Mittlerweile beschäftigt die deutsche Solarindustrie 133000 Menschen und setzt 20 Milliarden Euro um – genau so viel wie die Biotechnologie, die Vorzeigebranche in Deutschland. Bild: Qcells

Deutschland: Industriemotor Photovoltaik

(©SR) Aus kleinen Tüftler-Keimzellen wie Berlin und Erfurt entwickelten sich in Deutschland starke Hersteller- und Zulieferer-Cluster. Sie bringen ihren Regionen Jobs und befruchten mit ihren Innovationen die globale Solarindustrie.


Solche Statistiken stellt ein Funktionär gern vor. Mitarbeiter: plus 111 Prozent; Produktion: plus 20 Prozent; Umsatz: plus 90 Prozent – und das alles innerhalb des letzten Jahres. Diese beeindruckenden Werte gehören zur deutschen Solarindustrie. „Unsere Branchenzahlen stellen manch alteingesessenen Wirtschaftszweig in den Schatten“, kommentiert Carsten Körnig, Geschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW), die neuesten Erhebungen seines Verbands.

Erfolgsmeldungen sind für Körnig zur Routine geworden: Seit Jahren eilt die Photovoltaik (PV) in Deutschland von Rekord zu Rekord. Als die rot-grüne Bundesregierung 2003 mit dem sogenannten PV-Vorschaltgesetz zum EEG eine stärkere Förderung des Solarstroms beschloss, zeigte die Massnahme schnell Wirkung: Von 2003 bis 2010 haben sich die PV-Neuinstallationen in Deutschland auf 7400 Megawatt (MW) mehr als verfünfzigfacht. Mittlerweile beschäftigt die deutsche Solarindustrie 133000 Menschen und setzt 20 Milliarden Euro um – genau so viel wie die Biotechnologie, die Vorzeigebranche in Deutschland.

Interessante Übernahmekandidaten
Ökobewegte Tüftler, die schon in den Siebzigerjahren an Solartechnik schraubten, zündeten den PV-Motor. Eines ihrer Zentren war Berlin. Ein Kollektiv aus elf Ingenieuren rief dort 1996 die Arbeitsgemeinschaft Solarfabrik ins Leben, woraus 1997 der Modulbauer Solon hervorging. Eine andere Gruppe um den „Wuseler von Berlin“, Reiner Lemoine, gründete 1996 in der Bundeshauptstadt die Firma Q-Cells, die 2001 im anhaltinischen Ort Thalheim eine Zellenproduktion auf die grüne Wiese setzte. Erfurt erwies sich als weitere solare Keimzelle: 1997 baute der Mikrotechnologe Jürgen Hartwig dort gemeinsam mit Geschäftsfreunden die Firma Ersol auf. „Anfangs haben die ihre Zellen auf vier ausrangierten Maschinen von AEG produziert“, sagt Peter Frey, Geschäftsführer des Branchenclusters „Solarvalley Mitteldeutschland“. Dann nahm Ersol Fahrt auf: Es wuchs zum zweitgrössten deutschen Zellenhersteller, ging an die Börse und wurde schliesslich 2009 als Hightech-Unternehmen von Bosch übernommen.

Heute sind Q-Cells und Bosch Solar Energy die Leuchttürme des Solarvalley, dem inzwischen 34 Hersteller und zehn Zulieferer angehören und das insgesamt 15.000 Menschen Arbeit bietet. Und das Solarvalley wirkt weit über die Grenzen Deutschlands hinaus: Weltweit beziehen Unternehmen Zellen aus dem Cluster und bauen daraus Module, die sie erfolgreich verkaufen. Das wiederum sorgt für Wachstum und Jops in China und Co.

Keine Sonne ohne Politik
Ohne die Unterstützung der Politik hätten die PV-Pioniere in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen allerdings nicht so erfolgreich Fuss fassen können. „Diese Länder haben der Photovoltaik den roten Teppich ausgerollt, weil sie sonst nichts anderes hatten“, sagt Frey. Sie hätten den Herstellern für ihre Fabriken fertig erschlossene Gelände überlassen und, um ihnen vor Ort möglichst viel Expertise zu bieten, in spezielle Infrastuktur für Forschung und Entwicklung (F&E) investiert. Ein Beispiel: Sachsen-Anhalt schoss 2007 52,5 Millionen Euro aus Bundes- und Landesmitteln in die Gründung des Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik (CSP) in Halle. „Ohne diese Investition wäre das 60-Millionen-Projekt nicht zustande gekommen“, sagt Frey. Mit acht weiteren Forschungseinrichtungen und vier Unis in der Region bildet das CSP quasi ein mitteldeutsches „Megalabor“, aus dem die Firmen des Solarvalley Wissen für effizientere Produktionen und Zellen ziehen können.

Die geballte Expertise im Cluster ist mit entscheidend dafür, dass sich weitere Firmen ansiedeln. Der Standort ist sogar für Asiaten interessant, die in China oder Taiwan vermeintlich bessere Bedingungen – niedrigere Lohnkosten und höhere staatliche Zuschüsse – vorfinden. Die Leipziger Solarion etwa errichtet in Zwenkau bei Leipzig derzeit eine rund 40 Millionen Euro teure Fabrik für Dünnschichtmodule aus Kupfer, Indium, Gallium und Selen (CIGS) mit 20 MW Produktionskapazität. Das Geld für die Produktion stammt vom taiwanesischen Konzern Walsin Lihwa, der Ende 2010 49 Prozent der Anteile von Solarion erwarb. „Wir bauen unser Werk in Zwenkau, weil wir für das Hochskalieren unserer Technik von der Pilot- in die Massenfertigung ein hochprofessionelles Umfeld von Lieferanten und Entwicklungspartnern brauchen.“, sagt Solarion-Vertriebschef Stefan Nitzsche. Solarions Ansiedlung ist eine Win-Win-Situation: Der Dünnschichtspezialist nutzt Synergien im Cluster, dafür bringt er der Region 90 neue Jobs.

Der mitteldeutsche Solarmotor überträgt seine Kraft auf andere Regionen in Deutschland. Zum Beispiel ins Maschinenbauland Baden-Württemberg: Q-Cells liess sich seine erste Produktion von Solarmaschinenbauer Centrotherm aus Blaubeuren einrichten. Q-Cells' Aufträge halfen den Schwaben, im Solargeschäft Fuss zu fassen und zu wachsen. Heute exportiert Centrotherm in alle Welt, vor allem nach Asien, wo es inzwischen über 85 Prozent seiner Umsätze generiert – bei einem Gesamterlös von 624 Millionen Euro waren es 2010 rekordverdächtige 530 Millionen Euro.

Ost befruchtet West
Centrotherm steht für viele andere Maschinen- und Anlagenbauer in Baden-Württemberg wie Manz, Rena oder Schmid. Diese Firmen konnten sich dank der deutschen PV-Hersteller aus ihrer Abhängigkeit von der Auto- oder Chipbranche lösen, wurden durch asiatische Aufträge zu international erfolgreichen Akteuren und sorgen nun selbst für Wachstum und Jobs bei ihren Zulieferern und kooperierenden Forschungseinrichtungen, die sich um sie postiert haben. Und die Aussichten für das Zulieferer-Cluster bleiben gut. Zwar hält der europäische Solarindustrie-Verband Epia 2011 einen Rückgang des weltweiten PV-Zubaus für möglich, weil die Nachfrage infolge von Förderkürzungen in Schlüsselmärkten Europas wie Deutschland und Italien sinkt. 2013 soll die neu installierte Leistung aber bereits über das Niveau des bisherigen Rekordjahrs 2010 wachsen. Das heisst: Die Hersteller werden ihre Produktionen weiter ausbauen und dafür unter anderem Hightech aus dem Ländle benötigen.

Drohende Personalengpässe
Allerdings droht den Zulieferern ein gravierendes Problem: Personalengpässe könnten sie ausbremsen. Im Prinzip benötigen alle Solarmaschinenbauer die gleichen Experten: Chemiker, Physiker und Co. Da diese auf dem Arbeitsmarkt nicht beliebig zur Verfügung stehen, droht unter den Ausrüstern ein Streit um Expertise. Die wachsende Konkurrenz führt auch zu reibungsverlusten bei F&E. Wesentliche Eigenschaft eines Clusters ist, dass die beteiligten Firmen gemeinsame Forschungsschwerpunkte festlegen und in einigen Bereichen kooperieren, um schneller voranzukommen und Kosten zu sparen. Das erscheint bei Platzhirschen wie Centrotherm und Schmid, die um exakt die gleichen Kunden buhlen, im Augenblick als undenkbar. Die hohen Reibungsverluste könnten im schlimmsten Fall dafür sorgen, dass der Industriestandort im Vergleich zu anderen an Attraktivität verliert.

Das Solarvalley Mitteldeutschland hat sich als Cluster bereits weiterentwickelt. Die Akteure setzen gemeinsame F&E-Projekte um, haben eine Ausbildungsstruktur für hochqualifizierte Ingenieure und Wissenschaftler etabliert und vermarkten sich als Teil des Solarvalley. Diesen Motor wird auch die angekündigte Konsolidierung nicht abwürgen können.

©Text: Sascha Rentzing

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