mehr als 10000 Menschen decken kann. „Selbst bei Flaute und in der Nacht reicht der Strom“, sagt Rohrig.

Noch eine Vision

Am Ziel sind die Forscher aber längst noch nicht. Sollen Metropolen und ihr Umfeld als virtuelle Kraftwerke fungieren, sind die Abläufe viel komplexer als in bisherigen Demonstrationsprojekten. Es müssen deshalb leistungsstärkere Softwareprogramme und Kommunikationstechnologien entwickelt werden, die mehr Erzeuger und Verbraucher einbinden und wesentlich grössere Energiemengen managen können. Da sich gängige Pumpspeicherkraftwerke nur für wenige Standorte eignen, müssen zudem neue dezentrale Speicher entwickelt werden. Elektrochemische Speicher wie Redox-Flow-Batterien, die grössere Strommengen über längere Zeiträume aufnehmen können, bieten eine Lösung. Eine andere Speicheridee ist es, Wasser mit Ökostrom per Elektrolyse in Wasserstoff umzuwandeln. Das Gas liesse sich entweder ins Erdgasnetz einspeisen oder als Sprit für Brennstoffzellenautos nutzen. Experten glauben aber nicht, dass Elektolyseure innerhalb der kommenden Dekade wirtschaftlich werden. Bisher ist die Morgenstadt nur eine kühne Vision.

©Text: Sascha Rentzing

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