Kohlekraftwerk Scholven, E.ON Kraftwerke, Scholven, Deutschland
Quelle: Peter Schaffrath/E.ON

Gerichtsurteile erschweren Projekte für Kohlestrom im Ausland

(©TR) Urteile des Europäischen und des Italienischen Gerichtshofs durchkreuzen Projekte von Schweizer Energieunternehmen, die auf die Stromproduktion aus Kohle setzen. Ein Entscheid des Italienischen Gerichtshofs verbietet der Enel S.p.A. den Bau eines Kohlekraftwerks als Ersatz des Ölkraftwerks in Porto Tolle, Venetien.


Zuvor hatte der Europäische Gerichtshof den Deutschen Umweltverbänden das Recht eingeräumt, gegen industrielle Grossvorhaben zu klagen.

Im Januar 2011 hatte das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung dem grössten italienischen Stromversorger Enel S.p.A. (Rom) erlauben wollen, in Porto Tolle drei Kohlekraftwerksblöcke zu erstellen — als vermeintlich letzte Instanz. Das Gericht widerspricht nun den Behörden, indem es ein im Juli 2009 erfolgtes Dekret des Umweltministeriums aufhebt. Ebenfalls annullierte es eine im Oktober 2010 durch die Regionalbehörde erteilte Bewilligung. Porto Tolle liegt in der Poebene, einem ökologisch sensiblen und deshalb durch EU-Richtlinien geschützten Gebiet. Mit insgesamt 2'640 MW elektrischer Leistung steht dort eines der grössten Kraftwerke Europas. Es ist eines von mehreren Ölkraftwerken in Italien, die laut den Betreiberfirmen ersetzt oder umgebaut werden sollen, um in Zukunft Kohle zu verfeuern; die Elektrizitätserzeugung aus Kohle verursacht bekanntlich besonders hohe CO2-Emissionen.


Umweltfolgen verzerrt bewertet?

In einer gemeinsamen Medienmitteilung äussern die Umweltverbände Italia Nostra, WWF, Greenpeace und Legambiente Zufriedenheit mit der kürzlich publizierten Urteilsbegründung. Das Gericht kritisierte die Bewilligungsbehörden unter anderem, weil diese die Umweltfolgen von Kohle gegenüber dem Energieträger Erdgas verzerrt bewertet hätten. Eine korrekte Bewertung hätte gemäss der Begründung des Gerichtsurteils zu einem anderen Ergebnis geführt. Die Entscheidung des Italienischen Gerichtshofs ist besonders für die Bündner Repower AG von Bedeutung. Die ehemalige Rätia Energie AG projektiert über ihre Mailänder Tochterfirma SEI S.p.A. in Saline Joniche/Kalabrien ein Kohlekraftwerk mit 1'320 MW elektrischer Leistung. Der CO2-Ausstoss dieser sich im Bewilligungsprozess befindlichen Anlage würde mit jährlich etwa 7 Millionen Tonnen rund einem Sechstel der Schweizer Kohlendioxidemissionen entsprechen. Im Gegensatz zu allen anderen Projekten für Kohlekraftwerke in Italien würde das Vorhaben der Repower kein altes Ölkraftwerk ersetzen. Ein Teil des Ersatzkraftwerks in Porto Tolle war von den Italienischen Behörden bei der EU als Pilotanlage zur Erprobung von CO2-Abscheidetechnologie zur Förderung vorgeschlagen worden. Das Kohlendioxid hätte in einen salzhaltigen tiefen Grundwasserleiter (Aquifer) unter dem Meeresgrund gepresst werden sollen.

Bewilligungsmarathon praktisch von vorne beginnen?
Der Ausgang der gerichtlichen Auseinandersetzung um die Bewilligung in Porto Tolle ist letztinstanzlich entschieden. Die Enel müsste den Bewilligungsmarathon, der sich über sechs Jahre hinzog, praktisch von vorne beginnen, wollte sie dennoch am Standort Porto Tolle ein Ersatzkraftwerk bauen. Enel hat als Reaktion auf das Urteil in Aussicht gestellt, Projekte zur Stromerzeugung eher an anderen Standorten in Italien verfolgen zu wollen – oder aber auf Standorte im Ausland «mit guter Anbindung an Italien» auszuweichen.

Klagerecht in umweltrechtlichen Belangen
Der Entscheid der italienischen Justiz folgt kurz nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der den deutschen Umweltverbänden bei grossindustriellen Projekten das Klagerecht in umweltrechtlichen Belangen einräumt – ein Entscheid, der die Umsetzung eines weiteren Kohlekraftwerkprojekts der Repower erschweren dürfte. Im norddeutschen Brunsbüttel projektiert die Bündner Energieunternehmung zusammen mit dem Stadtwerkeverbund Südweststrom das grösste Steinkohlekraftwerk Europas. Laut Jürgen Quentin, Leiter der Anti-Kohle-Kampagne bei der Deutschen Umwelthilfe, werden die Klagerechte der Umweltverbände dank diesem EU-Urteil generell gestärkt: «Genehmigungen für umwelt- und klimaschädliche Kohlekraftwerke, wie das Kraftwerksprojekt in Brunsbüttel, werden künftig vollumfänglich einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen.»

«Ja zu sauberem Strom ohne Kohlekraft»
Nach den Präzedenzfällen im italienischen Porto Tolle und dem deutschen Lünen ist absehbar, dass beide Kohlekraftwerksprojekte der Bündner Repower durch gerichtliche Einsprachen mit hoher Erfolgsaussicht «bedroht» sind: Langwierige Verfahren mit ungewissem Ausgang dürften die weitere Projektentwicklung dominieren. Darüber hinaus wollen in Graubünden verschiedene Umweltverbände und Parteien noch diesen Sommer die Volksinitiative «Ja zu sauberem Strom ohne Kohlekraft»einreichen. Die Initiative würde die Regierung dazu verpflichten, sich gegen die umstrittenen Projekte der Repower zu wenden. Bereits soll die Hälfte der notwendigen 4’000 Unterschriften gesammelt sein.

Abstoss der Kohlekraftbeteiligung schon bis 2015
Über eine weitere kantonale Initiative wegen der Schweizer Auslandkohlekraftwerke wird am 5. Juni im Tessin entschieden. Die Initiative verlangt von der Azienda Elettrica Ticinese (AET) einen schnellen Ausstieg aus ihrer Kohlekraft-Beteiligung. Ein von CVP, FDP und SVP getragener Gegenvorschlag fordert diesen Ausstieg erst bis 2035. Die Vertreter des Gegenvorschlags argumentierten vor allem damit, dass durch den späteren Ausstieg der AET geringere Kosten entstünden. Riskiert jedoch das im Bau weit fortgeschrittene Kraftwerk Lünen, wegen des Entscheids des Europäischen Gerichtshofs, zu einer Investitionsruine zu werden, könnte sich ein schnellerer Ausstieg als kostengünstiger erweisen. Die Initiative verlangt von der AET den Abstoss der Kohlekraftbeteiligung schon bis 2015.

Von parteipolitischen Motiven dominierte Diskussion
Da das Investitionsrisiko auch für im Bau befindliche Kohlekraftwerke steigt, erhält die bisher weitgehend von parteipolitischen Motiven dominierte Diskussion um den Ausstieg aus Kohlestrom im Tessin einen neuen Impuls. Neben den Grünen und den Sozialdemokraten steht auch die rechte Lega dei Ticinesi für die Initiative und damit für den schnellen Ausstieg der AET aus Kohlekraft ein. Wegen der Beihilfe der umweltpolitisch wenig profilierten Lega bezeichnen die Unterstützer des Gegenvorschlags die Urheber der Initiative als «opportunistisch». Die Schweizer Elektrizitätswirtschaft war schon vor den Vorfällen in Fukushima an der Stromproduktion aus Kohle interessiert. Die Entscheide, die nun auf juristischer Ebene gefallen sind, dürften Kohlestromprojekte für die Schweizer Energiewirtschaft unattraktiver machen.

Text: Toni Rütti, freier Mitarbeiter ee-news.ch (Quelle: Klimaatelier)


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