Zu den Unternehmen, die die Produktion ausbauen, gehört auch SolarWorld. Der Modulproduzent eröffnete im Mai Deutschlands grösste Modulfertigung, mit er die jährliche Produktionskapazität von 170 auf 600 Megawatt steigert. Bild: SolarWorld

Solarwelt in Zahlen

(©SR) Förderkürzungen bremsen das Wachstum der Photovoltaik in Europa. Dennoch bleibt die Sonnenenergie global gesehen erfolgreich, denn mit fallenden Modulpreisen steigt die Nachfrage in neuen Märkten in Amerika und Asien.

Alles hat so gut angefangen. Als die tschechische Regierung 2006 die Einspeisevergütung für Solarstrom verdoppelte, zeigte die Massnahme schnell Wirkung: Die neu installierte Photovoltaik (PV)-Leistung wuchs zwischen 2007 und 2010 von 51 auf 1360 Megawatt (MW). Damit war Tschechien innerhalb von nur drei Jahren aus dem Nichts zum drittgrössten Solarweltmarkt aufgestiegen.

Tschechien bricht Vergütungsversprechen
Die Situation in Deutschlands östlichem Nachbarstaat hat sich komplett gedreht. „Da die Netzbetreiber bis mindestens September keine Einspeiselizenzen für PV-Anlagen ausstellen, ist der PV-Markt derzeit komplett blockiert“, sagt Gerhard Travnicek, Geschäftsführer der Niederlassung des fränkischen Systemanbieters IBC Solar in Tschechien. Wie es im Herbst weitergeht, ist unklar. „Man spricht jetzt teilweise von einem Deckel von 4,5 MW pro Jahr, was den Markt natürlich völlig zum Erliegen bringen würde.“


Sollte sich Prag gegen ein starres Limit entscheiden, greifen die im Dezember beschlossenen Einspeisetarife. Danach erhalten seit dem 1. März nur noch Dachanlagen bis 30 kW eine hilfreiche Förderung von 30 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Das Über-30-kW-Segment (Ü-30- Segment) hingegen wird regelrecht abgewürgt: Neue Anlagen sollen mit 0,24 Cent, also nur noch mit der Hälfte der bisherigen Förderung auskommen. Was Prags Politik die Krone aufsetzt: Seit Januar müssen Betreiber von Ü-30-Anlagen, die 2009 und 2010 errichtet wurden, drei Jahre lang eine Steuer in Höhe von 26 Prozent der Einnahmen entrichten. Im Klartext: Der tschechische Staat bricht sein Vergütungsversprechen und knöpft Betreibern ein Viertel ihres bereits verdienten Geldes wieder ab.

Deckeln statt ausbauen
Tschechien passt perfekt ins Bild. Fast alle europäischen Länder mit Einspeisevergütung für Solarstrom haben die Fördertarife teilweise drastisch reduziert, weil der starke PV-Zubau ausser Kontrolle geriet. „Die Politik hat massiv unterschätzt, dass die dezentrale Stromerzeugung überwältigend anwachsen kann“, sagt der Analyst Götz Fischbeck von der Frankfurter BHF-Bank. Rasant fallende Modulpreise liessen 2010 die Nachfrage unerwartet boomen: Mit fast 17‘000 MW hat sich die weltweit neu installierte PV-Leistung laut dem europäischen Solarindustrie-Verband Epia im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. Damit stiegen auch die Förderkosten für Sonnenenergie, die in den meisten Ländern nach Vorbild des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) über eine Umlage den Verbrauchern in Rechnung gestellt werden. In Deutschland zum Beispiel erhöhte sich die EEG-Umlage 2011 (in der Schweiz KEV-Beitrag genannt) wegen des Solarbooms im vorigen Jahr von 2,05 Cent um 70 Prozent auf 3,53 Cent pro kWh. Das hat zu harscher Kritik an den „teuren“ Regenerativenergien und der Förderpolitik der Bundesregierung geführt.

Deutschland: Wird Nachfrage weiter gedrückt?
Fortan sollen in Deutschland daher niedrigere Solartarife die jährlich neu installierte Leistung auf 2500 bis 3500 MW begrenzen. Zweimalige Vergütungsabsenkungen im letzten Jahr drückten den Markt bereits in Richtung dieses Korridors: Nach vorläufigen Zahlen der Bundesnetzagentur wurden hierzulande 2010 Solaranlagen mit 7247 MW Gesamtleistung neu aufgestellt – noch im Herbst waren die Netzbetreiber von 9500 MW, also gut 2000 MW mehr Zubau ausgegangen. Durch die im Juli anstehende nächste Förderkürzung um bis zu 15 Prozent wird die Nachfrage vermutlich weiter zurückgehen. Sicher ist das aber nicht: Mancher Analyst rechnet bei stark sinkenden Systempreisen für 2011 sogar mit Wachstum.

Spanien: Förderung nur für einen Teil der Produktion
Andere Länder gehen wesentlich rigoroser vor als Deutschland. Beispiel Spanien: Seit die üppige Förderung die neu installierte Leistung 2008 auf 2708 MW trieb, erstickt die spanische Regierung jede Solarregung im Keim. Einschränkungen des Anspruchs auf Einspeisevergütung und eine starre Deckelung des Zubaus auf 500 MW pro Jahr liessen den Markt 2009 auf 17 MW zusammensacken. Gezielte Stiche halten ihm nun am Boden: Im Januar beschloss Madrid, dass alle gemäss den 2007 erlassenen Bedingungen geförderten Anlagen künftig nur noch einen Teil ihres jährlichen Stromertrags vergütet bekommen, den Rest müssen sie zum normalen Marktpreis verkaufen. Für weitere Kostenersparnisse erhalten die beiden einstigen Wachstumstreiber, Freiland- und grosse kommerzielle Dachinstallationen, dieses Jahr 45 und 25 Prozent weniger Vergütung.

Frankreich: Noch einmal die Gigawattmarke
Auch Frankreich hält seinen Markt seit dem 10. März offiziell mit einem 500-MW-Deckel in Schach, allerdings organisiert Paris den PV-Ausstieg eleganter als Spanien und Tschechien. Bevor es am 2. Dezember 2010 ein Moratorium für Neuinstallationen verhängte, um die Solarförderung neu zu überdenken, haben bereits Projekte mit einem Gesamtvolumen von 3300 MW Zusagen für einen Netzanschluss und eine Vergütung erhalten. Diese Leistung darf bis Dezember 2012 noch zu alten Tarifen realisiert werden, weshalb Frankreich laut den Prognosen 2011 noch einmal die Gigawattmarke knacken könnte.

Panik in UK
Inzwischen ist die Anti-PV-Woge sogar über den Ärmelkanal nach Grossbritannien geschwappt. Dabei hat sich das Land erst vor einem Jahr zur PV bekannt, als es am 1. April 2010 einen attraktiven Einspeisetarif nach deutschem Vorbild einführte. Doch rudere die britische Regierung schon wieder zurück, da bereits im März für 2011 Projekte mit 169 MW in Planung gewesen seien – doppelt so viel, wie London avisiert hätte, erklärt Oliver Trier, Geschäftsentwickler bei IBC Solar in England. „Es gibt Vorschläge, die Tarife für Anlagen über 50 kW bereits zum 1. August um 40 bis 70 Prozent zu kürzen.“ Ursprünglich sollten die Tarife bis zu einer Überprüfung 2013 sichergestellt sein.

Sichere Wachstumsbasis
Die PV in Europa steht demnach vor einer Wende. „Der europäische Markt könnte 2011 schrumpfen“, sagt Epia-Generalsekretärin Eleni Despotou. Und der Abwärtstrend soll sich 2012 fortsetzen. Scheinbar geht der Sonnenenergie kurz vor dem Erreichen der Wettbewerbsfähigkeit die Puste aus. Doch in Wirklichkeit beginnt die eigentliche Erfolgsstory der PV gerade erst. Von einem anderen Blickwinkel aus betrachtet, hat die Entwicklung in Europa etwas Positives: Wenn sich die Regierungen jetzt an der PV abreagieren, ist der Weg frei für eine besonnenere Solarpolitik, die der Sonnenenergie eine sichere Wachstumsbasis bietet. Deutschland gibt mit dem Mitte 2010 neu aufgelegten EEG die Richtung vor: „Hier wird inzwischen mit Augenmass gefördert“, sagt Stefan deHaan, Analyst des US-Marktforschers iSupply. Der deutsche Markt werde flexibel eingebremst, bleibe aber signifikant.

Italien: zweiter Dauerbrenner
Italien, das wegen seiner undurchsichtigen Solarpolitik zuletzt niemand mehr auf der Rechnung hatte, könnte sich wider Erwarten zum zweiten Dauerbrenner in Europa entwickeln. Die italienische Regierung hat nach wütenden Kürzungsankündigungen offenbar noch einmal die Kurve gekriegt: Zwar sieht Roms Ende April vorgelegter Gesetzentwurf für die künftige PV-Förderung besonders für Grossanlagen deutliche Tarifkürzungen vor, dennoch werten Experten den Vorschlag als klares Bekenntnis zur Solarenergie: Das Ausbauziel bis 2016 werde darin von 8000 auf 23000 MW angehoben, erklärt deHaan. „Damit ist eine langfristige Perspektive für die PV in Italien mit jährlich 1500 bis 2000 MW Zubau gegeben.“

Wachstum verlagert sich in die USA…
Deutschland und Italien stellen die Basis, viele neue Märkte in Amerika und Asien kommen hinzu und kompensieren die Rückgänge in Europa. Epia schätzt, dass sich der jährliche PV-Zubau ausserhalb der EU zwischen 2010 und 2013 von 3500 MW auf 10300 nahezu verdreifachen wird. Dieser Zuwachs wird den Weltmarkt schon in zwei Jahren über das Niveau des bisherigen Rekordjahres 2010 hieven. Als eines der künftigen Zugpferde gilt die USA. Paula Mints vom US-Marktforscher Navigant Consulting rechnet hier 2011 mit einer Verdopplung der Neuinstallationen auf 2000 MW. Wachstumstreiber seien vor allem Energieversorger in Kalifornien. Sie investierten derzeit verstärkt in grosse Solarparks, weil sie nach dem kalifornischen Gesetz für erneuerbare Energien, dem Renewable Portfolio Standard, bis 2020 ein Drittel ihres Stroms regenerativ erzeugen müssen. Bei sinkenden Modulpreisen ist die Sonnenernte im strahlungsreichen Südwesten der USA inzwischen eine wirtschaftlich interessante Alternative zur konventionellen Stromerzeugung: In Kalifornien müssen Stromkunden in Spitzenverbrauchszeiten umgerechnet fast 0,30 Euro pro kWh Strom zahlen – in grossen Solarkraftwerken kann Sonnenstrom heute schon günstiger hergestellt werden.

… und nach Asien
Auch in Asien steigt das Interesse an der PV. Japan und China könnten, so die Prognosen, dieses Jahr erstmals über 1000 MW installieren. „Die Katastrophe in Japan hat dazu geführt, dass die Regierung in Peking laut über eine Erhöhung des Ausbauzieles im Rahmen des 12. Fünfjahresplans nachdenkt“, sagt der Energieberater und Chinaexperte Frank Haugwitz. Habe die Beijinger Zentralregierung bisher nur einen PV-Ausbau auf 5000 MW bis 2015 angestrebt, würde mittlerweile über mindestens 10000 MW diskutiert. Für 2020 stünden statt der bislang anvisierten 20000 MW sogar schon Zahlen von 50000 MW im Raum. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten in China in den kommenden Jahren 4500 MW jährlich aufgestellt werden. Damit wäre das Land der global grösste PV-Markt.

Schwieriger Marktzugang für Europa
Allerdings werden europäische Unternehmen von dem Wachstum in den neuen Märkten kaum profitieren. „China und Japan haben eigene starke PV-Industrien und werden sich nicht für Solarimporte aus anderen Ländern öffnen“, sagt der Analyst Christian Rath von der Düsseldorfer Bank HSBC Trinkaus. Auch in Amerika lässt sich schwer Fuss fassen. Beispiel Ontario: In der boomenden kanadischen Provinz gilt zum Schutz der heimischen Wirtschaft eine sogenannte Local Content-Klausel, wonach Solaranlagen nur dann eine Einspeisevergütung erhalten, wenn 60 Prozent ihrer Komponenten auch in Ontario hergestellt wurden. Das heisst für ausländische Firmen: Wollen sie in der Provinz Projekte realsieren, müssen sie dort auch Modulfabriken bauen – vielen dürfte das Investitionsrisiko zu gross sein.

Ebenfalls wenig zu holen gibt es für europäische Firmen in den USA. Denn die Energieversorger, die hier vorrangig in PV investieren, wollen mit dem Bau und dem Betrieb der Sonnenkraftwerke nichts zu tun haben, sondern den Ökostrom einfach nur geliefert bekommen. Dafür schliessen sie mit ihren Lieferanten Strombezugsvereinbarungen, so genannte power purchase agreements ab. Die US-Firmen First Solar und Sunpower haben sich perfekt auf die Bedürfnisse der Utilities eingestellt und bieten komplette Powerpakete aus einer Hand: eigene Module, die Projektierung und den Betrieb der Kraftwerke. Dünnschichtmarktführer First Solar zum Beispiel konnte in den USA bereits Projekte mit 2200 Gesamtleistung an Land ziehen. In diesem weitgehend abgesteckten Markt werden sich den Europäern vorerst nur wenig Gelegenheiten bieten.

Überangebot verschärft Wettbewerb
Ihnen bleibt daher keine Wahl: Sie müssen völlig neue Märkte auftun und/oder sich auf die verbleibenden europäischen Modulabnehmer konzentrieren. Das Problem ist nur, dass die preisaggressiven chinesischen Hersteller in Ländern wie Deutschland oder Italien immer mehr Marktanteile gewinnen, da Investoren bei sinkenden Einspeisetarifen mit Modulen „made in China“ derzeit die höchsten Renditen erzielen können. Übermässige Modulmengen auf den Märkten verschärfen den Wettbewerb. Im Glauben an einen langanhaltenden Solarboom haben im vorigen Jahr viele Hersteller Investitionsentscheidungen für neue Fabriken getroffen. Jetzt, da der Kapazitätsausbau im vollen Gange ist oder Investitionsentscheidungen nicht mehr rückgängig zu machen sind, sinkt die PV-Nachfrage. Das heisst, viele Werke lassen sich nicht voll auslasten. Laut iSupply wird die Produktionskapazität dieses Jahr auf 30000 MW anwachsen – bei einem Bedarf von nur 21700 MW. „Es steht eine Marktbereinung bevor, die nur die integrierten Konzerne unbeschadet überstehen“, sagt deHaan.

Wettbewerbsfähigkeit bringt Linderung
Firmen, die den „industry shake-out“ überleben, steuern aber allmählich in ruhigere Fahrwasser. Mittelfristig werde das Wachstum nach Europa zurückkommen, sagt Matthias Fawer von der Schweizer Bank Sarasin. „Je näher die Wettbewerbsfähigkeit der PV rückt, desto weniger stark wird sie von politischen Entscheidungen abhängig sein.“ Die europäischen Hersteller hegen eine weitere Hoffnung: dass die Chinesen auf dem Heimatmarkt künftig so viel zu tun haben werden, dass sie Europa vernachlässigen.

Ende des Booms
So sehen die Analysten den PV-Weltmarkt

Analyst/Jahr

2010

2011

Barclays Capital

15,5

17

BHF-Bank

19

18

Deutsche Bank

14,9

15,3

Epia

16,7

14

GTM Research

14,1

15

HSBC Trinkaus

16,7

20

ISupply

17,5

21,7

Navigant Consulting

17,4

29

Photon Consulting

17,3

25,4

Sarasin

16,2

18,2

Range

15,5-19

14-29

Durchschnitt

16,53 (+124%)

19,36 (+17%)

Nach einer Verdoppelung des PV-Zubaus 2010 schwächt sich das globale Wachstum laut den Experten 2011 deutlich ab. Grund für diese Prognose sind Förderkürzungen in wichtigen europäischen Märkten, die nach übereinstimmender Meinung vor allem in Deutschland und Tschechien zu einem Nachfragerückgang führen werden.

© Text: Sacha Renzing

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