Vorsorgliche Ausserbetriebnahme Kernkraftwerk Mühleberg

(RW) Die AnwohnerInnen AZ 1 und AZ 2 verlangen die Berücksichtigung der neuen Umsetzungsleitlinien zur Überprüfung der deutschen und europäischen Kernkraftwerke (Stresstest) und eine Sicherheitsprüfung durch eine vom ENSI und den Kernkraftwerkebetreibern unabhängige Expertengruppe. Zudem beantragen sie nun dem ENSI, dass nicht nur die seit 2006 mit Mühleberg befassten, sondern alle Mitarbeitenden wegen Voreingenommenheit in den Ausstand treten.

Als Anwalt von 113 Gesuchstellenden und Beschwerdeführende der AZ 1 und AZ 2 des Kern-kraftwerks Mühleberg teile ich Ihnen Folgendes mit:

  1. Die Beschwerdeführenden haben mit einer simultanen Ergänzungseingabe vom 31. März 2011 beim UVEK, beim Bundesverwaltungsgericht und beim ENSI die Berücksichtigung der Umsetzungsleitlinien für die Überprüfung der deutschen und europäischen Kernkraftwerke (Stresstest) verlangt. Diese werden auf Grund der schweren Störfälle in Japan erlassen und verlangen die unverzügliche Umsetzung der wichtigsten Sicherheitsmassnahmen: Entwurf der Arbeitsgruppe RS I 3 der deutschen Bundesaufsicht bei Atomkraftwerken1 des Deutschen Bundesamts für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Stand 16.03.2011, Nr. 13042/92. Der Entwurf dürfte eine Grundlage für die von der deutschen Bundeskanzlerin für alle deutschen Kernkraftwerke angeordneten kurzfristigen Sicherheitsprüfung und des von der EU für alle europäischen Kernkraftwerke beschlossenen Stresstests sein. Die deutschen und europäischen Standards stellen eine Ergänzung der schweizerischen Kerngesetzgebung dar. Diese verlangt ausdrücklich die Umsetzung aller Schutzmassnahmen nach international anerkannten Grundsätzen (Art. 4 Abs. 3 lit. a und Art. 4 KEG3).
  2. Das UVEK hat das für meine Mandanten und Mandantinnen eingereichte Gesuch um vorsorgliche Ausserbetriebnahme vom 21. März 2011 als Anzeige“ dem ENSI zum Entscheid zugestellt. In einem solchen Aufsichtsverfahren haben meine Mandanten keine Parteirechte und keine Akteneinsicht. Die Beschwerdeführenden beantragen nun dem ENSI, dass nicht nur die seit 2006 mit Mühleberg befassten, sondern alle Mitarbeitenden wegen Voreingenommenheit in den Ausstand treten. Grund ist ein Interview des ENSI-Direktors4, der klar zu erkennen gegeben hat, dass er die BMU-Umsetzungsleitlinie nicht kennt und das Restrisiko und Defizite im Rahmen der vom UVEK per 31. März 2011 angeordnete Sicherheitsprüfung mit Unwahrscheinlichkeitsberechnungen wegzurechnen beabsichtigt, die auf Grund der Reaktorstörfälle in Japan vom 11. März 2011 überholt sind. Schon vor Kenntnis des von meinen Mandanten eingereichten Gesuchs um Ausserbetriebnahme und des von den BKW am 31. März 2011 eingereichten Sicherheitsberichts hat er seine Meinung publik gemacht: Eine Ausserbetriebnahme komme nicht in Frage, weil „keine akute Gefahr“ bestehe5. Mit solchen voreiligen Aussagen entpuppt sich das mit Steuergeldern finanzierte „unabhängige“ ENSI zunehmend als Filiale der Nuklearindustrie. Im Gegensatz zur deutschen Umsetzungsleitlinie räumt der Direktor den Kernkraftbetreibern unverantwortbar lange Fristen zur Umsetzung von allenfalls notwendigen Massnahmen ein. Dies, nachdem das ENSI den BKW eine fast 3-jährige Frist (!) zur Einreichung eines Instandhaltekonzepts des rissebehafteten Kernmantels eingeräumt hat, obwohl es seit Jahren wissen muss, dass die behelfsweise Zugankerkonstruktion ohne permanente Überwachung einen schweren Auslegungsfehler darstellt. Die Gefahr, dass das EN-SI seine bisherige grosszügige Bewilligungs- und Aufsichtspraxis im Rahmen der aktuellen Sicherheitsprüfung zu verteidigen sucht, kann im Angesicht der schweren Störfälle in Japan mit immer noch ungewissem Ausgang nicht hingenommen werden.
  3. Die Beschwerdeführenden verlangen, dass die vom UVEK angeordnete Fukushima-Sicherheitsprüfung von einer vom ENSI und den Kernkraftwerkebetreibern unabhängigen Expertengruppe durchgeführt wird, wie es der Entwurf der BNU-Umsetzungsleitlinie für Deutschland ausdrücklich verlangt (Pkt IV.a). Zu prüfen sind auch die von der BKW gestern angekündigten Geheiminvestitionen: Gehören ein neuer Kernmantel oder Staudamm dazu?
  4. Die Beschwerdeführenden haben mit ihrer gestrigen Eingabe einen Unsicherheitsbericht mit einer Liste von Sicherheitsmängeln, worunter die von den BKW gestern zugestandenen, eingereicht. Eine kurzfristige Umsetzung der nach Schweizer und internationalem Regelwerk notwendigen Massnahmen erscheint ohne Ausserbetriebnahme und Revision nicht möglich. Allein schon die publizierte ENSI-Pendenzenliste zeigt, dass viele vor Fukushima publizierte Sicherheitsanforderungen u.a. bezüglich Erdbeben- und Überflutungsrisiko, nicht erfüllt sind.
  5. Auf Grundlage der BMU-Umsetzungsleitlinie erscheinen die gesetzlichen Voraussetzungen einer vorsorglichen Ausserbetriebnahme gemäss Art. 2 c der Ausserbetriebnahme-Verordnung eindeutig erfüllt. Die einstweilige Ausserbetriebnahme würde zunächst nichts anderes bedeuten, als dass die anstehende Revision 2011 vorgezogen würde. Sie würde es zum Beispiel erlauben, einerseits die Entwicklung der Kernmantelrisse seit der letzten Revision im Sommer 2009 zu verifizieren bzw. einen bevorstehenden Durchriss auszuschliessen (Rundnaht -11, Rissfortschritt Sommer 2009 70%) und andererseits ein permanentes Überwachungssystem wie in anderen Ländern einzubauen, - oder den Kernmantel wie von den Beschwerdeführenden verlangt auszutauschen. Der relativ tiefe Stromkonsum im bevorstehenden Sommerhalbjahr und der im Geschäftsjahr 2010 namentlich durch internationalen Stromhandel erzielte Gewinn lassen die zu erwartende Produktionseinbusse als verhältnismässig erscheinen. Namentlich nach dem Grundsatz safety first: Das Vorsorgeprinzip nach Art. 4 KEG verlangt nach der Reaktorkatastrophe in Japan, dass auch relativ unwahrscheinliche Szenarien wie das Basler Erdbeben 1358, Richterskala Stärke 7, mit einem Staudammbruch und einer Überflutung nicht mehr als undenkbares Unfallszenario und unvermeidbares Restrisiko vernachlässigt werden dürfen.

6. Die Beschwerdeführenden haben das Bundesverwaltungsgericht bereits am 21. März 2011 ersucht, das von ihnen eingereichte Gutachten des Oekoinstituts Darmstadt publizieren zu dürfen, das den Inhalt des von der HSK heute ENSI bestellte Tüv-Nord-Gutachten Dezember 2006 über die Kernmantelrisse und Zugangerkonstruktion, publizieren zu dürfen und rechnen bis Mitte April 2011 mit einem Entscheid.

Rainer Weibel, Rechtsanwalt

1 http://www.rbb-online.de/kontraste/sendestrecke_beitraege/interner_sicherheits.file.pdf

2 http://www.bmu.de/ministerium/aufgaben/organigramm/doc/4135.php

3 http://www.admin.ch/ch/d/sr/732_1/index.html

4 Der Sonntag, 27. März 2011 S. 2f
5 Der Sonntag, 37. März 2011 S.2

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1 Kommentare

danke für den guten artikel

Danke für den guten Artikel

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